Mit Krisen kannte Thomas Mann sich aus – mit persönlichen in der eigenen Familie, vor allem aber als Autor zahlreicher Krisensituationen. Die Deutsche Thomas Mann-Gesellschaft hatte deshalb im Herbst 2020, mitten in der Corona-Pandemie, zu Beiträgen für das Schwerpunktthema „Thomas Mann und die Krisen der Moderne“ für das Jahrbuch 2021 eingeladen. Das Jahrbuch ist jetzt im Klostermann Verlag in Frankfurt erschienen.
Prof. Dr. Andreas Blödorn, der den Schwerpunkt verantwortet, schreibt in seiner Einführung: „Thomas Mann hielt es geradezu für das Schicksal seiner Zeit, in Nöten und Krisen des Überganges den Weg in neue Welten, neue Ordnungen des Innen und Außen zu finden‘ (Gesammelte Werke IX, 299)“. Blickt man aus dieser Perspektive auf Thomas Manns Werk, dann geraten eine ganze Reihe literarischer Krisensituationen in den Blick, in denen Übergänge in „neue Ordnungen“ gesucht werden. Inwiefern der Autor dabei selbst – mit zeitdiagnostischem Gespür für Umbrüche und Neuorientierungen – zu einem Repräsentanten seiner Zeit wird, untersuchen die Beiträge des Schwerpunkts, die somit zugleich auch den geistesgeschichtlichen Horizont von Manns Schreiben und Denken im Zeichen der Krisen der Moderne neu zu vermessen suchen.
Der Eröffnungsbeitrag „Poetik der Infektion. Szenarien der Ansteckung bei Thomas Mann“ von Prof. Dr. Alexander Honold nimmt den für viele Krisennarrative zentralen metaphorischen Bildspender der Krankheit in den Blick, wenn er der naturwissenschaftlichen Faktenbasis von Thomas Manns Krankheitsnarrativen nachgeht und sie auf ihr Verhältnis zu den jeweils zeitgenössischen infektiologischen Debatten befragt. Werkchronologisch geordnet untersuchen die darauffolgenden Texte – von vor allem jungen Wissenschaftler:innen – die Modernität der Schreibweise in Buddenbrooks, Manns Expressionismuskritik in den Betrachtungen eines Unpolitischen und Bauschans rätselhafte Blutung in Herr und Hund. Ein Beitrag zum Zauberberg widmet sich dem „Fieber der Materie“, ein weiterer Aufsatz beschreibt Thomas Manns Positionierungen im Feld intellektueller Krisenrhetorik in den Jahren 1930 bis 1950. Der abschließende Blick gilt den Krisensituationen in „Die Betrogene“.
Das Thomas Mann Jahrbuch erscheint seit 1988 im Klostermann Verlag in Frankfurt und wird herausgegeben von Prof. Dr. Hans Wißkirchen, Präsident der Deutschen Thomas MannGesellschaft, und von Dr. Katrin Bedenig, Präsidentin der Thomas Mann Gesellschaft Zürich. +++
Quelle: die Lübecker Museen