Der kleine, zähe Bruder
Es gibt 150 Ahornarten und nur drei davon kommen in Mitteleuropa häufiger vor: Der Spitzahorn, der Bergahorn und ich – der Feld-Ahorn. Unter uns drei Geschwistern bin ich der Kleinste und Anspruchsloseste. Aber auch der Zäheste. Irgendwie muss man ja versuchen, sich durchzusetzen, wenn man nur 15 Meter hoch wird. Meine Tricks sind simpel, aber sie helfen: Unter schlechten Bedingungen wachse ich einfach als dichter Busch. Manchmal sogar mit mehreren Stämmen. Außerdem treibe ich schnell und unverzagt wieder aus, wenn man mich beschneidet. Bevor Sie aber jetzt meinen, von mir gäbe es überall reichlich, muss ich Sie enttäuschen. In Schleswig-Holstein komme ich gar nicht nennenswert vor. Das sagt zumindest eine Studie der Bundesanstalt für Ernährung. Leute, Leute! Da geht doch sicher noch was!
Um es genau zu formulieren: Ich war dabei, als zwischen 2010 und 2013 bundesweit zum ersten Mal die genetischen Ressourcen von zehn seltenen und gefährdeten Waldbaumarten erfasst wurden. Rund 1,3 Mio. Exemplare hat man gefunden – hauptsächlich in Mecklenburg-Vorpommern und Bayern. Insgesamt kommen die Forscher zu dem Schluss, dass es genug Wildbestände von uns gibt – dass sie aber im Einzelnen zu klein sind, um ohne menschliche Hilfe zu überleben. Was mich ein wenig beruhigt, ist, dass über 80 Prozent der erfassten Wildbestände bereits in Naturschutzgebieten liegen.
Trotzdem will ich hier einmal Werbung für mich machen: Ich bin klein, aber nicht zu klein, um ein attraktiver Parkbaum zu werden. Als Stadtbaum bin ich geradezu ideal, weil ich auch auf verdichteten Böden wachse und sowohl Ozon, als auch Sonne, Trockenheit und wochenlange Überflutungen vertrage. Außerdem trage ich bis in den November hinein wunderbar gelb leuchtendes Herbstlaub – das sich dann auch noch binnen eines Winters zersetzt. Auch als Gartenbaum bin ich ausgesprochen dankbar. Als Solitär passe ich in kleinere Stadtgärten, als Hecke bin ich ein guter Grundstücksschutz und ein perfekter Nistplatz für Vögel. Als Hecke lasse ich mich außerdem attraktiv in Form schneiden und schlage schnell wieder aus. Finden Sie das nicht auch überzeugend?
Da fällt mir ein: Vielleicht kennen Sie mich ja gar nicht unter dem Namen Feld-Ahorn. Ich habe nämlich zahlreiche Beinamen: »Mäpel« ist so einer, »Mapeldorn« ein anderer. Durchgesetzt hat sich bis heute der Name »Maßholder«. Dieser Name geht zurück auf das sächsische Wort »mat«, was so viel bedeutet wie Speise. In der Tat war ich einmal ein beliebter Nahrungsbaum. Mein Laub wurde an die Tiere verfüttert und zum Teil wie Sauerkraut eingestampft und vergoren. Holder wiederum kommt von Holunder, weil ich als Strauch ähnlich wachse.
Ursprünglich stamme ich aus Mittel- und Südeuropa. Die Eiszeiten habe ich südlich der Alpen verbracht und als es wieder wärmer wurde, bin ich Stück für Stück wieder nordwärts gewandert. Wenn Sie es genau wissen wollen: um rund 100 Meter pro Jahr. Für meine Vermehrung sorge ich dabei meist selbst: durch Stockausschläge und Früchte. Anders als bei meinen Ahorn-Geschwistern sind die Flügel meiner Früchte auffällig rot gefärbt und stehen rechtwinklig ab. Und sie keimen reichlich. Allerdings schlagen meine Keimlinge relativ schnell Wurzeln, die sich unterirdisch stark verzweigen. Deshalb sollten sie rasch dorthin gepflanzt werden, wo später aus ihnen ein schöner Feld-Ahorn werden soll. Rund 150 Jahre kann man dann auf mich und meine Vorteile zählen. Wenn Sie das jetzt nicht überzeugt, dann weiß ich auch nicht weiter.