Mein Herz schlägt für Lübeck
Wenn es eine Stadt gibt, in der wir Winter-Linden uns wirklich willkommen fühlen, dann ist es Lübeck. Überall in der Stadt findet man uns an Straßen und in Parks. Dass wir ideale Stadtbäume sind, das haben die Lübecker schon früh erkannt. Zum Beispiel, als sie im späten 18. Jahrhundert außerhalb der Altstadtinsel ihre prächtigen Zweitwohnsitze bauten. Dort haben sie sich schon vor mehr als 200 Jahren darum gekümmert, dass die Zufahrtswege zu ihren Sommerresidenzen repräsentativ aussahen. Und: was haben sie gepflanzt? Winter-Linden!
Wenn Sie einmal erkannt haben, wie wir aussehen, dann sehen Sie mich und meine Verwandten überall. Denken Sie dazu einfach an ein Herz. Denn Lindenblätter sind herzförmig und auf diese Weise sehr leicht zu erkennen. Wenn ich mit anderen Linden zusammen stehe, können Sie auch sehen, dass wir Winter-Linden kleiner sind. Stehe ich alleine, können Sie mich eindeutig erkennen, wenn Sie meine Blätter näher anschauen: Sie sind auf der Oberseite grün und auf der Unterseite blaugrün. Außerdem haben sie sogenannte Achselbärte: das sind dichte rostrote Härchen, die auf der Unterseite meiner Blätter wachsen. Am stärksten ausgeprägt sind diese Achselbärte dort, wo der Blattstiel ansetzt. Auch meine Früchte sind kleiner, haben keine Rippen und sind insgesamt weicher. Man kann sie sogar mit der bloßen Hand zerdrücken.
Betörender Duft, klebriger Honigtau
Nun zu meiner prächtigsten Zeit. Es ist der frühe Sommer. Genauer gesagt, Anfang Juli. Dann blühe ich und verströme einen betörenden Honigduft. Ich kann bis zu 60.000 Blüten tragen und bin damit eine wichtige Nahrungsquelle für Bienen. Und in der Folge auch beliebt bei Imkern, weil ihre Bienen durch mich beachtliche Mengen Lindenhonig produzieren können. Er ist hell und fest und hat ein zartes Aroma. Wenn wir schon mal beim Honig sind, ist da noch eine Sache, die ich gerne aufklären möchte: Es geht um den Honigtau. Neben dem Blütennektar ist er die zweite Rohstoffquelle, aus der Bienen Honig produzieren. Dieser ist dunkel, flüssiger als der Blütenhonig und hat auch einen herberen Geschmack.
Aber ich will nicht lange darum herum reden: denn der Honigtau ist auch dieses klebrige Zeug, das zum Beispiel auf Ihren Autos landet, wenn Sie unter einer Linde parken. Er entsteht, weil sich die Blattläuse über mich hermachen. Wir Linden sind so etwas wie Gourmet-Tempel für Blattläuse. Das liegt an unserem Pflanzensaft. Er enthält viel Zucker, aber nur wenig Aminosäuren. Genau diese brauchen die Blattläuse aber zum Überleben. Damit sie genug davon aufnehmen, futtern sie viel mehr Pflanzensaft, als sie eigentlich brauchen. Den Rest scheiden sie wieder aus: und dieses Gemisch aus Flüssigkeit und Zucker ist der Honigtau, der Ihre Autoscheiben verklebt. Schädlich ist er nicht – weder für Ihre Autos noch für mich. Im Gegenteil: für mich ist er sogar sehr hilfreich. Denn Insekten und vor allem Bienen lieben ihn. Sie lecken ihn ab und verhindern damit, dass mich ein schädlicher Pilz befällt, der sich sonst auf dem Honigtau breit machen würde. Vielleicht haben Sie ja jetzt künftig etwas mehr Geduld und Verständnis, wenn es bei Ihnen mal wieder „klebt“.
Noch einmal zurück zu meinen Blüten: Sie ergeben einen hervorragenden Heiltee. Er beruhigt und hilft bei Nervenleiden. Bei fieberhaften Infekten setzt man ihn ein, um gut schwitzen zu können. Dass es funktioniert, wissen alle, die bei einer Erkältung einmal Lindenblütentee getrunken haben. Bis heute ist aber noch nicht geklärt, welcher Inhaltsstoff dafür verantwortlich ist.
Mein Holz ist gleichmäßig weich, hat eine glatte Oberfläche und eine homogene Struktur. Es eignet sich eigentlich nur für den Innenbereich. Aus der Holzschnitzerei ist es seit alters her nicht wegzudenken. Sakrale Kunst, Altäre und Bildhauerei aus Lindenholz haben eine lange Tradition. Auch die Gesichtsmasken in der Alemannischen Fastnacht sind meist aus Lindenholz geschnitzt. Auch für die Grundmodelle von Hutmachern ist es sehr beliebt. Ach, was sag’ ich: Holzspielzeug, Krippenfiguren, Puppenköpfe, Instrumente, Zungenpfeifen im Orgelbau, Tasten am Klavier: überall dort, wo leicht zu bearbeitendes und gut zu beizendes Holz verlangt wird, treffen Sie mit dem Holz der Winterlinde eine gute Wahl.
Verlässliche Partnerin in der Stadt
Was ist sonst zu mir zu sagen? Mit rund 30 Metern Höhe bin ich ausgewachsen und ein recht großer Baum, der bis zu 1.000 Jahre alt werden kann. Solch alte Verwandte habe ich in Lübeck nicht, aber die Linden im „Peter-Monnik-Weg“ unweit der Universität sind schon über 200 Jahre alt. Und im Stadtteil Buntekuh habe ich "Bei den Obstgärten" und „Im Herrenholz“ Verwandte, die rund 190 Jahre auf dem Buckel haben. Sie bilden gut erhaltene Alleen mit Höhen über 25 Metern und Kronen von 12 bis 16 Metern Durchmesser. Das finde ich beachtlich, wenn man bedenkt, dass ein normaler Linienbus etwa 12 Meter lang ist.
Ausschlaggebend für mein gutes Gedeihen sind die Lichtverhältnisse, denn ich habe einen relativ hohen Lichtbedarf. Außerdem bin ich ein bodenpflegerischer Baum, weil sich mein Laub rasch zersetzt. So kann es schnell eine Humusschicht aufbauen. Meine Wurzeln wiederum reichen tief in die Erde. Wenn ich älter werde, bilde ich ein Herzwurzelsystem aus. Das bedeutet, dass meine Wurzeln nicht mehr nur tief in die Erde reichen, sondern sich auch in die Breite ausbilden. Damit kann ich den Untergrund sehr gut befestigen und werde oft als Schutzwald an Steilhängen gepflanzt.
Alles in allem möchte ich mich Ihnen hiermit als eine gute Partnerin empfehlen, die für Sie die Straßen schmückt, die Parks verschönert und dabei auch noch das Stadtklima verbessert. Ich wünsche mir jedenfalls, dass mein Herz nicht nur weiter für Lübeck schlägt, sondern Ihres auch für mich.