Eberesche

Sorbus aucuparia - Baum des Jahres 1997

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Hörtext als Kurzfassung

Vogelbeere – das ist wohl der Name, unter dem mich jeder kennt. Wegen meiner korallenroten Früchte bin ich einer der schönsten Bäume in Parks und Gärten. Finde ich jedenfalls. Aber genau wegen dieser kleinen, fleischigen Kugeln genieße ich diesen schlechten Ruf. Denn beständig hält sich das Gerücht, meine Früchte seien giftig. Zugegeben: sie enthalten Parasorbinsäure. Und die schmeckt nicht nur extrem bitter, sondern kann auch zu Übelkeit und leichten Vergiftungen führen. Aber wirklich nur, wenn man zuviel davon isst.

Erhitzt man meine Früchte oder friert sie ein, bevor man sie verarbeitet, geht diese Säure kaputt und man kann Gelee oder Marmelade aus den Früchten machen. Und für Vögel ist die Säure sowieso ungefährlich. Sie lieben meine Früchte. Deshalb war ich früher auch ein beliebter Vogelfangbaum. Ich ahne schon: auch das ist wahrscheinlich keine Referenz, mit der ich Ihre Herzen im Sturm erobere ...

Vielleicht kann ich mein Image ein bisschen polieren, wenn ich erzähle, dass ich mythologisch ein viel beschriebenes Blatt bin: Im finnischen Nationalepos »Kalevala« bin ich der Baum, in dem eine bedeutende Nymphe wohnt. Die keltischen Druiden pflanzten mich um ihre Opfersteine herum. Sie glaubten, ich könne Flüche und Unglück fernhalten. In Island gelte ich auch heute noch als heiliger Baum. Und nach der germanischen Edda-Sage habe ich dem Gewittergott Thor das Leben gerettet. Weil er im letzten Moment ein Ebereschen-Bäumchen zu fassen bekam, konnte er sich aus einem reißenden Fluss retten. Vielleicht werden meine Früchte deshalb noch heute in einigen Gegenden Deutschlands in Kränze eingearbeitet, die man an die Haustür hängt, um Blitze abzuwenden. Ich meine, das sind doch alles sympathische Argumente, die für mich sprechen!

Ein schön gemasertes Vorwaldgehölz

Wegen seiner schönen Maserung eignet sich mein Holz besonders gut zum Drechseln und Schnitzen. Auch Spazierstöcke, Werkzeugstiele und Flöten sind gerne aus Ebereschenholz. Aus meinen Trieben hat man früher wunderbare Körbe geflochten. Und in den Alpen schneitelt man meine jungen Zweige und verfüttert sie ans Vieh. Wirtschaftlich ist es weniger bedeutend.

Man findet mich fast in ganz Europa, im Kaukasus und in den Alpen bis zu 2.000 Metern. In Gebirgslagen markiere ich sogar manchmal die Baumgrenze. Je älter ich werde, desto mehr Licht brauche ich. Unter Buchen, Tannen und Fichten kann ich deshalb nicht lange gedeihen. Das macht mich zu einem typischen Waldrandbaum – man sagt dazu auch Vorwaldgehölz. Als solches halte ich auch Brombeersträucher und anderen unerwünschten Unterwuchs an den Waldrändern auf. Ganz zur Freude der Förster. Im Lübecker Drägerpark ist aber genug Platz und Licht für alle, so dass ich dort gelassen auswachsen kann. Ansonsten gelte ich als anspruchslose Holzart. Staunässe macht mir nichts aus – nur auf sommerliche Trockenheit, Ozon oder verdichtete Böden reagiere ich empfindlich. Das ist dann zur Abwechslung mal echtes Gift für mich. 

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