Moorbirke

Betula pubescens - Baum des Jahres 2023

Im Kalten Norden daheim
Wenn ich ein Blind Date hätte und mich nur mit einem einzigen Hinweis zu erkennen geben dürfte, würde ich sagen: „Ich bin die mit der weißen Rinde.“ - und prompt wüsste jeder, dass er sich mit einer Birke trifft. Der eigentliche Botschafter für zarte Frühlingsgefühle ist aber mein lichtes und frischgrünes Laub. Besonders in der Nacht zum 1. Mai, wenn in vielen deutschen Regionen verliebte Herzensbrecher unterwegs sind und Birkenzweige sammeln. Was sie damit tun? Sie schmücken sie bunt und befestigen sie als Gunstbeweise an den Häusern ihrer Angebeteten.

In meiner angestammten Heimat wäre es Verliebten wohl viel zu kalt, um in einer Mainacht draußen herumzuspazieren. Denn wirklich zu Hause bin ich in Grönland, Nordeuropa und Sibirien. Dort gehöre ich Dank meiner Vorliebe für die Kälte sogar zu den wenigen waldprägenden Baumarten. Dennoch bin ich in den vergangenen Jahrtausenden über mein natürliches Verbreitungsgebiet hinausgewachsen. Bis „hinunter“ nach Mitteleuropa habe ich es dabei geschafft. Dort wächst auch die Sand-Birke, mir der ich eng verwandt bin und von der ich äußerlich nur in jungen Jahren zu unterscheiden bin. Als junger Baum wächst mir an der Rinde und der Unterseite der Blätter nämlich ein haariger Flaum. Selbst der Pflanzenforscher Carl von Linée scheint dies nicht gewusst zu haben, denn er glaubte, es gebe nur eine Birkenart. Wer weiß: Vielleicht hat er sich ja nur mit erwachsenen Exemplaren beschäftigt. Da kann man schon mal durcheinanderkommen.

Der Klimawandel und ich
Südlich der Pyrenäen und der Alpen ist für mich allerdings Schluss. Dort ist es mir schlicht zu heiß. Ziemlich besorgt bin ich deshalb über die Temperaturen, die der Klimawandel in Mitteleuropa bald für mich bereithält. Und es gibt noch ein weiteres Problem: Als Pionierbaum brauche ich die lichte, freie Fläche und nährstoffarme Böden. Moore sind deshalb ideal für mich. Doch um die Moore steht es schlecht. Immer noch werden sie abgetorft, aufgeforstet, zur Flächengewinnung für die Landwirtschaft entwässert oder durch Düngemittel mit Nährstoffen angereichert. Abgesehen davon, dass ich dadurch Lebensraum verliere, treibt das den Klimawandel weiter voran: Moore binden vereinfacht ausgedrückt riesige Mengen schädlicher Treibhausgase. Sobald aber die Torfschichten austrocknen und mit Sauerstoff in Kontakt kommen, setzen sie unter anderem riesige Mengen CO2 frei. Schätzungen besagen, dass etwa sieben Prozent der deutschen Emissionen von Treibhausgasen aus zerstörten Moorflächen stammen. Und hier kommen Sie ins Spiel: Alleine zwei Millionen Tonnen Torf werden jährlich von Hobbygärtnern gekauft. Damit ich also nicht morgen schon meine Koffer packen und in die Taiga zurückkehren muss, hätte ich eine Bitte. Verwenden Sie doch in Ihrem Garten künftig einfach Blumenerde ohne Torf.

Der Wasserpegel muss stimmen
Besser ist es natürlich, wenn Moore erst gar nicht trockenfallen, denn auch das Renaturieren hat für mich seine Tücken. Der Grund: Ich wurzele breitflächig und achte dabei darauf, dass meine Wurzeln im Boden oberhalb des mittleren Wasserpegels bleiben. In diesem Punkt bin ich praktisch nicht flexibel. Greifen Menschen nun verändernd in den Wasserhaushalt eines Moores ein, verändern sie diesen Wasserpegel. Durch das Entwässern senkt er sich, nach der Renaturierung steigt er leider oft stärker an, als ich es verkrafte. Gut gemeint ist halt nicht immer gut gemacht. Auf Dauer endet jedenfalls beides für mich tödlich. Bei allen Bemühungen der Bundesregierung, die seit 2021 eine Strategie zur Rettung deutscher Moore verfolgt, werde ich dort wohl eher eine Erscheinung der äußeren Ränder bleiben. Meine Rinde wiederum hat mit Wasser überhaupt kein Problem. Im Gegenteil. Sie enthält Betulin-Kristalle, die sie quasi undurchlässig machen. Bereits in Sibirien wussten die Menschen diesen „Rindenvorteil“ zu nutzen und deckten damit Dächer, imprägnierten Boote oder stellten Taschen aus Moorbirkenrinde her. Selbige Betulin-Kristalle färben meine Rinde außerdem weiß, so dass sie das Licht reflektiert und mich vor Überhitzung schützt. Im Prinzip funktioniert Betulin also wie eine körpereigene Sonnencreme.

Waldunkraut, „Hygge“-Möbel, Haarwuchsmittel
Ich blühe bereits in jungen Jahren und lasse meine Samen vom Wind verwehen. Das ist auch notwendig, denn meine Schattentoleranz ist so gering, dass meine eigenen Nachkommen unter meinem „Blätterdach“ nicht wachsen können. Allerdings kurbele ich auf diese Weise die Waldentwicklung an, denn anstelle meiner Nachkommen können nun Kiefern nachwachsen und anschließend alle anderen heimischen Waldbaumarten. Das gilt auch für meine Verwandte, die Sandbirke, mit der ich nach der letzten Eiszeit weite Flächen Mitteleuropas gemeinsam besiedelte. Diese Zeiten sind vorbei, denn sowohl Sandbirken als auch Moorbirken hat man lange als Waldunkraut aus den Beständen geschlagen. Und auch aktuell werden Birken hauptsächlich als Kaminholz oder zur Sperrholzproduktion verkauft. Immerhin nimmt man langsam wahr, dass wir die Bodenqualität und das Mikroklima verbessern und gut für naturnah bewirtschaftete feuchte Waldstandorte sind. Nachdem man außerdem erkannt hat, dass alle Birkenarten schnell hoch und gerade wachsen, sind wir auch zum beliebten Möbelholz aufgestiegen. Sie wissen schon: Mit Möbeln aus Birkenholz bekommt eine Wohnung gleich dieses typisch nordische „Hygge-Flair“.

Zu den bekannteren Produkten, für die wir Birken stehen, zählt auch das Birkenwasser. Es schmeckt leicht süßlich und ist frisch gezapft ein paar Tage haltbar. In Skandinavien und Osteuropa ist es im Frühjahr ein traditionelles Erfrischungsgetränk. Ohne nachhaltigen Schaden anzurichten, kann man einen Stamm alle zwei Jahre anzapfen, um Birkenwasser zu gewinnen. Heutzutage darf es allerdings nur noch mit gewerblicher Erlaubnis „gezapft“ werden und nicht alles davon wird als Getränk verkauft. Birkenwasser wird auch zu Haartinkturen oder in -shampoos verarbeitet. Besonders von einer Kopfhautmassage mit Birkenwassertinktur heißt es, sie fördere das Haarwachstum. Ein Verkaufsargument, das wohl niemals aus der Mode kommen wird.

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