Wir Pappeln können ganz schön zittern. Angst haben wir aber nicht – sondern nur sehr locker sitzende Blattstiele. Deshalb stehen unsere Blätter nicht still. Was zur Folge hat, dass wir stärker schwitzen, mehr Wasser pumpen müssen und dadurch viel mehr Nährsalze aufnehmen. Das führt wiederum dazu, dass wir ziemlich schnell wachsen. Wir sind also in jeder Hinsicht ständig in Bewegung. Aus diesem Umstand leitet sich auch unser wissenschaftlicher Name ab – populus nigra. Allerdings haben die Römer für ihn einen umständlichen Wort-Umweg genommen. »Populus« heißt im lateinischen Volk. Und wie ein Volk immer in Erregung und Bewegung sei, so seien es auch unsere Blätter. Wenn Sie mich fragen: Die spinnen, die Römer. Da sind die Griechen wesentlich konkreter. Dort heißt »pappalein« ganz einfach »sich bewegen«.
Bei den Griechen sind wir Pappeln auch in der Mythologie fest verankert. Demnach entstanden wir aus den Heliaden. Sie waren die Töchter des Sonnengottes Helios und die Schwestern von Phaeton. Als dieser Helios Sonnenwagen nicht mehr zügeln konnte, traf ihn der Blitz – und aus Trauer um ihren getöteten Bruder erstarrten die Heliaden zu Pappeln.
Schaut man einmal etwas genauer hin, klafft der Leumund meiner Verwandtschaft je nach Art weit auseinander. So war die Silber-Pappel der Persephone geweiht. Sie herrschte mit ihrem Mann Hades über das Totenreich. Als eine Art Wächterbaum pflanzten die Griechen die Silber-Pappel deshalb an Gräber und Denkmäler. Als Herakles aus dem Totenreich des Hades in den Olymp zurückkehrte, brachte er Zweige der Silber-Pappel mit – und fortan flocht man im Olymp daraus die Siegerkränze. Ich hingegen – die Schwarz-Pappel – galt als Unheil bringend, symbolisierte die verlorene Hoffnung und wurde beim Orakeln eingesetzt. Bei den Kelten war das anders. Ihr Baumkalender sagt, das Pappelmenschen die Ungewissheit überwinden, ihre Beziehungen pflegen sowie verlässlich und großzügig sind, wenn man ihnen gegenüber genauso ist.
Außer der Silber-Pappel und mir gibt es noch die Zitterpappel. Sie wird auch Espe gerufen und jetzt wissen Sie natürlich sofort, woher das Sprichwort »Ich zittere wie Espenlaub« kommt. Dann sind da noch die unzähligen Hybriden, die ich hier gar nicht alle aufzählen will. Heute sind die meisten der Bäume, die wie ich als Schwarz-Pappeln bezeichnet werden, Hybridformen. Sie werden als Wirtschaftshölzer angepflanzt, weil sie erheblich wuchskräftiger und deshalb ertragreicher sind.
Als Wildart hingegen bin ich in Deutschland gefährdet. Insgesamt soll es mich als genetisch unverfälschtes Exemplar nur noch 2.500 bis 3.000 Mal geben. Ich finde es deshalb nur gerecht, dass ich 2006 zum Baum des Jahres gewählt wurde. Dabei war ich ursprünglich in Europa vom Tiefland bis zu den Alpen weit verbreitet – außer in Spanien und im Norden. Meine Hybriden sind da wiederum nicht so anspruchsvoll. Sie wachsen mittlerweile auch auf der Iberischen Halbinsel und im Baltikum auf großen Plantagen.
Botanisch gehöre ich zur Familie der Weidengewächse und liebe feuchte Standorte. Auch eine gelegentliche Überflutung macht mir nichts aus. In den Auenwäldern der großen Flussniederungen sowie auf sandigen Standorten wachse ich deshalb auch als Pionierbaum – oder Vorholz, wie manche sagen. Ich liebe das Licht und verankere mich mit ausgedehnten Wurzeln in der Erde. So lange jedenfalls, bis die konkurrenzstärkeren Bäume mich verdrängen.
Unter den heimischen Pappeln gilt mein Holz als das Wertvollste. Es ist ausgesprochen leicht und wird unter anderem zu Holzwolle, Zündhölzern oder Zellstoff verarbeitet. Außerdem haben Sie wahrscheinlich alle schon mal auf einem Zahnstocher aus Pappelholz herumgekaut. Eine sehr lange und innige Wirtschaftsbeziehung verbindet mich mit den Niederländern. Da mein Holz leicht und unempfindlich ist, kann man daraus besonders gut Holzschuhe herstellen. Früher fertigte ein ganzes Heer niederländischer Schnitzer aus roh gehauenen Holzklumpen die beliebten »Holländerschuhe«. Zwar ist die Zeit der Massenproduktion längst vorbei – ein beliebtes Souvenir sind sie bis heute geblieben.
Darüber hinaus habe ich auch medizinische Kräfte. So hat man zum Beispiel meine Knospen zu einem Heilbalsam verarbeitet, der bei Verbrennungen, Wunden und Hämorrhoiden half. Er hieß »unguentum populeum« und war eine der beliebtesten Salben überhaupt. Aus meiner Rinde machte man einen harntreibenden Sud, der gleichzeitig die Leber putzte. Wenn Sie Ihren Apotheker beeindrucken wollen, verlangen Sie nach »Gemmae Populi«. Es sind meine getrockneten Blüten, die als Tee gegen Gicht und Rheuma helfen sollen.
Eine Praxis, die Adelbert von Chamisso Anfang des 19. Jahrhunderts beschrieb, ist meines Wissens ganz ausgestorben: man zerstampfte meine männlichen Kätzchen und Knospen, überbrühte sie mit Wasser und presste sie aus. Übrig blieb eine wachsartige Paste, aus der man Kerzen fertigen konnte, die sehr lieblich duften. Vielleicht könnte diesen Brauch ja mal jemand wiederbeleben.
Bevor ich mich für heute verabschiede, vielleicht noch ein Tipp für Häusle-Bauer: Pflanzen Sie weder mich noch meine Artgenossen nah an ein Haus. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe nichts gegen Menschen, aber meine Wurzeln verzweigen sich so breit, dass sie Gemäuer oder Abflussrohre schädigen. Außerdem können sie Wurzelsprosse ausbilden, aus denen dann neue Pappeln wachsen. Dann haben Sie schnell eine ganze Legion kleiner Pappeln im Vorgarten stehen. Und wo wir schon einmal dabei sind: Auch als Straßenbaum bin ich nicht besonders geeignet, weil ich recht anfällig bin für Sturm. Eine Pappelallee sollte sich also jeder gut überlegen.