Ich bin eine Ulmenart, die kaum jemand wirklich kennt. Deshalb bin ich ganz glücklich, endlich Baum des Jahres zu sein. Mit Recht, wie ich finde, denn gerade zum Thema Klimawandel habe ich eine Menge zu bieten. Doch lassen Sie mich von vorne anfangen:
Flatter-Ulme ist für mich ein bezeichnender Name, denn wenn im Frühjahr der Wind weht, tanzen meine Blüten und Früchte wie wild. Sie sind bestens zu erkennen, denn sie entwickeln sich noch vor dem Laubaustrieb an dünnen Stielen. Und weil diese Stiele deutlich länger sind als die von Feld- und Berg-Ulmen, sind sie unser wichtigstes Unterscheidungsmerkmal. Die Feld- und die Bergulmen sind wiederum kaum voneinander zu unterscheiden. Sie kreuzen sich munter untereinander, was zu einem Variantenspektrum geführt hat, dass selbst Experten verwirrt. Das passiert mir nicht, denn ich kreuze mich nur mit meiner eigenen Art.
Vom Pilz verschont
Was Sie nicht auf die Schnelle sehen können: Ich bin widerstandsfähiger und lange nicht so bedroht wie die Feld- und die Bergulmen. Sie gehen seit rund 100 Jahren an einer aus Asien stammenden Pilzkrankheit zu Grunde, gegen die ich immun bin. Verantwortlich für die Einfuhr des Pilzes war der internationale Holzhandel. Doch um hierzulande Schaden anzurichten, brauchte er Gehilfen. Und die fand der in Gestalt des Kleinen und des Großen Ulmensplintkäfers. Sie übertragen den Pilz, der daraufhin die wasserführenden Poren des Holzes verstopft. Die Folge ist, dass die Feld- und Bergulmen erbärmlich verdursten. Mich dagegen ignorieren die Ulmensplintkäfer konsequent. Warum, das wissen Forscher noch nicht genau. Sie vermuten, dass sie mich nicht als Ulme erkennen, weil meine Borke deutlich glatter und dunkler ist als die meiner Artverwandten. Nicht erkannt zu werden, kann also durchaus Leben retten.
Schützenswerter Ersatzlebensraum
Trotzdem wäre es gelogen, wenn ich sagte, mein Fortbestand sei in Deutschland bequem gesichert. Seitdem der Mensch Auenwälder und Flussauen zu Agrarlandschaften oder Wirtschaftswäldern umbaut, verliere ich im kontinentalen Europa nach und nach meine natürlichen Lebensräume. In Süddeutschland finden Sie mich an Rhein und Donau, deutlich stärker bin ich jedoch in den östlichen Bundesländern verbreitet. Dort finden Sie auch die älteste und dickste Flatterulme Deutschlands. Sie steht auf dem ehemaligen Gülitzer Friedhof in Brandenburg, wird auf 400 bis 500 Jahre geschätzt und hat einen Umfang von fast zehn Metern.
Insgesamt gelte ich laut Roter Liste in etwa der Hälfte aller Bundesländer als mindestens gefährdet. Da lobe ich mir die Initiativen des Bundes und der Europäischen Union, bestehende Auenwälder zu schützen, trockengelegte Feuchtwälder zu renaturieren und geschlossene Überflutungsbereiche von Flüssen wieder zu öffnen. Das wäre nicht nur die beste Hilfe, um meinen Bestand zu fördern – ich wäre auch ein hilfreicher Ersatzlebensraum für Insekten, Spinnen und Käfer, die auf Ulmen spezialisiert sind. Denn sie verlieren durch das flächendeckende Sterben der Feld- und Bergulmen ja ebenfalls ihre Lebensräume. Sie sehen: Obwohl ich nicht so bekannt bin, bin ich nützlich für den Artenschutz.
Traditionsbaum mit Zukunft
Auch für den Menschen war und bin ich in vielen Punkten nützlich. Da wären zum Beispiel meine Blätter. Weil sie sehr eiweißreich sind, hat man Ulmenzweige früher geschneitelt und getrocknet, um sie im Winter ans Vieh zu verfüttern. Mein Holz – man nennt es Rüster – lässt sich zwar nur beschränkt verwenden, doch es ist zäh. So zäh, dass man früher stark beanspruchte Dinge wie Räder, Karren oder Kutschen daraus herstellte. Heute ist es vor allem begehrt und teuer, wenn ich innerhalb meines Stammes Knollen bilde, die zu einer edlen Maserung führen. Dann fertigt man aus mir so schöne Dinge wie Pfeifenköpfe, Möbel oder Vertäfelungen.
Mit der für Lübeck so stadtprägenden Linde habe ich gleich mehreres gemeinsam: Aus unserer Rinde lässt sich Bast gewinnen und wir sind seit Jahrhunderten als Straßen- und Alleebäume beliebt. Früher hatte dies wohl eher ästhetische Gründe. Heute weiß man, dass wir auch ähnlich klimafest sind. Das heißt: tolerant gegenüber verschmutzter Luft, verdichteten Böden und Streusalz. Die Fachleute sind noch nicht einig, aber viele schätzen, dass ich bald als Stadtbaum wichtig werde. Ich bin deshalb gespannt, was das Leben im urbanen Raum für mich an Überraschungen bereithält. In Lübeck freue ich mich jedenfalls schon auf eine gute Nachbarschaft mit der Linde.