Sandbirke

Betula pendula - Baum des Jahres 2000

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Hörtext als Kurzfassung

Nach der letzten Eiszeit war ich die erste auf weiter Flur. Ich war es also, die vor rund 13.000 Jahren sozusagen die Wiederbewaldung eingeläutet habe und ganz Europa mit lichten Sandbirkenwäldern besiedelte. Einige Forscher vermuten, dass ich gar nicht richtig weg war, sondern die Eiszeit nördlich der Alpen überdauert habe. Sozusagen im Winterschlaf. Genutzt hat das alles nichts, denn es wurde wärmer und wärmer und rund tausend Jahre später hatten mich die Kiefern als landschaftstypisches Gehölz verdrängt. Nur im subarktischen Norden – also weit, weit nördlicher als Lübeck – bin ich bis heute ein Musterknabe an Pioniergeist. Denn mit dem kalten Klima und der kurzen Vegetationsperiode kommt kaum einer so gut  klar wie ich: Eine mittlere Januar-Temperatur von minus 20° ist für mich kein Problem. Ganz kalt ums Herz wird mir nur, wenn ich darüber nachdenke, was der Klimawandel für meine Zukunft so mit sich bringt.

Im natürlichen Konkurrenzkampf gegenüber anderen Baumarten habe ich es bis heute schwer. Auf ärmeren Standorten bin ich aber wegen meiner eiszeitlichen Lehrjahre klar im Vorteil. Bevor aber nun der Eindruck entsteht ich wachse nur da, wo niemand gerne Sommerurlaub macht: ich bin ein durchaus europäischer Baum und wachse im Süden bis an den Ätna. Ich brauche eben nur Standorte, auf denen ich mich behaupten kann. So brauche ich viel Licht, was charakteristisch ist für Pioniergehölze wie mich. Und obwohl ich Sandbirke heiße, wachse ich als natürlicher Pionier auch auf Kahlschlägen, Ödland und vernässten Böden. So war ich nach dem Zweiten Weltkrieg vielfach ein Trümmerbaum, der als erster auf Ruinen und Brandflächen siedelte. 

Um mich zu beschreiben, brauche ich nur zu sagen, dass ich der Baum mit der weißen Rinde bin. Dann weiß jedes Kind, wie ich aussehe. Von dieser Rinde leitet sich auch mein Name ab – denn die indogermanische Beschreibung »bhereg« bedeutet »Hellschimmerer«. Für dieses Weiß verantwortlich ist der Farbstoff Betulin. Er sorgt auch dafür, dass meine Rinde kein Wasser durchlässt. Außerdem kann ich meine Oberflächentemperatur über die Rinde regulieren. Wird sie älter, rollt sie sich in Querstreifen ab und legt neue, schneeweiße Schichten frei. Das nennen Fachleute dann Ringelkork. Weil speziell meine Rinde innerhalb der Familie der Birken heller und glänzender ist, hat sie mir den Namen Weißbirke eingetragen. Hängebirke heiße ich wiederum wegen meiner Zweige. Charakteristisch für diese Zweige ist, dass sie am Ende herabhängen. Bei meiner Verwandten, der Trauerbirke, ist dieses Merkmal besonders deutlich ausgeprägt.

In der Forstwirtschaft galt ich lange Zeit als Unkraut. Mit dem Anbau schnell wachsender und unempfindlicher Arten geriet ich aber wieder als Vorwald in das Blickfeld der Waldbauern. Das liegt daran, dass meine lichten Kronen für andere Bäume einen günstigen Halbschatten liefern und sie vor Spätfrösten schützen. Sofern Wasser vorhanden ist, brauche ich es auch. Ich gehöre dann sogar zu den Baumarten mit dem höchsten Wasserverbrauch – aber: ich verdunste auch sehr viel davon. Deshalb werde ich im Landschaftsbau gerne als Drainagebaum eingesetzt. In der Stadt gelte ich als der Baum mit dem höchsten Staubfangvermögen.

Mein Holz ist zwar leicht zu bearbeiten, aber wegen seiner Anfälligkeit für Pilze, Insekten und Verstockung nicht sehr langlebig. Außerdem ist es schwierig zu imprägnieren. Als Kaminholz eignet es sich zum Beispiel. Sein Heizwert ist zwar nicht so hoch, aber es brennt ohne Funkenflug. Wirtschaftlich wichtiger als meine Holznutzung war aber lange Zeit mein Saft. Bohrt man mich im Frühjahr zwei bis vier Zentimeter tief an, tritt aus dieser Wunde über Wochen ein klarer Saft aus. Man kann Limonade, Wein – aber auch Haarwasser – daraus herstellen. Rund 50 Liter davon gebe ich in einer Saison ab.

Dann meine Blätter: sie sind in Deutschland ein anerkanntes Heilmittel. Sie werden zu Tee aufgegossen und wirken harntreibend, entschlacken und reinigen das Blut. Außerdem helfen sie bei Gicht, Rheuma, Borreliose, Nieren- und Blasenleiden sowie bei Wassersucht. Vielleicht tröstet es ja den ein oder anderen Allergiker, dass meine Pollen nicht nur Allergien verursachen, sondern auch bei der Heuschnupfen-Therapie helfen.

Und zum Schluss noch einmal zurück zu meiner Rinde: Für alle, die ihren Zähnen etwas Gutes tun wollen, habe ich eine gute Nachricht: Den nährstoffreichen Fasern meiner Rinde kann man einen natürlichen Zuckeraustauschstoff entziehen. Er sieht aus wie Zucker, schmeckt wie Zucker – wirkt aber im Mund wie das genaue Gegenteil von Zucker. Unter dem Namen Xylit ist er in der Zahnpflege bekannt. Die Mundbakterien können dieses Xylit nicht abbauen und scheiden deshalb auch nicht die Säure aus, die für Karies verantwortlich ist. Also: Wenn Sie Ihrem Zahnschmelz und Ihrer Mundschleimhaut etwas Gutes tun wollen, dann wenden Sie sich an einen echten Pionier wie mich.

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