Als ich 2017 zum Baum des Jahres gekürt wurde, brachen augenblicklich heftige Diskussionen aus. Warum gerade die Fichte? Da gibt es doch wahrlich andere Bäume, die diese Auszeichnung mehr als verdient hätten. „Willst Du den deutschen Wald vernichten, dann pflanze überall nur Fichten“ heißt einer der Sprüche, mit denen meine Kritiker die Diskussionsforen befeuerten. Tatsächlich gibt es nur wenige Regionen in Deutschland, in denen ich natürlich wachsen würde. Wahr ist auch: Hätte der Mensch nicht Hand angelegt, wäre ich in jedem Fall nicht die bestimmende Baumart, die ich heute für die Forstwirtschaft bin. So aber besiedele ich noch vor der Kiefer, der Buche und der Eiche über ein Viertel der deutschen Waldfläche. Mehr noch: jeder zweite deutsche Baum ist mittlerweile eine Fichte oder eine Kiefer. Mein Aufstieg zu diesem sogenannten „Brotbaum der Forstwirtschaft“ begann im 19. Jahrhundert. Zu dieser Zeit waren die für Deutschland typischen Laubwälder weitgehend ausgebeutet. Will sagen: Zum Heizen, zum Kochen und zum Bauen abgeholzt. Doch die Industrialisierung schritt voran und die Bevölkerung wuchs. Beides verlangte nach immer mehr Nutzholz. Schnell sollte es wachsen können und anspruchslos sollte es sein. Und so kam man auf mich – die gemeine Fichte. Ich brauche ausreichend Wasser, stelle aber ansonsten nur wenig Ansprüche an meine Nährstoffversorgung. So forstete man die nährstoffarmen Kahlschläge der ehemaligen Laubwälder mit Fichten auf. Eine Monokultur nach der anderen entstand und brachte die Vielfalt der deutschen Wälder in Gefahr. So sehen es jedenfalls meine Kritiker. Ihre Kritik wendet sich dabei nicht gegen mich als Baumart, sondern gegen die ausbeuterische Praxis der Forstbauern.
Von den Forstbauern gibt es aber auch Gutes zu berichten: seit einigen Jahrzehnten sind sie immer stärker bereit, alternativ zu handeln. Und sei es auch nur, weil sie selbst erfahren mussten, wie sehr sie sich mit ihrem Wirtschaften selbst schadeten. Denn in einer Monokultur bin ich höchst anfällig für Sturmwürfe und eine massenhafte Vermehrung von Schädlingen. Als Stichworte nenne ich hier das Sturmtief Kyrill, andauernde Borkenkäferplagen oder den Befall mit parasitären Pilzen. Damit nicht genug, verschlechtere ich meine Lebensbedingungen in einer Monokultur auch selbst. Dort, wo ich in Reinkultur wachse, fallen mehr Fichtennadeln zu Boden, als der Boden verkraftet. Sie zersetzen sich nämlich nur schwer und übersäuern so den Boden. Die Nachzucht neuer Fichten kommt auf solchen Böden nur sehr schwer voran.
Ich meine deshalb, dass es gut war, einen so kontrovers diskutierten Baum wie mich zum Baum des Jahres zu wählen. Ich wünsche mir jedenfalls, dass diese Wahl zu weiteren fruchtbaren Diskussionen über eine nachhaltige Forstwirtschaft führt – und damit zu mehr Vielfalt in den hiesigen Wäldern.