Ich gehöre zur ältesten Baumart Europas. Der Stammbaum der Eiben reicht bis in die Steinzeit zurück. Damals fertigten die Menschen bereits Lanzen und Speere aus meinem elastischen Holz. Der älteste Speer, der je gefunden wurde, stammt aus England und ist rund 150.000 Jahre alt. In Niedersachsen fand man eine Lanze, mit der Neandertaler einen Waldelefanten erlegt haben sollen. Auch »Ötzi« – die Gletschermumie aus Österreich – trug eine Lanze aus Eibenholz bei sich. Alter? Fünftausend Jahre. Meine älteste noch lebende Verwandte wiederum steht im schottischen Dorf Fortingall und soll dreitausend Jahre auf dem Buckel haben. Da kann ich nur sagen: Alter ist wirklich ein dehnbarer Begriff.
Mein Holz ist also zäh, elastisch und dicht. Es ist frei von Harz und schwer. Und damit der ideale Rohstoff für Lanzen, Speere, Bogen und Armbrüste. Im mittelalterlichen England waren eibene Kampfbögen die wichtigsten Kriegswaffen. Als ich dort fast ausgerottet war, musste man mich sogar massenweise importieren. Heute stehe ich unter Artenschutz. In Deutschland sogar auf der Roten Liste der gefährdeten und besonders bedrohten Pflanzenarten. Mit den Engländern habe ich mittlerweile meinen Frieden gemacht. Ich tröste mich damit, dass der Bogen von Robin Hood vielleicht auch aus meinem Holz geschnitten war ...
Grundsätzlich fühle ich mich als immergrüner Nadelbaum im mittleren und südlichen Europa sehr wohl. Regionen, in denen es strenge Winter gibt, sind nichts für mich. Dunkelheit wiederum macht mir wenig aus. Ich bin nämlich auch die schattenverträglichste Baumart Europas – und wenn ich jung bin, sogar auf Schatten angewiesen. Am liebsten wachse ich deshalb im Unterstand anderer Bäume heran. Nur in Fichtenwäldern mit ihrem dichten Kronendach muss ich aufgeben: die sind selbst mir zu dunkel. Mit zunehmendem Alter verändern sich dann meine Lichtansprüche und ich vertrage auch die Sonne besser.
Als nächtlichster Baum mit einem immergrünen – also ewigen - Nadelkleid spiele ich auch im Totenkult eine große Rolle. Schon die Ägypter fertigten ihre Särge aus Eibenholz. In der römischen Sagenwelt ist der Weg zur Unterwelt mit Eiben bestanden. Und in Ovids »Metamorphosen« sind die Furien mit Eibenfackeln bewaffnet und treiben die toten Seelen durch die Alleen. Als Symbol der Totenruhe pflanzten die Kelten mich auf Gräberfelder. In vielen Ländern galt ich lange Zeit als wirksamer Schutz gegen Zauber und Hexen. Auch »Iwa« und »ewa« – die althochdeutschen Worte für Eibe und Ewigkeit – hängen wahrscheinlich zusammen.
Weil ich zweihäusig bin, gibt es mich als männlichen Baum mit Staubblüten und als weiblichen Baum, der ganz unscheinbare Blüten auf der Unterseite seiner Zweige hat. Aus diesen Blüten entwickele ich Samen, die von einem leuchtend roten und fleischigen Samenmantel umhüllt werden. In der Botanischen Sprache heißt er Arillus. Vögel genießen ihn sehr und helfen mir dadurch bei der Verbreitung. Sie essen den Arillus und scheiden meine Samen unverdaut und keimfähig wieder aus.
Dieser Arillus ist übrigens das Einzige, was an mir nicht giftig ist. In all meinen anderen Pflanzenteilen findet man das hochgiftige Taxin. Nicht nur für Menschen, sondern auch für Pferde ist es schon in kleinen Mengen tödlich. Wiederkäuern wie Kühen und Schafen kann ich dagegen nichts anhaben. In der Pharmazie wird dieses Gift in der Krebsforschung eingesetzt. Der Grund: Man glaubt, dass meine Art von Giftstoff das Zellwachstum bzw. die Zellteilung hemmen kann.
Wachse ich als Einzelbaum, verzweigen sich meine Äste stark und meine Krone wird kegel- bis kugelförmig. Manchmal habe ich auch mehrere Stämme, die miteinander verwachsen. Dann sehe ich aus wie ein riesiger Busch, der sich vom Boden her verzweigt. Schneidet man mich in Form – was ich bestens vertrage, weil ich immer wieder neu austreibe – dann bin ich ein ideales Heckengewächs. Die Gartengestalter in der Rokoko-Zeit haben mich dafür geliebt. Sie konnten aus mir zaubern, was ihre Fantasie hergab: So haben sie schon vor 250 Jahren Eiben-Labyrinthe angelegt oder mich zu geometrischen Formen und dekorativen Figuren getrimmt. Zum Beispiel bei König Ludwig XV. in Frankreich. Ja, im Rokoko war ich absolut en vogue und durfte in keinem Schlosspark fehlen.
Auch wenn es kein Schlosspark ist, will ich doch zum Schluss ein bisschen Werbung für mich machen: Deshalb folgender Tipp: Wenn Sie mal an der Flintbecker Kirche bei Eckernförde vorbeikommen: dort steht eine Eibe, die zwischen 800 und 1.000 Jahren alt ist.