Vogel-Kirsche

Prunus avium - Baum des Jahres 2010

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Hörtext als Kurzfassung

Die Mutter aller Kirschen

Mit Ringelborke und Kegelkrone. Schneeweiß im Frühjahr, feuerrot im Herbst: So kennt man mich, die wilde Vogel-Kirsche. Ich bin die Mutter aller Süßkirschen und mein botanischer Name ist »prunus avium«. Im Frühjahr treibe ich bis zu einer Million schneeweißer Blüten und Sie können sich vorstellen, was dann um mich herum los ist: Nicht nur die Presse ist gierig auf diese spektakulären Bilder – auch die Nektar- und Pollensammler lieben mich! Bei Untersuchungen hat man auf dem Körper einer Biene schon einmal rund eine Million Pollenkörner nachgewiesen.

Nachdem meine Aufsehen erregende Blütenshow vorbei ist, kommt schon der nächste Clou: Am oberen Ende meines Blattstiels entwickle ich zwei rote Saftdrüsen, die in den ersten Wochen nach dem Knospenaustrieb reichlich Nektar abgeben. Und zwar als sogenanntes »Polizistenfutter« für Ameisen und andere Raubinsekten. Sie werden durch den Nektar angelockt und kommen in großen Mengen – und fressen mir bei dieser Gelegenheit schädliche Raupen vom Leib. Die Einen nennen das einen genialen Schutz vor Blattfraß. Ich nenne es eine vorsorgliche Körperpflege!

So wie die Insekten sich im Frühjahr um meine Blüten reißen, sind Vögel und Nagetiere scharf auf meine Früchte. Vielmehr auf mein Fruchtfleisch; denn die Kerne scheiden sie unverdaut wieder aus und tragen so zu meiner Verbreitung bei. Wenn Sie übrigens einmal eine Wildkirsch-Gruppe in der Landschaft entdecken, kann das daran liegen, dass ein Nagetier einen seiner Wintervorratsplätze einfach vergessen hat. Vielleicht war es eine Maus, die stattdessen meine Wurzeln fraß – was mir wiederum gar nicht schmeckt. Ebenso wenig übrigens wie der Wildverbiss an meinen jungen Stämmen. Aber dagegen habe ich ein Mittel! Darauf reagiere ich sofort: und zwar mit Gummifluss. Er tritt in Blasen aus, härtet an der Oberfläche, verschließt die Bisswunde und glänzt in der Sonne wie Bernstein.

Mein Holz hat einen rötlichen Farbton und wird als Möbel- und Furnierholz hoch gehandelt. Es ist Material für Drechsler, Intarsienschnitzer, für zahlreiche kunstgewerbliche Gegenstände und für den Instrumentenbau. Wie die meisten Obstbaumarten, gehöre auch ich zur Familie der Rosengewächse. Und damit zur größten Pflanzen- und Gehölzfamilie der gemäßigten Breiten. Meine Kulturformen wachsen alle außerhalb des Waldes. Es sind die Herzkirschen und die Knorpelkirschen. Als Vogel-Kirsche bevorzuge ich zwar den Wald, wachse aber auch an anderen Standorten. Wenn Sie mich von meinen Kulturformen unterscheiden möchten, orientieren Sie sich daran, dass ich kleinere Früchte trage. Sie sind schwarzrot, bittersüß und etwa 1 cm dick. Bei meinen Kultursorten sind sie bis zu 2,5 cm dick. Herzkirschen haben ein weiches Fruchtfleisch, das der Knorpelkirschen ist fest und knackig.

In der Heilkunde hat man früher von der roten Farbe meiner Früchte auf ihre positive Wirkung auf  Herz und Kreislauf geschlossen. Tatsächlich haben Ärzte in der Nähe von Kirschplantagen festgestellt, dass sie während der Kirschernte seltener von Schmerzpatienten konsultiert wurden. Forscher fanden daraufhin heraus, dass der Genuss von 250 g roter Kirschen ein bis zwei Schmerztabletten ersetzen kann. Das sollten Sie aber nicht ausprobieren, ohne mit Ihrem Arzt zu sprechen. Kirschkernkissen hingegen können Sie ohne Bedenken benutzen. Erhitzt, helfen sie bei Schmerzen, Verspannungen, Rheuma, Hexenschuss und kalten Füßen

Und dann ist da noch die Geschichte der Heiligen Barbara. Auf dem Weg ins Gefängnis soll sie mit ihrem Gewand an einem Obstbaum hängen geblieben sein. Den abgebrochenen Ast stellte sie im Gefängnis in ein Gefäß mit Wasser. Der Legende nach blühte er genau an dem Tag, an dem sie zum Tode verurteilt wurde. Seitdem stellen Menschen am 4. Dezember – dem Gedenktag der Heiligen Barbara – unter anderem auch meine Zweige ins Wasser. Blühe ich am Heiligen Abend, soll das im kommenden Jahr Glück bringen. Ein anderer Brauch zur Folge weisen junge Mädchen jeder Knospe den Namen eines Jünglings zu. Der Zweig, der zuerst blüht, weist auf den künftigen Bräutigam hin.

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