Schwarz-Erle

Alnus glutinosa - Baum des Jahres 2003

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Hörtext als Kurzfassung

Niemand weiß, was den Dichter Johann Gottfried Herder abgelenkt hat, als er das dänische Lied »Die Tochter des Elfenkönigs« ins Deutsche übertrug. Ich weiß jedenfalls, dass ihm dabei ein Fehler unterlaufen ist, der sich literarisch zu meinen Gunsten auswirkte: Denn Herder übersetzte das ursprüngliche »ellerkonge« nicht mit Elfenkönig sondern mit »Erlkönig«. Was seinen Zeitgenossen Johann Wolfgang von Goethe zu seiner berühmten Ballade von Erlkönig inspirierte. Der Rest ist Literaturgeschichte. Doch ganz gleich, ob dänische oder deutsche Liedkunst: Am Ende sind beide zentralen Figuren tot. Aber damit habe ich nun wirklich nichts zu tun.

Außerhalb dieses literarischen Abstechers bin ich ein ausgewiesener Pionierbaum, der viel Licht braucht und dann rasch bis auf eine Größe von 10 bis 25 Metern heranwächst. Sollten Sie sich einmal wundern, dass ich meine Blätter in grünem Zustand abwerfe – das ist keine Krankheit sondern ganz normal. Ich trage einfach kein buntes Herbstkleid. Wenn ich älter bin, ist meine Rinde nicht mehr grau, sondern bereits schwarz. Das hat auch zu meinem Namen »Schwarz-Erle« geführt.

Was den Boden betrifft, kann ich so genügsam leben, dass ich sogar auf Kohlehalden wachse. Wenn ich es mir aber aussuchen kann, bevorzuge ich tiefgründige, nährstoff- und basenreiche Böden und komme bestens mit Staunässe zurecht. Deshalb besiedele ich nasse, sumpfige Bruchwälder und Moore und bin ein prägender Siedler an den Ufern von Bächen und Flüssen. Ganz typisch für mich ist mein Stammfuß, der mit besonderen Wurzeln ausgestattet ist; sie heißen Adventivwurzeln oder auch Stelzwurzeln. Mit ihrer Hilfe kann ich Staunässe oder schwankende Wasserstände besser verkraften als viele andere Baumarten. Gleichzeitig befestige ich dadurch das Ufer und biete zahlreichen Tieren Schutz oder ein zu Hause.

Es heißt: Erlen bluten, sobald sie gefällt werden. Das stimmt insofern, als mein Splintholz sich tiefgelb bis rot einfärbt, sobald es geschlagen wird. Sie können sich vorstellen, dass mich das schon seit alters her verdächtig machte. Für diverse Gruselgeschichten und Schauermärchen musste ich herhalten. So galten Erlenbrüche im Mittelalter als Unland. Wanderer, die vom Weg abkamen, fürchteten sich vor der »Irle« oder der »Else« – sie war ein hinterlistiges Weib, das im Morast wohnte und sie dort hinein zog. Ich gebe es nicht gerne zu, aber dieses Weib verkörpere ich.

Dann gibt es noch eine Redensart, die Sie vielleicht kennen: Sie lautet »über jemanden den Stab brechen«. Sie geht auf einen alten fränkischen Rechtsbrauch zurück, bei dem ich ebenfalls eine Rolle spiele: Wurde ein Mensch aus der Sippe ausgestoßen, zerbrach man vor Gericht über seinem Kopf vier Erlenstäbe und warf die Bruchstücke in unterschiedliche Richtungen. Auf diese Weise sagte man sich symbolisch von dem Ausgestoßenen los. Vielleicht sollte ich ja mal über das hinterliste Weib im Moor den Stab brechen ...

Zurück zum Holz: In Wasser gelegt, saugt es sich voll und wird richtig widerstandsfähig. Wassertröge, Melkeimer und Küchenutensilien sind deshalb gerne aus Erlenholz. Außerdem lasse ich mich hervorragend beizen und kann mich auch leicht als eine andere Holzart ausgeben. Mahagoni ist eine meiner besten Rollen. Ich nehme aber nicht nur gut Farbe an, sondern bin auch ein altbekanntes Färbemittel. Meine Zweige färben braun, meine Blüten grün. Und meine Borke färbte schwarz. In der Lederfärberei wurde sie dazu so lange mit rostigen Eisenteilen in Wasser gelegt, bis sich der Gerbstoff mit dem Eisen zu einer schwarz färbenden Substanz verband. Aus demselben Grund färbt sich mein Laub auch im Lübecker Stadtpark schwarz, wenn es lange genug in einer Pfütze liegt. Denn Eisenpartikel finden sich ja auch in ganz normalen Böden.

Aus meinen Zweigen schnitze man früher auch Pfeifen. Vielleicht, weil ich wirklich nicht gut brenne. Als Kaminholz bin ich deshalb nicht zu gebrauchen. Wie schon gesagt, meine Kompetenz ist ja eher das Wasser.

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