Wer als Erstkläßler mehr als nur ein pummeliger Wonneproppen ist, hat oft auch als Erwachsener Gewichtsprobleme. Darauf hat am Dienstag, 31. September, Professor Dr. Klaus Kruse, Direktor der Kinderklinik der Medizinischen Universität zu Lübeck, während einer gemeinsam mit dem Kinder- und Jugendärztlichen Dienst der Hansestadt Lübeck veranstalteten Pressekonferenz hingewiesen. Der insbesondere in den westlichen Industrienationen zu beobachtende Trend, daß immer mehr Kinder übergewichtig sind, ist auch in Lübeck festzustellen. Knapp 17 Prozent der Erstkläßler waren bei der Einschulung 1998 übergewichtig oder stark übergewichtig. Diese Angaben finden sich in der "Elternumfrage Adipositas (starkes Übergewicht, Fettsüchtigkeit) im Kindesalter", die am Dienstag erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Basis des Umfrageberichts ist eine Erhebung unter den Eltern von in diesem Jahr in Lübeck eingeschulten Kindern. Bei der 1998er Einschulungsuntersuchung beteiligten sich 70 Prozent, über 1300 Eltern, an dieser freiwilligen Umfrage. Wie Lübecks Sozialsenatorin Dagmar Pohl-Laukamp erläuterte, sollte, basierend auf den Erkenntnissen und der Auswertung der Umfrage, ein Netzwerk aufgebaut werden, das Eltern von übergewichtigen Kindern bei diesem ernstzunehmenden Gesundheitsproblem hilft. Sie wolle anregen, daß eine entsprechende Selbsthilfegruppe gebildet wird. Zugleich hofft sie, daß Bundesgesundheitsministerin Andrea Fischer den sogenannten Präventionsparagraph wieder ins Sozialgesetzbuch aufnimmt. Das nämlich würde bedeuten, daß die Krankenkassen entsprechende Präventionsmaßnahmen (wieder) bezahlten.
Bislang sei, vor allem mangels vorhandener Strukturen, die Prävention von Adipositas zu kurz gekommen, sagte Professor Kruse. Dabei gebe es, wissenschaftlich belegt, nur einen sehr geringen Prozentsatz von Dicken, deren Fettleibigkeit genetisch bedingt sei. Beachtet werden müsse auch, daß Fettsucht Milliarden Mark an Folgekosten verursache, die bei der Behandlung typischer adipöser Folgeerkrankungen - Herz- und Kreislauf oder auch psychische Probleme - anfielen. Daher sollte frühzeitig gegengesteuert werden, rät Kruse, der die Ergebnisse der Lübecker Studie während der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie am 9. September in München erstmals der bundesdeutschen Fachwelt vorstellt.
Das weit verbreitete und im wahrsten Sinne des Wortes zunehmende Phänomen Adipositas beschäftigt auch die Weltgesundheitsorganisation WHO, die sogar von einer "schleichenden Epidemie" spricht, so Diplom-Psychologe Dr. Gerald Ullrich, von der MUL. Bei kleinen Kindern, erklärte der Experte, gehöre Adipositas zum häufigsten Krankheitsproblem überhaupt. Er verdeutlichte das an Zahlen. Etwa zwei Prozent der Kinder litten unter Asthma, aber bereits 15 - mit der Tendenz zu 20 - Prozent unter Fettleibigkeit. Dabei gebe es einen engen Zusammenhang zum Elternhaus: Studien aus den USA zeigten, daß Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil dick sei, oftmals auch zu dicken Erwachsenen würden.
Und noch eine weitere, mit internationalen Forschungsergebnissen übereinstimmende Erkenntnis brachte die Lübecker Studie: Adipositas ist eng mit der sozialen Lage der Familie und - in geringerem Maße - mit dem täglichen Fernsehkonsum verbunden: In den Stadtteilen Moisling, Buntekuh und Kücknitz liegt der Anteil übergewichtiger Kinder deutlich über dem Durchschnitt, erklärte Dr. Hartmut Stöven, Leiter des Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes.
MUL und der Kinder- und Jugendärztliche Dienst sehen die Studie als ersten Schritt, um dem Wohlstandsproblem Adipositas entgegenzutreten. Die Zusammenarbeit beider Einrichtungen hat übrigens bundesweit modellhaften Charakter.
Hinweis für die Redaktionen: Der Bericht kann über den Kinder- und Jugendärztlichen Dienst der Hansestadt Lübeck, Sophienstraße 2-8, Telefon: (0451) 122-53 32, angefordert werden. +++