„Seit 500 Jahren bietet das gotische Gemäuer eine Heimstatt. Nonnen, Waisenkinder, Kunstschätze – sie alle fanden hier ihr Zuhause. Waren es 1515 die unverheirateten Töchter der Hansekaufleute, so folgten 1615 die Armen, Waisen und Ausgegrenzten der Stadt, bis 1915 die Kunstschätze der Hansestadt ins Kloster einzogen. Das Haus wurde vom Armenhaus zum Schatzhaus. Heute finden die Lübecker hier also die Schätze ihrer Heimatstadt, den Reichtum, der einst hinter deren weltberühmten Fassaden verborgen war“, erklärt Dr. Bettina Zöller-Stock, Leiterin des St. Annen-Museums. In Lübeck gab es Ende des 15. Jahrhunderts nur ein Kloster, das Töchter aus der Stadt aufnahm: das St. Johannis-Kloster. 1502 fasste eine Gruppe angesehener Bürger den Plan, ein neues Frauenkloster zu errichten. Die engen Beziehungen der Initiatoren zu Rat und Dom erwiesen sich als Vorteil. Als ein Bauplatz gefunden und die Anschubfinanzierung gesichert war, stimmten weltliche und geistliche Macht dem Vorhaben schnell zu. Der Bischof legte fest, dass das Kloster der Heiligen Anna, der Mutter Marias, geweiht werden solle.
Im Jahr 1502 wurden Baumaterialien per Schiff herangeschafft, am 30.8.1502 war feierliche Grundsteinlegung im Beisein des Bischofs. Am18.9.1502 fand der erste Gottesdienst auf dem Bauplatz in einer provisorischen Holzkapelle nebst Spendensammlung und Ablassverkauf zu Gunsten des Klosters statt. Am18.5.1508 wurden der Chors, der Kreuzgang und die Glocken durch den Bischof geweiht, 1515 wurde der Klosterneubau für vollendet erklärt. Über den Alltag im Kloster ist nicht viel bekannt. Neben den regelmäßigen Gebeten und Messen kamen die Nonnen den für ihren Orden spezifischen Aufgaben nach. Zu diesen gehört die Beschäftigung mit geistlicher Literatur bis hin zur Erstellung liturgischer Handschriften bzw. Büchern genauso wie der seelsorgerische Dienst und rechtgläubige Unterricht. Das Anfertigen von Handschriften im St. Annen-Kloster ist belegt. Erhalten haben sich zwei Antiphonare – liturgische Bücher mit Sammlungen von Gesängen – aus den Jahren 1520 und 1522. Der Nonnenkonvent sollte aber nur 15 Jahre bestehen. Mit der Einführung der Reformation ändert sich alles. Die Nonnen lehnten diese ausdrücklich ab und verließen bis 1542 das Kloster.
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts verschlechterte sich in Lübeck zusehends die wirtschaftliche Lage. Große Teile der Stadtbevölkerung glitten in Armut ab. Für große Probleme sorgte der Zuzug der Landbevölkerung, die in der Stadt keine Arbeit fand und bettelte. Die Armenversorgung, die bis dahin in der Kirchenordnung geregelt war, versagte. Auf Drängen der Bürgerschaft wurde 1601 eine neue Armenordnung erlassen. In das Kloster, das jetzt St. Annen Armen- und Werkhaus hieß, wurden neben den arbeitsfähigen Armen auch Waisenkinder eingewiesen. Hier erhielten sie Essen und Kleidung, hier sollten sie zur Arbeit und zu einem gottesfürchtigen Leben erzogen werden.
Auch ein Zuchthaus wurde eingerichtet. Im Armen- und Werkhaus lebten bei hoher Fluktuation meist mehrere hundert Menschen. Die Gesamtzahl der jährlich versorgten Personen lag um 1836 bei rund 1000. In der Ausstellung thematisiert werden auch die beiden Brandkatastrophen, die sich in dem völlig überfüllten Haus in den Jahren 1835 und 1843 ereigneten. Als 1908 das bislang im St. Annen-Kloster beheimatete Zuchthaus in einen Neubau am Lauerhof umzog, erschien das Klostergebäude als die Lösung für die Platzprobleme im Museum am Dom. Der Senat überließ der Gemeinnützigen das St. Annen-Kloster für Museumszwecke.
Der damalige Stadtbaurat Baltzer fertigte 1909 Nutzungspläne an, das Konzept der Ausstellung hatten die beiden Kuratoren Theodor Hach vom Museum für Lübeckische Kunst und Kulturgeschichte und Max Metzger vom Gewerbe-Museum erarbeitet. Nach dem plötzlichen Tod Hachs 1910 wurde ab April 1911 Karl Schaefer (erster hauptamtlicher Museumsdirektor von 1911 bis 1920) mit dem Ausbau des St. Annen-Klosters zu einem Museum beauftragt.
Bis zur kriegsbedingt verzögerten Eröffnung des St. Annen-Museums im September 1915 passten Schaefer und Baltzer das Raumprogramm den finanziellen Zusagen des Senats an. Sie sparten die Hälfte der ursprünglich veranschlagten Summe für den Um- und Ausbau der verwohnten und ausgebrannten Gebäude ein. Alles in allem wurden175000 Reichsmark aufgewendet.
100 Jahre Museum im Überblick:
1915 werden unter dem Dach des St. Annen-Klosters aus dem Museum am Dom die Bestände des Museums Lübeckischer Kunst- und Kulturgeschichte, teils wieder zusammengeführt, mit denen des Gewerbemuseums gezeigt. 1922 beginnt die Überführung der Gemälde- und Kupferstichsammlung und der Sammlung Overbeck aus dem Museum am Dom in das zu diesem Zweck erworbene Behnhaus in der Königstraße 11.
1926 bestückt Carl Georg Heise (Museumsdirektor von 1920 bis 1933) die Katharinenkirche mit Gipsabformungen von mittelalterlichen Skulpturen aus Lübeck im Ostseeraum und nutzt sie als Museumskirche für Sonderausstellungen. 1937 richtet Hans Schröder (Museumsdirektor von 1934 bis 1946) das Holstentor im Sinne der NS-Ideologie als Wehrmuseum mit den historischen Waffen aus dem St. Annen-Museum ein. Die prähistorischen Bodenfunde und volkskundlichen Objekte wandern aus dem St. Annen-Museum zurück ins Museum am Dom zum Aufbau eines heimatkundlichen Museums. Dort werden sie durch den Bombenangriff vom 28. auf den 29. März 1942 (gen. Palmarum) weitgehend zerstört.
1945 stellt die Hansestadt die Katharinenkirche denjenigen Kirchengemeinden zur Verfügung, deren Gotteshäuser durch den Bombenangriff 1942 zerstört sind. Die Gipsabgüsse wandern ins Depot des St. Annen-Museums. 1946 beginnt unter Hans Arnold Gräbke (Museumsdirektor von 1946 bis 1955) die Rückführung kriegsbedingt ausgelagerter Kunstschätze, Restaurierung, Wiederaufbau und Neuorganisation der Schausammlungen im Holstentor und im St. Annen-Museum. Das Behnhaus dient bis 1949 als Residenz der Britischen Alliierten. 1964 finden die gesamte Graphische Sammlung, Topographie, Portrait- und Fotosammlung durch die Erweiterung des St. Annen-Museums unter Fritz Schmalenbach (Museumsdirektor von 1956 bis 1974) ihren Platz im Verwaltungsgebäude des St. Annen-Museums in der Düvekenstraße.
1974 erhält das Behnhaus unter Wulf Schadendorf (Museumsdirektor von 1974 bis 1985) seine besondere Atmosphäre durch die Kombination von Wohnambiente im Seitenflügel und in der Beletage mit Gemälden der Romantik und klassischen Moderne. 1981 wird das Drägerhaus, mit Unterstützung von Heinrich und Lisa Dräger erworben, als Erweiterung des Behnhauses für die Präsentation der Klassischen Moderne und die Geschichte der Familie Mann eröffnet.
2003 Mittel der Possehl-Stiftung ermöglichen die Überbauung der Klosterkirchenruine für die Präsentation moderner bildender Kunst. Die Kunsthalle St. Annen verbindet Kunstgenuss mit architekturpreisgekrönten Raumerlebnissen. 2006 werden alle – inzwischen zehn - Lübecker Museen mit einzelnen Hausleitern der zentralen Verwaltung der Kulturstiftung der Hansestadt Lübeck unterstellt. 2013 wird die bestehende Einheit von Kunsthalle St. Annen und St. Annen-Museum zum Museumsquartier St. Annen umbenannt. Durch Stiftungen und Schenkungen haben die Sammlungen unter dem Dach des St. Annen-Museums ihre international nachgefragten Schwerpunkte und Profile erlangt: mittelalterliche sakrale Kunst Graphik und Zeichnungen kulturhistorische und topographische Blätter. +++