Rede von Bürgermeister Saxe zum Haushalt 2006

Veröffentlicht am 24.11.2005

Rede von Bürgermeister Saxe zum Haushalt 2006

Rede von Bürgermeister Saxe zum Haushalt 2006

050964L 2005-11-24

Bürgermeister Bernd Saxe hat heute der Bürgerschaft den Haushaltsplan 2006 vorgelegt. Dieser weist bei Einnahmen von fast 493 Millionen Euro Ausgaben von rund 646 Millionen Euro im Verwaltungshaushalt gegenüber. Das erwartete Defizit beläuft sich somit auf 153,5 Millionen Euro.

In seiner Haushaltsrede sagte Saxe (es gilt das gesprochene Wort!):

„(...) Der Haushalt, den ich heute vorlege, schließt mit einem Defizit von 153,5 Mio. Euro. Ich habe in Vorbereitung auf den heutigen Tag noch mal nachgeblättert, mit welchen Worten ich die Defizite in den vergangenen Jahren geschildert habe, und habe festgestellt: Die angemessenen Vokabeln sind verbraucht. Von einer dramatischen Haushaltslage habe ich schon 2003 gesprochen. Vom größten Defizit in der Geschichte der HL war 2004 die Rede. Einen gigantischen Fehlbetrag habe ich Ihnen 2005 präsentiert. Es fehlen mittlerweile im wahrsten Sinne die Worte, um noch angemessen zu beschreiben, wie die Lage tatsächlich ist.

Vor ca. 12 Monaten habe ich Ihnen vorhergesagt, dass ich Ihnen heute, im November 2005, einen Haushalt für das Jahr 2006 werde vorlegen müssen, der ein Defizit von voraussichtlich € 110 Mio. ausweisen wird. Die Realität, heute, 12 Monate später, hat die Prognose weit übertroffen: Wir beraten heute über einen Haushalt mit über 150 Mio. Euro Unterdeckung.

Wenn ich vorhersagen soll, über welche Zahlen wir von heute an in wiederum ca. 12 Monaten zu reden haben, dann vermute ich, dass wir dann den Haushalt 07 mit einem Defizit von ca. € 200 Mio. vor uns liegen haben. Und sollte der vorliegende Antrag eine Mehrheit finden, für die Jahre 07 und 08 wiederum einen Doppelhaushalt in Angriff zu nehmen, dann reden wir wohl über ein Gesamt-Defizit von annähernd 500 Mio.

Mich tröstet es überhaupt nicht, dass nicht wir allein in dieser extrem schwierigen Lage stecken. Der Deutsche Städtetag hat vor wenigen Wochen seinen „Gemeindefinanzbericht 2005“ vorgelegt, der für die Gesamtheit der Städte in Deutschland ein einheitlich düsteres Bild zeichnet: Die Finanzlage ist überall dramatisch, die Städte schreiben Rekorddefizite, die Verschuldung steigt nahezu überall. Trotz größter Anstrengungen zur Sanierung auf der Ausgabenseite, trotz hier und da leicht steigender Steuereinnahmen rutschen die Städte immer tiefer in die Katastrophe. Die Investitionstätigkeit sinkt rapide weiter ab, beträgt nur noch 60 % des Niveaus von 1992. Investitionen aber sind Aufträge und Umsätze für die Wirtschaft, insb. für kleine und mittlere Unternehmen, für Handwerk und Gewerbe. Durch die ausbleibenden öffentlichen Aufträge verschärfen wir also die Krise, statt gegenzusteuern, was eigentlich erforderlich wäre.

Die Kassenkredite, der Dispo der Kommunen, sind laut Städtetag seit 2000 um unglaubliche 200 % gestiegen – ich mag gar nicht daran denken, wohin es führt, wenn wir tatsächlich vor steigenden Zinsen stehen. Und darauf deutet vieles hin, die Finanzwelt geht sicher von einem Anstieg des Zinsniveaus aus.

Auch der Landesrechnungshof Schleswig-Holstein hat seinen „Kommunalbericht 2005“ präsentiert und kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie der Deutsche Städtetag. Und er bescheinigt uns, die Kommunen in Schleswig-Holstein hätten auf die dramatische Lage rechtzeitig und angemessen reagiert und große Anstrengungen unternommen, um auf der Ausgabenseite zur Haushaltskonsolidierung zu kommen. Aber, so der Rechnungshof weiter: Grundvoraussetzung zur Konsolidierung ist eine verlässliche und stetige Finanzausstattung, die zurzeit nicht gegeben ist.

Der Innenminister des Landes Schleswig-Holstein hat den Kommunen vor einiger Zeit eine Liste übersandt mit 40 Vorschlägen für Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung. Eine Analyse der Liste hat ergeben: Von den 40 Vorschlägen haben wir in Lübeck 38 bereits umgesetzt. Mit anderen Worten: Auch unserer Rechtsaufsichtsbehörde fällt nichts mehr ein, was Lübeck selbst noch zur Verbesserung seiner Finanzlage tun könnte.

Denn: Die Ursachen dieser Entwicklung sind im Wesentlichen externer Natur, sie sind weder von den Kommunen verursacht noch sind sie durch uns beeinflussbar:

Die erheblichen Steuerausfälle der Jahre 2000ff sind Ergebnis der Steuerrechtsänderungen des Jahres 1998 – Steuerausfälle, die vermutlich niemand gewollt hat, sondern die sozusagen „Kolateralschäden“ einer eigentlich gut gemeinten Entlastung der Wirtschaft von Steuerlasten waren. Mit den Folgen haben wir bis heute zu kämpfen.

Die Finanzzuweisungen, die uns im Rahmen des Kommunalen Finanzausgleiches zufließen, sinken seit Jahren kontinuierlich. Allein im Jahre 2006 beträgt der Rückgang zu 2005 7,3 % oder 8 Mio. Euro.

Hartz IV mag jeder sozial- und wirtschaftspolitisch bewerten, wie er mag. Meine Haltung dazu ist bekannt. Finanziell aber war die Reform nach jetzigem Kenntnisstand für die Städte und Gemeinden eine Katastrophe. Statt angenommener 11.000 Bedarfsgemeinschaften haben wir aktuell in der Hansestadt Lübeck 16.000 zu betreuen und zu versorgen. Im Laufe des Jahres 2006 müssen wir mit einem Anstieg auf 20.000 rechnen. Das führt zu einem Anstieg der finanziellen Lasten aus dieser Reform in einer Größenordnung von € 17,7 Mio. – im Jahre 2006 im Vergleich zu 2005.

Sie alle werden sich noch daran erinnern, dass die „große Politik“ uns diese Reform als das Kernstück einer großen kommunalen Finanzreform angepriesen hat. Den Kommunen sollte es nach der Reform finanziell deutlich besser gehen als vorher. Insgesamt war von einer Entlastung der Kommunen in einer Größenordnung von mehreren Milliarden die Rede; für die Hansestadt Lübeck wurde die Entlastungswirkung auf € 15 – 20 Mio. geschätzt. Und damit nicht genug: Wie der Bund es gerne tut, hatte er unsere finanzielle Entlastung bereits anderweitig verplant: Es wurde ein Gesetz zur Verbesserung der Kinderbetreuung im Bereich der unter 3-Jährigen beschlossen. Die Finanzierung der kommunalen Mehraufwendungen sollte aus den Entlastungen erfolgen, die den Kommunen aus Hartz IV zuwachsen. Das U-3-Gesetz gibt es selbstverständlich immer noch, allein: Die Entlastung ist ausgeblieben, hat sich vielmehr in eine riesige Mehrbelastung verwandelt.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich halte Hartz IV im Grundsatz nach wie vor für eine notwendige und richtige Reform des Arbeitsmarktes. Und ich begrüße auch ausdrücklich den Ausbau der Kinderbetreuung, auch für die unter 3-Jährigen. Aber: Es muss Schluss sein damit, dass solche Verbesserungen immer zu Lasten der Kommunen gemacht werden, ohne dass zugleich eine finanzielle Entlastung erfolgt.

Alles in allem muss auch am Ende des Jahres 2005 festgestellt werden: Die Hansestadt Lübeck befindet sich in einer dramatischen Finanzsituation, aus der sie sich aus eigener Kraft nicht befreien können wird. Wir sind auf die Hilfe von Bund und Land angewiesen, die auf gesetzgeberischem Wege einer Gesundung der kommunalen Finanzen in ganz Deutschland herbeiführen müssen.

Und in dieser Hinsicht schöpfe ich durchaus Hoffnung aus dem Koalitionsvertrag, der vor wenigen Tagen in Berlin von CDU und SPD unterzeichnet worden ist.

Es ist schon ein Novum, dass die finanzielle Lage der Kommunen in einem Koalitionsvertrag auf Bundesebene überhaupt nennenswert Erwähnung findet. Im neuen Berliner Werk ist das sogar mehrfach der Fall. Die Koalitionsparteien erklären es zum politischen Ziel ihrer Arbeit, die Haushalte von Bund, Ländern und Gemeinden in einer gemeinsamen Anstrengung zu konsolidieren. Daran wird man sie messen dürfen!

Sie erklären: „Die Kommunalfinanzen müssen auch künftig auf einer soliden Basis stehen.“ Sehen wir einmal davon ab, dass die Formulierung „auch künftig“ der Realität nicht gerecht wird, ist das Ziel dennoch begrüßenswert.

Die neue Bundesregierung beabsichtigt, die Steuereinnahmen aller staatlichen Ebenen zu erhöhen. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer, das Schließen von Schlupflöchern im Bereich der Einkommenssteuer, die Anhebung des Spitzensteuersatzes um drei Prozent: Dies alles sind sicher schmerzhafte Maßnahmen, über die man auch unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit und Sozialverträglichkeit lange reden kann, die man auch hinsichtlich konjunktureller Auswirkungen diskutieren kann, aber es sind notwendige Maßnahmen zur Verbesserung der Einnahmesituation des Staates. Der unselige Wettlauf der Parteien in den letzten Jahren, wer das größte Steuersenkungsprogramm vorlegt, hat nicht unwesentlich zur schwierigen Lage beigetragen. Wir müssen heute erkennen, dass alle öffentlichen Finanzsysteme vor dem Konkurs stehen: Bund, Länder und Gemeinden ebenso wie alle Sozialversicherungssysteme. Und bei aller Notwendigkeit von Sparmaßnahmen und Ausgabensenkungen ist klar: Auch auf der Einnahmenseite muss etwas getan werden. Denn man kann nicht jeweils am Sonntag über die Notwendigkeit von besserer Bildung, mehr Kinderbetreuung, einer besseren Ausstattung der Schulen und vielen anderen Notwendigkeiten reden, und dann von Montag bis Freitag täglich eine neue Steuersenkung zu verkünden.

Es ist das Verdienst der neuen Berliner Koalition, dies erkannt zu haben und die notwendigen Schritte zumindest verabredet zu haben, um wieder zu handlungsfähigen staatlichen Institutionen zu kommen.

Auch ansonsten enthält die Koalitionsvereinbarung in Berlin manche Vereinbarungen, die für die Hansestadt Lübeck erfreuliche Perspektiven eröffnen:

Es ist eine Erhöhung der Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur Schiene, Straße und Wasser vorgesehen, die Mittel für den Bundesverkehrswegeplan sollen deutlich erhöht werden. Weiter soll ein Masterplan Güterverkehr aufgelegt werden. Das alles ist gut für den Hafenstandort Lübeck.

Auch die beabsichtigte Stärkung des Schienenverkehrs ist gut für Lübeck; wir danken Otto Wiesheu für sein unermüdliches Engagement zum Wohle unserer Stadt.

Von der beabsichtigten Forcierung der Transeuropäischen Netze kann der Elbe-Lübeck-Kanal profitieren.

Bei all den positiven Nachrichten in Bezug auf Hafen und Logistik gibt es allerdings auch einen Punkt, der mir Sorge macht: Bei der Lektüre des Koalitionsvertrages stolpert man geradezu über höchst kryptische Formulierung zur künftigen Förderung westdeutscher Hafeninvestitionen aus Mitteln der Gemeinschaftsaufgabe „Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur“. Auch nach Rücksprache mit den Experten aus dem Kieler Ministerium kann die entsprechende Passage bedeuten, dass Hafeninvestitionen im Westen künftig nicht mehr aus GA-Mitteln gefördert werden sollen, während diese Förderung im Osten weitergeht.

Sollte sich dies bestätigen, wäre eine solche Neuausrichtung der Förderpolitik des Bundes für Lübeck in doppelter Hinsicht höchst problematisch:

Einerseits stehen wir bekanntlich in und vor bedeutenden und sehr umfangreichen Hafeninvestitionen: Skandinavienkai, Seelandterminal, Teerhofsinsel – alle diese Investitionen sind notwendig, um die Zukunftsfähigkeit des Lübecker Hafens zu sichern, um die zu erwartenden Verkehre der nächsten Jahre abwickeln zu können und um die Arbeitsplätze im Hafen zu erhalten und auszubauen. Ob wir diese Investitionen in Anbetracht unserer Finanzlage auch realisieren könnten, wenn die GA-Förderung tatsächlich wegfiele, darf bezweifelt werden.

Aber auch die Verschärfung des Fördergefälles zwischen Ost und West, die mit dieser Verabredung möglicherweise vorbereitet wird, würde zu einer weiteren Wettbewerbsverzerrung zu Lasten des Lübecker Hafens führen, die unsere weitere Entwicklung erheblich erschweren könnte.

Wir alle sollten unsere jeweiligen Möglichkeiten nutzen, um auf die Bundespolitik Einfluss zu nehmen mit dem Ziel, die Förderfähigkeit des Lübecker Hafens zu erhalten und weitere Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden.

Lassen Sie mich nur noch stichwortartig einige weitere Lübeck-relevante Punkte aus dem Koalitionsvertrag des Bundes erwähnen:

Die beabsichtigte verstärkte Förderung der Forschung im Bereich adulter Stammzellen ist für Lübeck hoch interessant, denn in diesem Bereich medizinischer Forschung ist unsere Uni führend.

Ein beabsichtigtes Planungsbeschleunigungsgesetz für Großprojekte kann uns sowohl in der Hafen- als auch in der Flughafenentwicklung helfen.

Die Ankündigung, NATURA 2000 künftig „mit Augenmaß“ umzusetzen, lässt hoffen ...

Zurück zur Lübecker Haushaltssituation. Lassen Sie mich abschließend in aller Kürze Bericht erstatten über den Stand der Umsetzung der verschiedenen Konsolidierungsmaßnahmen, die Sie – die Bürgerschaft – uns – der Verwaltung – in den letzten Haushaltsberatungen aufgetragen haben:

Mit dem Programm „Minus 500“ haben Sie uns aufgetragen, die Personalkosten der Stadt in den Jahren 2005 – 2010 um jährlich 3 % zu senken. Im ersten Jahr haben wir diese Vorgabe überfüllt, die erzielte Reduzierung wird mit 4,65 % berechnet. Insgesamt sind die Personalausgaben in den letzten Jahren kontinuierlich gesenkt worden, ihr Anteil an den Gesamtausgaben ist auf den historisch niedrigen Wert von 22,3 % gesunken.

Die Reduzierung der Zuweisungen und Zuschüsse um jährlich 3 % ist ein schwieriger, konfliktbehafteter Prozess, der noch deutlicher Fahrt aufnehmen muss, als dies bislang erfolgt ist.

Die Einführung der Kaufmännischen Buchführung ist auf dem Weg, wird uns aber wegen der Dimension des Vorhabens noch über viele Jahre beschäftigen.

Die Vergabe des Zinsmanagements an einen externen Partner schreitet munter voran; wir sind derzeit in der Auswertung der eingegangenen Angebote.

Das Outsourcing der IT ist beschlussreif; ich habe verstanden, dass die heutige Vertagung keine grundlegende Abkehr von diesem Weg bedeutet sondern lediglich der intensiveren Befassung mit den umfangreichen Unterlagen dient.

Die Neustrukturierung der Verwaltung im Bereich der Sozialen Dienste ist weitgehend abgeschlossen; die neue Organisation dient einem besseren Service bei geringerem Verwaltungsaufwand.

Die Flughafenprivatisierung hat uns hier verschiedentlich beschäftigt; der erreichte Zwischenstand eröffnet alle Optionen für die Zukunft.

Die Entsorgungsbetriebe haben das Tal der Tränen durchschritten; es geht spürbar aufwärts. Die Vorschläge zur weiteren Optimierung und Neustrukturierung werden die Bürgerschaft in einer ihrer nächsten Sitzungen beschäftigen.

Bei der Reduzierung der Verlustzuweisungen an städtische Gesellschaften, Betriebe und Sondervermögen kommen wir spürbar voran. Insbesondere die Überwindung der krisenhaften Situationen bei EBL und KWL, die Sanierung des Bäderbetriebes und die Privatisierung des Flughafens haben dazu beigetragen.

Sie sehen, meine Damen und Herren: Wir tun, was wir können. Aber es gilt noch immer die Feststellung, die ich hier bei den letzten Haushaltsberatungen getroffen habe: Die Probleme wachsen schneller als unsere Möglichkeiten, zu ihrer Lösung beizutragen. Ohne Hilfe von Bund und Land ist die Haushaltskrise nicht zu bewältigen.

Zum Schluss gilt mein herzlicher Dank den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung, die trotz der riesigen Probleme, vor denen wir stehen, engagiert und kompetent ihren Job machen und auch zu diesen Haushaltsberatungen wieder mit vollem Einsatz daran gearbeitet haben, Ihnen heute eine umfangreiche Vorlage zu erarbeiten, die den Stand der städtischen Finanzen in aller Schonungslosigkeit wider gibt.

Vielen Dank“.

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