Günter Grass und Hansestadt Lübeck schließen Vertrag

Veröffentlicht am 11.02.2001

Günter Grass und Hansestadt Lübeck schließen Vertrag

Günter Grass und Hansestadt Lübeck schließen Vertrag

010132D 2001-02-11

Die Hansestadt Lübeck und der Literaturnobelpreisträger Günter Grass haben einen Rahmenvertrag zur Einrichtung eines Günter-Grass-Hauses in Lübecks Altstadt geschlossen. Die Vertragsunterschrift leisteten Günter Grass, Bürgermeister Bernd Saxe (SPD) und Kultursenator Ulrich Meyenborg (SPD) am Sonntag, dem 11. Februar, im Roten Saal des historischen Lübecker Rathauses.


Der Vertrag sieht vor, daß die Hansestadt das Haus in der Glockengießerstraße 21 erwirbt. Dort hat der Schriftsteller 1995 nach seinem Umzug von Berlin seinen Wohnsitz genommen und sein Sekretariat eingerichtet. In der Diele und im Hofgebäude des Gebäudes soll ab 16. Oktober 2002, dem 75. Geburtstag von Grass, eine erste Ausstellung öffentlich zugänglich sein. Mit Ausnahme der für die Akademie der Künste in Berlin bestimmten Teile erwirbt die Hansestadt zu diesem Zweck dort lagernde “Vorlaß”-Bestände des literarischen und bildkünstlerischen Werkes ihres derzeit prominentesten Bürgers.

Die Ausstellung wird auf rund 200 Quadratmetern die Verbindung von bildender Kunst und Literatur von den frühen 50er Jahren bis in die Gegenwart zeigen. Das Konzept geht dabei von Wechselausstellungen aus, die nicht länger als sechs bis zwölf Monate gezeigt werden sollen.

Günter Grass und Lübecks Bürgermeister zeigten sich erfreut über das gemeinsame Projekt. “Nachdem Günter Grass 1995 seinen Lebensmittelpunkt in unsere Stadt verlegt hat, ist es uns Ehre und Verpflichtung zugleich, beizeiten dafür Sorge zu tragen, daß Lübeck auch über den Tod des Dichters hinaus zu einem Ort der ständigen Pflege seines künstlerischen Schaffens werden kann”, sagte Saxe. Da die Haushälfte in der Glockengießerstraße 2, die Günter Grass nicht gehört, zum sofortigen Verkauf ansteht, müßten bereits jetzt die entscheidenden Weichen gestellt werden.

Zum Konzept des Hauses: Durch die ständige Aktualisierung aus den Beständen des Günter-Grass-Hauses soll die Attraktivität des Hauses gesteigert werden. Es wird ein Raum für Lesungen, Tagungen und Veranstaltungen für bis zu 100 Personen eingerichtet werden. Lübeck kann damit zu einem Zentrum der spartenübergreifenden Beschäftigung mit neuer und neuester Literatur und Kunst werden. Günter Grass hat dazu seine Unterstützung zugesagt.

Im Vorderhaus wird ein Laden eingerichtet, in dem Bücher und Kunstdrucke von Günter Grass angeboten werden. Auf diese Weise können über Einnahmen aus den Eintrittskarten und dem Verkauf im Laden die Betriebskosten durch Eigeneinnahmen gesenkt werden. Es ist davon auszugehen, daß die durch den Betrieb ab Oktober 2002 anfallenden zusätzlichen Kosten für Aufsichts- und Verkaufspersonal durch die Einnahmen im Wesentlichen gedeckt werden.

Die Hansestadt Lübeck muß als ersten Schritt zum Ankauf der Haushälfte, dem Erwerb des Vorlasses und für Umbau- und Erweiterungsmaßnahmen insgesamt rund 3,4 Millionen Mark vorfinanzieren. Sie hofft durch Sponsoren, Fördermittel und sonstige Einnahmen die Belastung des angespannten städtischen Haushaltes so gering wie möglich halten zu können, sagte Kultursenator Ulrich Meyenborg.

Hintergrund: Seit 1999 ist Lübeck die einzige deutsche Stadt mit zwei Literaturnobelpreisträgern. Das Angebot von Günter Grass stellt für die “Kulturstiftung Hansestadt Lübeck”, die bereits das Buddenbrookhaus im Gedenken an die Brüder Thomas und Heinrich Mann unterhält, eine weltweit einmalige Chance dar, Forschungs- und Gedenkstätten für zwei deutsche Literaturnobelpreisträger des 20. Jahrhunderts zu betreiben. Die Verknüpfung ist äußerst sinnvoll: Thomas Mann steht, gemeinsam mit Heinrich und seiner Familie, repräsentativ für die Literatur der ersten Hälfte des Jahrhunderts, mit Rückgriffsmöglichkeiten in das 19. Jahrhundert. Günter Grass steht exemplarisch für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und öffnet uns den Weg in das 21. Jahrhundert.

Das Günter-Grass-Haus in Lübeck, die Akademie der Künste in Berlin und die Günter-Grass-Stiftung Bremen mit ihrem audiovisuellen Archiv wollen im Interesse der wissenschaftlichen Erforschung des Gesamtwerkes von Günter Grass und dessen Vermittlung in der Öffentlichkeit künftig eng zusammenarbeiten.

Der Betrieb durch die Kulturstiftung Hansestadt Lübeck macht nicht nur inhaltlich Sinn, sondern ist auch aus finanziellen Erwägungen geboten. Durch die Synergieeffekte aufgrund der vorhandenen Stiftungsinfrastruktur (gemeinsame Verwaltung und Werbekonzepte, wissenschaftliche Mitarbeiter sind für beide Häuser tätig) können die Kosten gegenüber einer eigenständigen Institutsgründung weitaus niedriger gehalten werden.

Für den Fachbereich Kultur ist dieses Projekt dabei nicht nur aus literaturwissenschaftlichen und kulturpolitischen Erwägungen bedeutsam und einmalig. Auch aus touristischer Perspektive kann von einer äußerst wirkungsvollen und nachhaltigen Investition ausgegangen werden. Speziell durch die in Lübeck vorgesehene Präsentation seiner bildkünstlerischen Werke und durch die große Reputation von Günter Grass im In- und Ausland wird damit ein Haus ermöglicht, das die Verknüpfung von anspruchsvoller literarischer Arbeit und großer Resonanz in der Öffentlichkeit erreichen wird.

Durch das gemeinsame Dach der Kulturstiftung ist mit den beiden Nobelpreisträgern eine Bündelung der literarischen Aktivitäten möglich, die im kulturtouristischen Bereich etwa in einer gemeinsamen Eintrittskarte für beide Häuser, sowie die Markierung eines “Literaturpfades”, der die nur 800 Meter von einander entfernten Häuser verbindet, Ausdruck finden kann. +++