Lübeck gibt Staraja Russa “requirierte” Glocke zurück

Veröffentlicht am 05.02.2001

Lübeck gibt Staraja Russa “requirierte” Glocke zurück

Lübeck gibt Staraja Russa “requirierte” Glocke zurück

010112D 2001-02-05

Der 18. Februar ist für die Region Novgorod in Rußland ein bedeutender Tag: Es ist der Tag der “Befreiung von den Deutschen”. In diesem Jahr wird dieser dritte Februar-Sonntag ganz im Zeichen der deutsch-russischen Beziehungen und der Völkerverständigung stehen. Denn eine Delegation aus der Hansestadt Lübeck, mit Kultursenator Ulrich Meyenborg an der Spitze, wird an diesem Tag die Glocke der alten Kirche der Heiligen Mina an die heutige Eigentümerin, die russische Stadt Staraja Russa, zurückgeben. An der Übergabezeremonie, die in Rußland auf großes öffentliches Interesse stößt, nehmen neben dem Bürgermeister von Staraja Russa, Jewgenij Rjabow, auch der Gouverneur des Gebietes Novgorod, von der Funktion her vergleichbar mit einem deutschen Ministerpräsidenten, sowie der Generalkonsul der Bundesrepublik Deutschland in St. Petersburg, Ulrich Schöning, teil.

Damit kehrt die Glocke nach fast 60 Jahren zurück nach Rußland. Im Kriegsjahr 1941 wurde Staraja Russa von Truppenteilen des deutschen X. Armeekorps, in dem auch Soldaten aus Lübeck verpflichtet waren, besetzt. Dabei wurde eine Glocke der Heiligen Mina beschlagnahmt und im Dezember 1942 nach Deutschland gebracht, wo sie am 19. Januar 1943 der Hansestadt Lübeck im Heiligen-Geist-Hospital übergeben wurde. Die Übergabe fand damals unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Dieser Umstand kann durchaus auch als Zeichen des vorhandenen Unrechtsbewußtseins gewertet werden, denn die Beschlagnahme und Wegnahme von kirchlichem Eigentum und Kunstwerken im Krieg war bereits damals ein Verstoß gegen das Völkerrecht. Da die Glocke in Lübeck auch nicht inventarisiert wurde, entrückte sie schnell der Erinnerung der Lübecker “Besitzer”.

Das änderte sich vor knapp zwei Jahren: Auf Initiative der Stadt Novgorod wurde am 28. Januar 1999 in Lübeck nach der Glocke recherchiert und sie in der Katharinenkirche wieder aufgefunden. Die Hansestadt Lübeck reagierte prompt. Mit Schreiben vom 3. Mai 1999 teilte Bürgermeister Michael Bouteiller den russischen Kollegen mit, “daß wir uns nach unserem heutigen Rechtsverständnis nicht als rechtmäßige Eigentümer der Glocke ansehen können und sie an den Eigentümer beziehungsweise dessen Rechtsnachfolger, die Stadt Staraja Russa, zurückgeben werden.”

Die Vorbereitungen zur Rückkehr werden seit Wochen vom Fachbereich Kultur getroffen und koordiniert. In Absprache mit den Verwaltungen der Städte Staraja Russa und Novgorod, dem Staatsminister im Bundeskanzleramt und Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, der Koordinierungsstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern in Magdeburg, dem Innenministerium Schleswig-Holsteins, dem Auswärtigen Amt, Berlin, sowie dem Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in St. Petersburg wurde die Übergabe vorbereitet. Aus Sicht der Bundesregierung und der Länder ist diese Rückgabe ein weiteres Beispiel für die Umsetzung der, in bilateralen Verträgen mit Rußland bekräftigten, völkerrechtlichen Verpflichtung zur Rückführung kriegsbedingt verschleppter Kulturgüter.

Der Ablauf der Rückgabeprozedur stellt eine logistische und organisatorische Meisterleistung dar und ist dank der freundlichen Unterstützung zahlreicher Firmen und Behörden nun reibungslos möglich: Knapp zwei Wochen vor der offiziellen Übergabe beginnt heute die eigentliche Rückkehr. Nachdem Glockenbauer Joachim Otto von der Firma Otto-Buer Ende Januar einen neuen Klöppel in die rund 100 Kilogramm schwere und etwa 58 Zentimeter hohe Bronzeglocke eingebaut hatte, wurde sie heute morgen von Mitarbeitern des städtischen Fuhrparks aus der Katharinenkirche abgeholt und zur Lübeck Distribution Gesellschaft (eine Tochter der Lübecker Hafen-Gesellschaft und der Lübecker Spedition Lüders & Stange) zum Verpacken gebracht. Die Speditionen Gröning und Böhls & Behnke übernehmen anschließend die Glocke, um sie zum Kieler Hafen zu transportieren.

Im Hafen der Landeshauptstadt wird die Glocke von der Firma Cellpap auf die Fähre “Transrussia” der Reederei Finnlines Deutschland verladen, mit der sie am 7. Februar nach St. Petersburg verschifft wird. Drei Tage später soll die Glocke dort eintreffen und von Kollegen der Stadtverwaltung Staraja Russa in Empfang genommen werden.

Damit schließt sich ein Kreis deutsch-russischer Beziehungen, der vor über 300 Jahren begann: Denn die verhältnismäßig kleine Glocke wurde 1672 von dem Lübecker “Rathsglockengießermeister” Albert Benningk gefertigt, wie auch die Inschrift “Albert Benningk me fecit Lubeca 1672” verrät. Benningk war ein bedeutender Glockenbauer seiner Zeit, sehr anerkannt und berühmt für sein Handwerk, das er im gesamten Ostseeraum ausübte.

Wenn Senator Meyenborg am 18. Februar die Glocke im Namen der Hansestadt Lübeck übergibt, überreicht er zugleich eine von Stadtpräsident Peter Oertling, Bürgermeister Bernd Saxe und ihm unterschriebene Urkunde, in der mit einem Auszug aus Schillers “Lied von der Glocke” die herzlichsten Wünsche übermittelt werden.

Der Text der Urkunde lautet: “Diese Urkunde wurde den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt Staraja Russa anläßlich der Rückgabe der Glocke der alten Kirche der Heiligen Mina am 18. Februar 2001 überreicht. Die Hansestadt Lübeck wünscht Ihnen damit Glück und Frieden für die Zukunft, wie es von Friedrich Schiller in seinem “Lied von der Glocke” beschrieben ist: ´Holder Friede, süße Eintracht, weilet, weilet - Freundlichkeit über dieser Stadt! Möge nie (mehr) der Tag erscheinen, wo des rauhen Krieges Horden dieses stille Tal durchtoben, wo der Himmel, den des Abends sanfte Röte lieblich malt, von der Dörfer, von der Städte wildem Brande schrecklich strahlt!´

An der Zeremonie nehmen neben Senator Meyenborg seitens der Hansestadt Lübeck Museumsdirektor Dr. Thorsten Rodiek und Verwaltungsrat Holger Walter teil. Begleitet werden sie von Dolmetscherin Barbara Schwartz.

Da die Aktion “Glocke für Staraja Russa” in den Haushalten der Hansestadt Lübeck nicht budgetiert werden konnte, würden sich die Akteure über Spenden/Sponsoren-Gelder sehr freuen. Schecks/Bargeld bitte an die Hansestadt Lübeck, Fachbereich Kultur, Holger Walter, Schildstraße 12, 23552 Lübeck senden, oder Überweisungen an die Stadtkasse Lübeck, c/o Sparkasse zu Lübeck, BLZ 230 501 01, Kontonummer 1011329, Stichwort: Mir (das heißt übersetzt “Frieden”) richten. +++