Mitte August waren im Rathaus die Panzerknacker zu Werke, um zwei alte Panzerschränke zu öffnen. Ungewöhnlich: Sie kamen von der Landespolizeischule in Eutin. Dabei kam ein besonderes Stück Lübeckischer Geschichte ans Tageslicht.
In der Pförtnerloge des Rathauses stehen zwei massive Stahltresore, die vermutlich zu Anfang des 20. Jahrhunderts als Kassenschränke beschafft worden waren. Das Problem: Im Laufe der Zeit waren die dazugehörigen Schlüssel verlorengegangen, genauso wie das Wissen vom Inhalt. Vermutlich wurden sie zuletzt 1992 geöffnet und das darin verwahrte Silberbesteck des Rates ins St. Annen-Museum verbracht. Aber welche Pretiosen enthielt der Schrank noch? Um das herauszufinden organisierte Bürgermeister Jan Lindenau Hilfe in Gestalt der Landespolizeischule Eutin. Techniker öffneten nun im Rahmen einer Trainingseinheit die Schränke mit Knowhow - und mit roher Gewalt.
Zu Tage kam eine großformatige Kartonschatulle mit dem Titel „Lübeck vor und nach dem Angriff in der Nacht vom 28. zum 29. März 1942“. Sie enthält 56 Bilder der Stadt vor Palmarum und von Blatt 57 bis 78 Aufnahmen der Zerstörungen mit Beschreibungen der zerstörten Kunstdenkmäler. Als Auftraggeber des Werkes ist der „Reichsverteidigungskommissar für den Wehrbezirk X“ benannt. Dieser saß in Hamburg und war für die militärische Sicherung auch in Schleswig-Holstein zuständig.
Der Luftangriff auf Lübeck, der erste Flächenbombenangriff auf eine große deutsche Stadt, war ein tiefer Schock für die Lübecker. Das erkennt man an den zahllosen Fotos, die von den Zerstörungen von Privatleuten gemacht wurden. Die Angst und das Leid sind in ihnen spürbar. Geschockt war auch die nationalsozialistische Führungsriege um Oberbürgermeister Drechsler. Der fast unbehinderte Angriff durch die englische Luftwaffe an Palmarum 1942 mit ca. 320 Toten und dem Versinken großer Teile der Altstadt in Schutt und Asche verstörte Bevölkerung und Partei. Er schuf „für das NS-Regime ein gewaltiges Imageproblem“. Dessen Schlussfolgerung: Der Durchhaltewillen und der Glaube an den „Endsieg“ musste mit allen Mitteln gestärkt willen.
In diesem Zusammenhang entstanden amtliche Fotodokumentationen und Filme, die Anklage mit Propaganda für die Diktatur verbanden. „Lübeck hat, so hoffnungslos man einer solch wahnsinnigen Ausgeburt britischer Zerstörungswut gegenübersteht, in der Schreckensnacht keine Minute seine hanseatische Einsatzbereitschaft und Entschlusskraft verloren, um den Durchhaltewillen zu stärken“ ließ die NS-Führung verlauten. „Für alle Zeiten“ sollten sich die Lübecker an den Palmsonntag als „Ruhmesblatt“ und Beweis der geeinten „Volksgemeinschaft“ erinnern. Ein Versuch, tönend von eigenen Verbrechen abzulenken.
Nicht mehr in einem verschlossenen Tresor, sondern für die Öffentlichkeit zugänglich liegt die Fotodokumentation (mit vielen weiteren Fotos und Berichten zu diesem Thema) jetzt im Archiv der Hansestadt Lübeck. Dort kann man (nach Terminvereinbarung) die Unterlagen ab sofort im Lesesaal ansehen und studieren. +++