„Wann, wenn nicht jetzt“ ist der Aufruf von 20 bundesweit aktiven Frauenverbänden und Gewerkschaften. Auch die kommunalen Frauenbeauftragten und der DGB sind dabei und haben sich am 29. April 2020 mit gleichstellungspolitischen Forderungen in einem gemeinsamen Aufruf an die Bundesregierung und Arbeitgeber gewandt.
Corona habe das Leben in Deutschland und in der Welt grundlegend verändert. Deutlich werde, dass die wirtschaftlichen und sozialen Kosten Frauen wesentlich stärker treffen. Die Pandemie vergrößere die gleichstellungs- und frauenpolitischen Probleme und Schieflagen, auf die bereits seit Jahrzehnten hingewiesen würde. Angesichts der existenziellen Krise werde deutlich, wie lebensbedrohlich sich die über Jahre privatisierte und eingesparte öffentliche soziale Infrastruktur und die falschen Arbeitsbewertungen jetzt auf unseren Lebensalltag auswirke.
„Wann, wenn nicht jetzt werden unsere frauen- und gleichstellungspolitischen Forderungen anerkannt und umgesetzt. Wir erwarten von Politik, Arbeitgeber:innen und allen Verantwortungsträger:innen ein ebenso mutiges, sachbezogenes und schnelles Handeln wie jetzt in der Zeit von Corona.“ heißt es in dem Aufruf.
Gefordert werden u.a. eine finanzielle Aufwertung und bessere Arbeitsbedingungen in der Pflege, im Gesundheitswesen, der Erziehung und im Einzelhandel, die Abschaffung der Sonderregelungen für Minijobs, Rahmenbedingungen und Arbeitszeiten, die es Eltern ermöglichen, sich die Care-Arbeit gereicht zu teilen und eine bedarfsgerechte und flächendeckende Versorgung mit Beratungsstellen und Gewaltschutzeinrichtungen.
Zum Aufruf
Auch Gleichstellungsbeauftragte Elke Sasse und die Lübecker Gewerkschaftsfrauen Juliane Hoffmann (DGB) und Berith Jordan (ver.di) unterstreichen die Forderungen. Elke Sasse erläutert: „Unsere statistischen Auswertungen für Lübeck zeigen, dass insbesondere Frauen im „mittleren“ Alter (zwischen 35-64 Jahren, d.h. in der Familienphase) wesentlich häufiger als Männer in einem Minijobs tätig sind - und die Bezahlung von Frauen auch in Lübeck fast ein Drittel niedriger ist als bei Männern.“
Die Gewerkschafterinnen Jordan und Hoffmann und Gleichstellungsbeauftragte Sasse sind sich einig:
„Wer für unser aller Lebensgrundlage wesentlich ist, wird in der Corona-Krise mehr als deutlich: Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen, medizinisches Personal insgesamt, ebenso wie Kassierer:innen, Müllwerker:innen, LKW-Fahrer:innen, Busfahrer:innen, Paketbot:innen, Polizist:innen, Reinigungskräfte …
Ein Großteil dieser systemrelevanten Berufe hat ein geringes Ansehen und entsprechend auch ein unterdurchschnittliches Lohnniveau. Und: systemrelevanten Berufe werden mehrheitlich von Frauen ausgeübt – vielfach zu mehr als 70%.“ (siehe auch: DIW Berlin, Nr. 28, 24.3.2020, S.1)
„Die Städtischen SeniorInnenEinrichtungen der Hansestadt Lübeck machen beispielhaft vor, wie Bezahlung in einer Altenpflegeeinrichtung geht, in welcher zu über 70 % Frauen arbeiten: sie zahlen nach Tarifvertrag des Öffentlichen Dienstes. Die Bezahlung der Beschäftigten wird hier nicht als ‚notwendiges Übel‘ betrachtet. Es gilt hier vielmehr der Grundsatz: was muss eine Pflegekraft verdienen? Was braucht gute Pflege? Dementsprechend wird der Betriebsablauf organisiert. Wir arbeiten mit Hochdruck daran, dass es zeitnah einen Branchentarifvertrag Altenpflege gibt, welcher durch den Gesetzgeber für allgemeinverbindlich erklärt wird. ‚Sorgetätigkeit‘ darf nicht überwiegend als eine notwendige innere Haltung mit geringer Bezahlung der überwiegend weiblichen Beschäftigten betrachtet werden; stattdessen braucht Care-Arbeit eine finanzielle Wertschätzung,“ so Gewerkschafterin Berith Jordan.
Ganz anders hingegen der schon einige Jahre alte Bürgerschafts-Beschluss zur Teil-Privatisierung der Reinigung städtischer Gebäude: der dadurch aufgebaute „Druck“ in Richtung Kostensenkung der städtischen Reinigung beim Gebäudemanagements (GMHL) führte dazu, dass neue Reinigungskräfte, von denen die meisten in Teilzeit arbeiten, statt in Entgeltgruppe 2 „nur“ noch in Entgeltgruppe 1 eingestellt wurden. In der Privatwirtschaft werde z.T. noch weniger gezahlt.
„Die Corona-Krise zeigt jetzt sowohl in Lübeck als auch bundesweit, dass die in den vergangenen 30 Jahren vorgenommenen Privatisierungen in systemrelevanten Bereichen aber vor allem in der Kranken- und Altenpflege konkrete Auswirkungen haben, auf die Beschäftigte, die akut zu Pflegenden und letztlich auf die gesamte Gesellschaft.“ erklärt DGB-Chefin Juliane Hoffmann und fordert die Lübecker Lokalpolitik auch mit Blick auf den „Tag der Arbeit“ am 1. Mai auf, die Bedeutung der systemrelevanten Berufe nicht nur in Krisenzeiten und Sonntagsreden hervorzuheben, sondern sich für die sicht- und spürbare Verbesserung der Arbeits- und Lohnbedingungen der Beschäftigten einzusetzen.+++
Quelle: Frauenbüro