Bouteiller: Spendenskandal löst sinnvolle Diskussion aus

Veröffentlicht am 07.02.2000

Bouteiller: Spendenskandal löst sinnvolle Diskussion aus


000113R 2000-02-07

Für Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller, 56, hat der Spendenskandal durchaus positive Aspekte. Er löse eine schon längst überfällige Diskussion über den korrekten Umgang mit öffentlichen Geldern aus.

Wie Bouteiller in einem umfangreichen Interview der Lübecker Stadtzeitung vom 8. Februar sagt, wurden auf sein Betreiben hin in der Hansestadt seit 1993 zahlreiche Vergünstigungen der politisch Handelnden gestrichen. Bouteiller nennt in dem SZ-Interview dafür Beispiele: Freikarten fürs Theater, kostenlose Bus-Jahreskarten oder Geschäftsessen des Senats. Er habe stets den klaren Grundsatz vertreten, öffentliches Geld nicht für Privatzwecke auszugeben.

In dem SZ-Interview lenkt der Bürgermeister der Hansestadt, der Ende April aus seinem Amt ausscheidet, das Augenmerk auf einen weiteren Aspekt des Parteispendenskandals: Mangelnde Zivilcourage in den Parteien und die Auswirkungen des Gefolgschaftsprinzips. Bouteiller: “Das Hauptproblem besteht darin, daß die vielgelobte Zivilcourage in den Parteien kaum mehr vorkommt. Sie wird bewußt und gewollt ausgeschaltet. Das hängt damit zusammen, daß die Parteispitzen nur noch diejenigen an die ,Tröge’ lassen und ihnen Mandate geben, die Gefolgschaft zusichern. Aber das ist das Problem! Unser Land kann nur reformiert werden, wenn dieses verheerende Prinzip der Gefolgschaft abgebaut wird. Aber das ist außerordentlich schwierig. Im Augenblick ist nicht nur die CDU, sondern überall das Gefolgschaftswesen an der Tagesordnung. Diejenigen, die anderen Sinnes sind, werden ausgeschieden, wenn sie nicht ,käuflich’ sind.”

Im zweiten Teil des Interviews, das am 15. Februar in der SZ erscheint, aber bereits ab 8. Februar im kompletten Wortlaut im LÜBECK-Fenster des Internets unter der Adresse www.luebeck.de zu lesen ist, spricht sich Bouteiller dafür aus, bei wichtigen Entscheidungen den Fachleuten stärkeres Gewicht zu geben: “Wir kranken in den Kommunen daran, daß wir wichtige fachliche Entscheidungen zu einer rein politischen Sache machen. Würden in der Bürgerschaft auch die Fachleute sprechen können, dann würden wir schnell Lösungen bekommen. Denn das politische Gespräch, das wir Politiker in der Regel pflegen, ist letztlich nicht lösungsorientiert, sondern ausschließlich macht- und erfolgsorientiert.”

Die “Politikerkaste” müsse sich deshalb auf ihre wirklichen Funktionen zurückziehen, so Bouteiller weiter. “Erst dann haben wir wieder die Möglichkeit, Demokratie zu trainieren. Denn Leitung und Führung heißt heute nicht, in der ersten Linie zu stehen und ständig den Säbel zu schwingen, sondern die Kreativität der anderen zu motivieren. Und das heißt wiederum, denjenigen in den Vordergrund zu stellen, der die Arbeit macht. Würden wir das ernst nehmen, so hätten wir Delegation, Meinungsfreiheit und natürlich auch ein anderes Staatswesen. Aber wir leben hier noch im 19. Jahrhundert.”

In diesem Zusammenhang beleuchtet Bouteiller auch die Rolle der Medien beim Umgang mit Politikern. “Die Medienwelt will lieber Frau Simonis als den Abteilungsleiter Müller und auch lieber den Industrieverbandsmenschen als die eigentlich arbeitenden Fachleute.” Insofern müsse sich das gesamte Legitimationsbild verändern. Das könne man sicher nicht von heute auf morgen machen.

Er selbst sei in Lübeck einen speziellen Weg gegangen, “indem ich diejenigen versuche zum Reden zu bringen, die tatsächlich betroffen sind, ob als Mitarbeiterin oder Bürgerin an Runden Tischen.” Doch das sei nur ein Anfang. Er hoffe, daß man den eingeschlagenen Weg in Lübeck auch künftig beibehalte, weil das für ihn “Demokratie-Erneuerung” bedeute. “Demokratie für sich genommen, heißt ja noch nichts”, argumentiert Bouteiller. “Denn sie erlaubt auch, einen Herrn Haider zu wählen.” Demokratie als reine Form habe auch Hitler zur Wahl gebracht. “Demokratie allein als Hülle ist also völlig uninteressant. Demokratische Inhalte sind das wesentliche, und dafür sind wir verantwortlich.” Dazu gehöre, die Menschen zum Sprechen zu bringen und den Blick der Medien auf die wirklich Arbeitenden zu lenken. Das ganze nenne ich Demokratieprojekt. Ich bin sicher, daß wir über kurz oder lang alle genau dahin kommen, ob wir es wollen oder nicht.”

Das vollständige SZ-Interview mit Michael Bouteiller kann unter “Lübeck-Aktuelles” ab Dienstag, 8. Februar, im LÜBECK-Fenster (www.luebeck.de) abgerufen werden. +++