1 Politischer Auftrag
„Für die Ausweitung des Modellprojektes „präventive Hausbesuche“ für Seniorinnen und Senioren werden Mittel für zwei sozialpädagogische Stellen (…) im Fachbereich Wirtschaft und Soziales zur Verfügung gestellt. Die Frage, ob die Aufgabe in kommunaler Trägerschaft oder durch freie Träger wahrgenommen werden soll, ist noch zu entscheiden (…).“
(Auszug Bürgerschaftssitzung - Haushaltssitzung - vom 28.9.2023 VO/2023/12437-02-01)
2 Hintergrund und Beratungsfolge
VO/2005/02479 in der Bürgerschaftssitzung am 24.11.2005 und am 04.03.2008
Der Bereich Soziale Sicherung wird in der Bürgerschaftssitzung am 24.11.2005 (Drs. Nr. 751) beauftragt ein Gesamtkonzept ‚Leben und Wohnen im Alter‘ zu erstellen, welches in der Bürgerschaftssitzung am 04.03.2008 (TOP 8.3, Drs. Nr. 62). zur Kenntnis genommen wird. Seitdem erfolgt die prozesshafte Umsetzung und Weiterentwicklung des Konzepts.
Drs. Nr. 699 in der Bürgerschaftssitzung am 29.03.2012
Nachfolgender Antrag wird abschließend an den Ausschuss für Soziales überwiesen: „Der Bürgermeister wird beauftragt, der Bürgerschaft bis zur Septembersitzung 2012 zu berichten, ob präventive Hausbesuche bei älteren Menschen eine sinnvolle und gesundheitsfördernde Maßnahme darstellen könnten (…)“.
VO/2015/02479 im Ausschuss für Soziales am 02.06.2015
Unter Federführung des Bereiches Soziale Sicherung wird der Bericht „Prävention im Alter“ als strategischer Baustein des Gesamtkonzeptes ‚Leben und Wohnen im Alter‘ gemeinsam mit dem Gesundheitsamt erstellt. Kenntnisnahme mit interfraktionellem Antrag und Beschluss „das Konzept „Prävention im Alter/ Präventive Hausbesuche“ weiter zu verfolgen und das weitere Vorgehen wie auf Seite 12 des Berichts dargestellt zu gestalten“ (Erprobung der Präventiven Hausbesuche).
VO/2017/04549 in der Bürgerschaftssitzung am 26.01.2017
Als weiterer Schritt zur Umsetzung der Gesamtstrategie ‚Prävention im Alter‘ erfolgt der Beschluss für ein jährliches Budget zur Koordination und Durchführung der Senior:innenarbeit - Prävention im Alter - Präventive Hausbesuche in Höhe von zunächst 50 Tsd. Euro.
VO/2015/02479-01 im Ausschuss für Soziales am 14.09.2021
Auf zuvor genannter Grundlage wird das Modellprojekt ‚Präventive Hausbesuche in Moisling‘ mit Fördermitteln von sechs Krankenkassen plus kommunalen Mitteln sowie Mitteln des durchführenden Trägers nach Lübeck geholt.
Im Bericht ‚Prävention im Alter - Präventive Hausbesuche‘ erfolgt eine erste Auswertung des Modellvorhabens sowie die Darstellung zweier weiterer Lübecker Projekte mit quartiersbe-zogenen Ansätzen zur Erprobung unterschiedlicher Zugänge zu älteren Menschen.
Mit Blick auf die Präventiven Hausbesuche wird als nächster Schritt ein Konzept für eine nachhaltige Umsetzung in der Hansestadt Lübeck erarbeitet unter Berücksichtigung der dargelegten Ergebnisse aus dem Bericht und der Evaluation. Einbezogen werden sollen die Erkenntnisse anderer Städte, in denen Präventive Hausbesuche bereits erfolgen.
VO/2023/12437-02-01 in der Bürgerschaftssitzung am 28.9.2023 (Haushaltssitzung)
Mittelbereitstellung für zwei sozialpädagogische Stellen ab dem Jahr 2024 zur nachhaltigen Verstetigung der Präventiven Hausbesuche. Eine Entscheidung zur Trägerschaft der Um-setzung (Kommune oder freie Träger) ist zu treffen (siehe unter Punkt 1: politischer Auftrag).
3 Fazit Modellprojekt Präventive Hausbesuche (PHB)
Das Lübecker Modellprojekt ‚Präventive Hausbesuche in Moisling‘ wurde im Zeitraum 2019 - 2021 für drei Jahre im Stadtteil Moisling erprobt. Ältere Personen ab dem 65. Lebensjahr ohne Pflegegrad erhielten bis zu drei präventive Hausbesuche. Finanziert aus Fördermitteln von sechs Krankenkassen, kommunalen Mitteln sowie Mitteln des durchführenden Trägers Caritas Lübeck erfolgte eine Evaluation durch die Forschungsgruppe Geriatrie Lübeck des Krankenhauses Rotes Kreuz Lübeck - Geriatriezentrum. Im anschließenden Verlängerungsjahr 2022 konnte das Angebot auf angrenzende Stadtteile ausgeweitet werden.
Im vierjährigen Gesamtzeitraum der Umsetzung von Mai 2019 bis Januar 2023 erfolgten insgesamt 162 Hausbesuche. Ab März 2020 musste das Angebot coronabedingt adaptiert und flexibel an die jeweilige pandemische Lage angepasst werden.
Das durchschnittliche Lebensalter der am Modellprojekt teilnehmenden Senior:innen betrug 81 Jahre (zwischen 68 und 93 J.). Dreiviertel der besuchten Personen waren Frauen. Etwas mehr als die Hälfte der Senior:innen war verwitwet. Knapp 70 % der TN lebten allein.
Die größten Sorgen für die Zukunft bestanden im Verlust der Selbständigkeit und Mobilität, der Sorge vor Einsamkeit sowie der Sorge aus der vertrauten Wohnung ausziehen zu müssen und im neuen Wohnraum nicht zurecht zu kommen.
Die größten Informationsbedarfe bestanden in der Reihenfolge nachfolgender Inhalte:
- Allgemeine Hilfs- und Unterstützungsangebote
- Unterstützung im häuslichen Umfeld
- Leistungen der Pflege- und Krankenkassen/ Pflegegrad
- Wohnsituation/möglicher Umzug/alternative Wohnmöglichkeiten/Bauliche Anpassungen
- Soziale Kontakte (Besuchsdienste, Stadtteil-/ Gruppenangebote, Ehrenamt)
Die Kernaussagen des Evaluationsberichtes legen dar, dass:
- Mehrheitlich Senior:innen erreicht wurden, die noch keine Beratungsangebote in Lübeck kannten. Die besuchten Personen fühlten sich besser informiert, entlastet und befähigt, sich im Bedarfsfalle selbst weiterhelfen zu können.
- Ängste und Sorgen, die zu Beginn des ersten Besuchs genannt wurden, bis zum Folgebesuch reduziert werden konnten.
- Für die Gespräche hatte eine vertrauensvolle Atmosphäre eine große Bedeutung, um auch belastende und/ oder schambesetzte Themen anzusprechen.
- Das in Moisling erprobte Konzept der aufsuchenden, präventiv ausgerichteten Besuche mit Lotsenfunktion sich bewährt hat.
- Zur Erfassung der komplexen Lebenswelten älterer Personen auch zukünftig ein multi-dimensionaler, wissenschaftsfundierter Frage- und Erhebungsbogen zu empfehlen ist.
Zentrale Erkenntnisse aus dem Pilotprojekt sind u.a., dass mit dem Angebot hauptsächlich aktive Senior:innen erreicht wurden. Die eigeninitiativ erfolgten Anfragen von Hausbesuchen durch interessierte ältere Personen erlaubten individuelle Vermittlungen bedarfsgerechter Informationen und Wegweisungen zu bestehenden quartiersnahen Hilfen. Ältere wenig eingebundene Menschen sowie Personen mit Migrationshintergrund haben die Hausbesuche kaum in Anspruch genommen. Perspektivisch müssen diejenigen Senior:innen zur Nutzung angeregt werden, die bisher nicht erreicht worden sind.
Erforderlich ist es daher, diesem Personenkreis eine Brücke zur Inanspruchnahme des Angebots zu bauen. Mittels Anschreiben der HL zum runden Geburtstag, bspw. zum 70sten, werden auch zurückgezogen lebende Menschen über das Präventionsangebot informiert (in verständlicher Sprache, ggf. mehrsprachig). Die nähere Ausgestaltung der Modalitäten soll in der Beteiligungsveranstaltung (S. 10) mit Senior:innen erörtert werden.
4 Konzeptrahmen anderer Städte
Im Rahmen der Vorarbeiten zur Verstetigung der Präventiven Hausbesuche erfolgte seitens des Bereichs Soziale Sicherung die regelmäßige Teilnahme an einem bundesweiten Austausch mit Kommunen, die dieses Angebot bereits vorhalten. Zudem erfolgte ein Austausch im Rahmen des PHB-Netzwerkes Schleswig-Holstein.
Sowohl bundesweit als auch im PHB-Netzwerk Schleswig-Holstein bildet sich eine Vielzahl an Konzeptvarianten ab: Bezüglich der Trägerschaft, der Verortung des Angebotes, dem Status der Besuchskräfte im Haupt-, Neben- oder Ehrenamt, den Anschreiben mit/ohne Terminvorgabe, dem PHB-Eingangslebensalter, Personen mit/ ohne eigenem Haushalt, dem Vorliegen von Pflegebedürftigkeit und Personen in Pflegeeinrichtungen. Zugeschnitten ist der PHB-Rahmen jeweils auf die Altenhilfestrukturen der Kommune, um Versorgungslücken zu füllen und Ressourcen zu nutzen mit Blick auf die Vermeidung von Doppelstrukturen.
Nachfolgend findet sich ein Überblick über die Eckpunkte der PHB-Konzepte anderer Städte:
Landeshauptstadt Kiel (Umsetzung ist beschlossen/ aktuell erfolgt Konzeptentwicklung):
- Kommunales Angebot als Regelleistung
- Zentral verortet im Amt für Soziale Dienste
- 3 VZÄ Fachkräfte der Sozialen Arbeit
- Quartiersanbindung & Netzwerk über Anlaufstellen Nachbarschaft (anna)
- Start zunächst im Ortsteil Meimersdorf-Moorsee
- Gratulationsschreiben zum 75. Geb., Terminvorgabe (aktive Absage) + Selbstmeldung
- Vorlauf: Modellprojekt WIPP
Stadt Neumünster
- Kommunales Angebot als Regelleistung
- Angedockt an den Pflegestützpunkt/ Seniorenbüro Neumünster
- 1 Fachkraft der Sozialen Arbeit mit ½ Stelle PHB; ½ Stelle zur Initiierung von Angeboten
- Anschreiben aller Personen über 70 Jahre ohne Terminvorgabe
Stadt Norderstedt (Umsetzung ist beschlossen/ aktuell erfolgt Konzeptentwicklung)
- Träger Diakonie Altholstein
- Projektstatus 3 Jahre 2024 – 2026
- Zentral angedockt an Diakonie Altholstein
- 2 VZÄ Fachkräfte Sozialer Bereich sowie ½ VZÄ Koordination
- Städtisches Anschreiben aller 65jährigen ohne Terminvorgabe
Hansestadt Hamburg
- Juristische Beleihung: Fachstelle HH-Hausbesuch als Behördenaußenstelle
- Pilot-Start im Jahr 2015, aktuell Projektphase 5
- Soziale Fachkräfte im Nebenamt/ Honorarkräfte
- Gratulationsschreiben an 80jährige mit fester Terminvorgabe
Städte Chemnitz und Magdeburg
- Kommunales Angebot als Regelleistung
- Zentral abgedockt an Seniorensozialdienst sowie dezentral bei der Stadtteilsozialarbeit
- Fachkräfte der Sozialen Arbeit
- Gratulationsschreiben 70. Geburtstag ohne Terminvorgabe
5 Inhaltliche Eckpunkte zur Verstetigung Präventiver Hausbesuche in Lübeck
Als vorgeschaltetes Instrument unterscheidet sich der präventive Ansatz deutlich von den Regelangeboten zur Beratung. Klar abzugrenzen ist der Ansatz von der Krisenintervention zur Abwendung unerwünschter Entwicklungen aufgrund von Fehl- oder Unterversorgung. Präventive Hausbesuche dienen als vorbeugende Maßnahme mit den zentralen Elementen der Freiwilligkeit, sie erfolgen ohne Anlass, sind aufsuchend konzipiert und bieten individuelle Informationen für und Wegweisung zu bestehenden Angeboten vor Ort.
Hinsichtlich der Zielgruppe sind mit Stand vom 31.12.2023 in der Hansestadt Lübeck 2284 Senior:innen erfasst, die im Jahr 2023 70 Jahre alt geworden sind (1 % der Bevölkerung) bzw. 2081 Senior:innen, die 75 Jahre alt geworden sind (0,9 %). Mit Blick auf die Alterung der Babyboom-Generation wird diese Kohorte zukünftig auf einen Anteil von 1,6 % ansteigen (Statistische Nachrichten Nr. 62. Bevölkerung & Demografie 2023).
Der Anteil älterer Lübecker:innen ab 70 Jahre variiert je nach Stadtteil wie nachfolgende Darstellung aufzeigt:
Quelle: Statistische Nachrichten Nr. 62. Bevölkerung & Demografie 2023, S. 16
Je nach Zielgruppenalter (ab 70 oder 75 Lebensjahre) sind pro Kalenderjahr 2284 Personen (70. Geburtstag) bzw. 2081 Personen (75. Geburtstag) mit einem geburtstagsbezogenen Informationsschreiben erreichbar.
Pro und Kontra fester Terminvorgaben im Geburtstagsanschreiben sind zu wägen und könnten als übergriffig bzw. paternalistisch erlebt werden. Sie sind organisatorisch/ personell aufwändiger. Mit Blick auf die Quote der Inanspruchnahme von Hausbesuchen erweist sich der Rücklauf bei Terminvorgabe erwartungsgemäß als deutlich höher (bspw. Hamburg 27 %) als ohne Terminierung (bspw. Leipzig 4 %, Stuttgart 7 %). Gegenüberzustellen sind die feste Terminvorgabe zum Erreichen der sonst schwer erreichbaren Gruppen, Selbstbestimmung vs. Fremdbestimmung, organisatorischer Aufwand etc.. Eine abschließende Entscheidung steht hierzu noch aus. Unter anderem soll in der Beteiligungsveranstaltung (S. 10) mit Senior:innen das Thema erörtert werden.
Nachfolgend ein Entwurf zu den konzeptionellen Eckpunkten der Lübecker Hausbesuche:
Lübecker Senior:innen erhalten 2-3 Wochen nach ihrem 70./75. Geburtstag ein Gratulationsschreiben seitens der Stadt, in dem auf das präventive Angebot aufmerksam gemacht wird (in verständlicher Sprache, ggf. mehrsprachig).
Um Senior:innen mit Migrationsgeschichte mit teils nicht deutschsprachigem Hintergrund zu erreichen und die Besuchsrate zu erhöhen wird angestrebt gemeinsam mit dem Forum für Migrant:innen Maßnahmen zu entwickeln und Sprach- und Kulturmittler:innen einzusetzen.
Interessierte Senior:innen nehmen Kontakt zur Terminvereinbarung auf; ggf. werden gewünschte Themen und Inhalte zur Informationsgabe im Vorwege schon mitgeteilt.
Der Erstbesuch erfolgt zuhause in der Wohnung/ im Haus der Seniorin oder des Seniors. Über eine Begleitung durch An- oder Zugehörige (und/ oder Sprachmittler:in) entscheidet die Nutzer:in selbst. Auf Wunsch kann das Treffen auch an einem anderen Ort stattfinden. Ein kleines Geschenk (bspw. ergonomischer Deckelöffner, Seniorenwegweiser Gut leben im Alter o.ä.) erleichtert die Kontaktaufnahme.
Zur ganzheitlichen Erfassung möglicher Fragestellungen für ein selbstbestimmtes Älterwerden zuhause wird ein Gesprächsleitfaden genutzt und ausreichend Zeit (1 - 1,5 Std.) eingeplant. Je nach individueller Anfrage der Seniorin oder des Seniors können sich bspw. Fragen zu Vorsorge & Betreuung, zur finanziellen Situation, zu ehrenamtlichem Engagement, zu sozialen Kontakten, zu Pflegeleistungen, Angeboten zur Gesundheitsförderung oder Möglichkeiten zur Wohnraumanpassung entwickeln.
In einem Folgebesuch bringt die Fachkraft entsprechend nachgefragte Informationen mit, klärt auf und leitet zu den angefragten Kontakten über. Zudem wird eine fachliche Einschätzung darüber vorgenommen, inwieweit ein Drittbesuch erforderlich ist und mit der Senior:in besprochen.
Im Rahmen der Hausbesuche erhobene Daten werden nach Abschluss des Intervalls (Anschreiben; Besuche) zu Auswertungszwecken anonymisiert gespeichert, so dass keine personenbezogenen Rückschlüsse möglich sind. Zum Erstbesuch sollte eine freiwillige Einwilligungserklärung unterschrieben werden.
Die Datenerhebung sollte grundsätzlich dreierlei Zielen dienen:
- Bedarfe der Zielgruppen, Strukturen vor Ort, Angebotslücken
- Monitoring der Lotsenfunktion der Fachkräfte
- Datengrundlage für eine jährliche Auswertung
Für die Umsetzung stehen gemäß Haushaltsbegleitbeschluss finanzielle Mittel für zwei sozialpädagogische Planstellen zur Verfügung. Dies gilt es bei der weiteren Betrachtung zu berücksichtigen.
6 Verstetigung Präventiver Hausbesuche in der Hansestadt Lübeck
Präventive Hausbesuche stellen laut der Studie PRÄSENZ einen wesentlichen Baustein regionaler Sorgestrukturen dar, womit den Kommunen eine tragende Rolle für ‚ein gutes Leben im Alter‘ zukommt (DIP, Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung: PRÄSENZ. Prävention für Senioren Zuhause. Handreichung für Kommunen. Umsetzung präventiver Hausbesuche für Seniorinnen und Senioren. Köln 2018).
6.1 Einleitung
Die Versorgungsstrukturen für Seniorinnen und Senioren in der Hansestadt Lübeck beruhen auf vielfältigen Angeboten und Hilfen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben und der kommunalen Daseinsvorsorge. Die Hansestadt Lübeck selbst hält mit ihren Regeldiensten Beratungs- und Unterstützungsangebote für finanzielle und/oder persönliche Notlagen vor. Die Freien Wohlfahrtsverbände setzen im Rahmen von Budgetverträgen Seniorentreffs in den Stadtteilen um. Zudem halten weitere Akteure in der Hansestadt Lübeck Angebote für die älteren Generationen vor.
Eine ganzheitliche Betrachtung des Älterwerdens in Lübeck erfolgt federführend durch den Bereich Soziale Sicherung durch die prozesshafte Umsetzung des o.g. interdisziplinären Gesamtkonzeptes ‚Leben und Wohnen im Alter‘, dessen Steuerungsgruppe als wichtiges Steuerungsinstrument fungiert und sich zusammensetzt aus Vertretungen der Freien Wohlfahrtsverbände, Politik, Wohnungswirtschaft, Verwaltung und Interessenvertretungen.
Aus diesem Gremium heraus wurde die Gesamtstrategie ‚Prävention im Alter‘ aufgebaut. Präventive Hausbesuche stellen einen wichtigen Baustein der Strategie dar. Wie im Fazit des Modellprojektes auf Seite 3 (Punkt 3) dargelegt, sind Hilfsangebote, Anlaufstellen und Ansprechpersonen vor Ort oftmals nicht bekannt. Aufgrund der Unkenntnis und zu später Nachfrage manifestiert sich in der Folge häufig ein Hilfebedarf und führt in der Regel auch zu höheren Folgekosten. Hier setzen die Lübecker Hausbesuche durch Sensibilisierung, Aufklärung Information und Wegweisung an.
Es stellen sich nun zwei zentrale Fragen:
- Soll die Verstetigung der Präventiven Hausbesuche zentral oder dezentral erfolgen oder gibt es mit Blick auf die zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen eine Lösung, die beide Aspekte berücksichtigt?
- Soll das Angebot in kommunaler oder freier Trägerschaft umgesetzt werden?
Im Folgenden sind die Erkenntnisse aus dem Lübecker Pilotprojekt unter Berücksichtigung der Erfahrungen anderer Städte zu diesen Fragestellungen und einem Austausch mit den Freien Wohlfahrtsverbänden zusammengefasst dargestellt.
6.2 Verortung der PHB-Kräfte
Im Sinne einer dezentralen Verortung sollten die hausbesuchenden Fachkräfte den Stadtteil der anwohnenden Senior:innen gut kennen und vor Ort präsent sein. Zugleich ist eine Einbindung in Organisationsstrukturen mit personellen, organisatorischen und Sachressourcen erforderlich - nachfolgend bezeichnet als zentrale Verortung. Zentralität bietet kurze Wege für fachlichen Austausch, besseren Zugang zu Ressourcen und erleichtert Vertretungsregelungen.
Der nachfolgende Überblick in Tabelle 1 stellt wesentliche Vor- und Nachteile (nicht abschließend) der jeweiligen Verortung dar.
PHB Dezentral |
Vorteile () | Nachteile () |
Präsenz in den Stadtteilen | x Vertretungsregelungen aufwändiger |
Stärkung des Quartiersgedankens | x Fehlender fachlicher Austausch |
Umfängliche Stadtteil-Kenntnisse | x Fehlende Arbeitsstruktur |
Zielgruppe wird ggf. besser erreicht | x Größerer personeller Aufwand |
| x Keine bedarfsgerechte Steuerung, wenn zu kleinteilig |
PHB Zentral |
Einfache Vertretungsregelung | x Keine ständige Präsenz im Quartier |
Fachlicher Austausch vor Ort | x Höherer Aufwand durch Fahrwege etc. |
Einbindung in größere Struktur | x Eher marginale Stadtteil-Kenntnisse |
Geringerer personeller Aufwand | |
Bedarfsgerechte Steuerung | |
Einfachere Arbeitsorganisation | |
Tabelle 1
Eine erste Einschätzung des Bereiches Soziale Sicherung ergibt nachfolgenden Ansatz:
PHB als zentrales Angebot mit festen Präsenzzeiten* in den Stadtteilen in Kooperation mit Netzwerkpartnerschaften vor Ort (Angebote der Freien Wohlfahrtsverbände, Kommunale Angebote, weitere Anbietende mit Multiplikationsfunktion).
*Die Präsenzzeiten dienen der Öffentlichkeitsarbeit, Informationsweitergabe zu den PHB, Vorgesprächen und der Netzwerkarbeit.
Zuvor skizzierter Ansatz entspricht im Wesentlichen den im Abschnitt 4 Seite 4 dargelegten PHB-Konzepten in Kiel, Chemnitz und Magdeburg.
6.3 Trägerschaft
Wie im Gliederungspunkt 4 dargestellt bestehen unterschiedliche Umsetzungsvarianten der Präventiven Hausbesuche. Die Kommunen setzen das Angebot entweder selbst um (bspw. Kiel, Neumünster, Chemnitz, Magdeburg) oder beauftragen Freie Wohlfahrtverbände mit der Umsetzung (Beispiel Norderstedt).
Im Rahmen der Förderung durch die Krankenkassen beim Lübecker Pilotprojekt ‚Präventive Hausbesuche in Moisling‘ bestand die Anforderung an Lübeck als Modellkommune darin, dass die Stadt als Projektträgerin auftritt und sich finanziell beteiligt. Organisatorisch und räumlich sollte an die konzeptionellen Vorplanungen der Caritas Lübeck und vorhandene Strukturen im Stadtteil Moisling angedockt werden. Neben dem Programm ‚Soziale Stadt‘ bot der langjährig bestehende Seniorentreff der Caritas Lübeck im Stadtteil Moisling mit seinem etablierten Angebot beste Voraussetzungen.
Für die Gegenüberstellung von Vor- und Nachteilen der jeweiligen Trägerschaft konnten die Erfahrungen im bundesweiten PHB-Netzwerk genutzt werden, die im Folgenden in Tabelle 2 zusammengefasst sind.
PHB als Angebot der Kommune |
Vorteile () | Nachteile () |
Breites Fachwissen; Kenntnis des Hilfesystems | x Erwachsenen-Sozialdienste i.d.R. zentral verortet |
Frühzeitige Sensibilisierung für Problemlagen | x Fokus ‚Soziales‘ im Vordergrund |
Steuerung der Quartiersangebote | x Präsenz im Quartier marginal |
Prävention als kommunale Daseinsvorsorge | x Rollenklarheit aufgrund des freiwilligen Angebots |
Positives Außenbild: Stadt kümmert sich | x Vorbehalte/ Bedenken wg. Kontrollfunktion der Stadt |
PHB als Angebot Freier Wohlfahrtsverbände |
Subsidiaritätsprinzip | x nicht in einer Hand/ kein städt. Auftreten nach außen |
Anbindung an Quartiersangebote der Wohlfahrt denkbar | x zusätzliche Schnittstelle bzw. Zuständigkeitswechsel bei weiterem Beratungs- oder Unterstützungsbedarf |
Leichterer Zugang zu niedrigschwelligen Hilfen | x Geburtstagspost der Stadt: Verbands-Empfehlung |
Rollenklarheit/ breiter vielfältiger Fokus | x Neutralität: „Färbung“ des jeweiligen Verbands/ |
Tabelle 2
Mit dem Gesundheitsamt erfolgte eine vorbereitende Abstimmung. Einvernehmlich wird für die Zeit nach der Verstetigung eine kooperative Zusammenarbeit zu den gesundheits-relevanten Themen vereinbart. Dies soll z.B. bei der Erstellung des Fragenkatalogs/ Gesprächsleitfadens für die Hausbesuche erfolgen sowie durch Zurverfügungstellung präventiver Materialien bspw. Flyer zum Hitzeschutzportal.
Innerhalb des Fachbereichs erfolgte eine Fachabstimmung. Präferiert wird ein kommunales Präventionsangebot im Rahmen der Daseinsvorsorge. Zum einen überwiegt in der PHB-Landschaft die kommunale Trägerschaft, zusätzlich trägt diese Aufgabenzuordnung zu den Forderungen zur Weiterentwicklung der Altenhilfe § 71 SGB XII als Pflichtleistung bei.
Die Hausbesuche als vorgelagertes Angebot, „ohne Anlass“ setzen bei der Selbstbefähigung an - im Idealfall den Allgemeinen Sozialdienst (ASD) entlastend. Der ASD wird erst beim eingetretenen Hilfebedarf tätig. Ferner gibt es Erfahrungen aus anderen Kommunen, die Ihre Präventiven Hausbesuche dem ASD zuordnen, so dass bei hohem Aufkommen von Notfällen die Präventionsbesuche in die Nachrangigkeit ‚rutschen‘.
Die Bilanz im Bereichs Soziale Sicherung zur Trägerschaft umfasst nachfolgenden Ansatz:
PHB als unabhängiges kommunales Angebot im Rahmen der Daseinsvorsorge. Das Angebot ist im Fachbereich 2 angesiedelt. Mit dem zielgruppenrelevanten breit angelegten Hilfespektrum erfolgt die Verortung vorzugsweise im Bereich Soziale Sicherung, jedoch nicht dem Allgemeinen Sozialdienst/ Erwachsenenhilfe zugeordnet.
6.4 Einschätzung der Wohlfahrtsverbände
In die Vorplanungen zum verstetigten PHB-Konzept wurden neben den Erfahrungen aus der vierjährigen Modellphase zudem Überlegungen der Freien Wohlfahrtsverbände einbezogen. Seitens der Wohlfahrt wurde die Idee eingebracht, dass die Präventiven Hausbesuche möglicherweise auch als gemeinsames Angebot mehrerer Verbände in ihren jeweiligen Standorten in den Stadtteilen umgesetzt werden könnten.
Diese Überlegung orientiert sich an einem langjährig bestehenden Kooperationsverbund der Freien Wohlfahrt im Rahmen der Lübecker Stadtranderholung. Bei dem trägerübergreifenden Angebot „Reisen ohne Koffer“ bieten die Wohlfahrtsverbände AWO, Caritas und DRK einmal im Jahr jeweils eine zehntägige seniorenspezifische Urlaubsfahrt an, die von der Hansestadt Lübeck gefördert wird. In Anlehnung an vorgenannten Kooperationsverbund wird seitens der Freien Verbände angeregt, die Präventiven Hausbesuche in der Hansestadt Lübeck in entsprechender Weise umzusetzen.
7 Finanzieller Rahmen
Die Personalkosten für zwei sozialpädagogische VZÄ Fachkräfte sind für das Jahr 2024 anteilig auf 79 TE, für die Folgejahre ab 2025 auf jährlich 166 TE veranschlagt (inklusive Sachkosten ca. 10 %; Aufstellung gemäß KGSt/ Kommunaler Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement). Die Personal-und Sachaufwendungen sind als Mehraufwand im Haushalt 2025 geordnet.
Zudem bietet das jährliche Budget ‚Prävention im Alter‘ von zunächst 50 TE p.a. (siehe Gliederungspunkt 2 Seite 2 VO/2017/04549) Spielraum in der Finanzierung.
8 Beschlussvorschlag
Es wird nachfolgende Variante empfohlen:
Nach den Erkenntnissen des vierjährigen Modellprojekts (Punkt 3, S. 3), den Erfahrungen im Austausch auf Bundes- bzw. Landesebene (Punkt 4, S. 4) sowie den Eckpunkten zum Konzeptrahmen (Punkt 5, S. 5/6) überwiegen die Vorzüge eines kommunalen PHB-Angebots: Mit breitem Fachwissen, bester Kenntnis des Hilfesystems, mit frühzeitiger Sensibilisierung für Problemlagen und Steuerung von Quartiersangeboten sowie einer Prävention als kommunale Daseinsvorsorge, die ein positives Außenbild der Stadt befördert im Sinne „die Stadt kümmert sich“.
Empfohlen wird, die Präventiven Hausbesuche, auch mit Blick auf die zur Verfügung stehenden finanziellen und personellen Ressourcen, wie folgt umzusetzen:
- PHB als unabhängiges kommunales Angebot im Rahmen der Daseinsvorsorge. Das Angebot ist im Fachbereich 2 angesiedelt. Mit dem zielgruppenrelevanten breit angelegten Hilfespektrum erfolgt die Verortung vorzugsweise im Bereich Soziale Sicherung, wird jedoch nicht dem Allgemeinen Sozialdienst/ Erwachsenenhilfe zugeordnet. Die Präventiven Hausbesuche werden als zentrales Angebot mit festen Präsenzzeiten in den Stadtteilen in Kooperation mit Netzwerkpartner:innen vor Ort umgesetzt.
Vor Umsetzungsstart wird eine Beteiligungsveranstaltung angeregt. Unter Einbindung der beteiligten Krankenkassen als Fördermittelgeber im Modellprojekt soll die Zielgruppe ‚Lübecker Senior:innen‘ in einer Auftaktveranstaltung hinsichtlich Konzeptausgestaltung, Anschreiben und weitere Aspekte zum Angebot einbezogen werden.