Im Rahmen des Haushaltsbegleitbeschlusses vom 28.9.2023 (VO/2023/12437-02-01) wurde von der Bürgerschaft folgender Beschluss gefasst:
2.6 Pilotprojekt Housing First
Für den in Skandinavien verbreiteten, aber auch in Deutschland schon erprobten Ansatz Housing First zur Adressierung von Wohnungslosigkeit wird in 2024 ein Pilotprojekt durchgeführt. Hierfür werden 50.000 € Sachkosten und eine Stelle im Haushalt geordnet. Diese Posten werden mit einem Sperrvermerk versehen, der aufgehoben wird, sobald ein Konzept beschlossen wurde, mit dessen Vorlage der Bürgermeister bis Q1 2024 beauftragt wird.
Bereits in dem Ausschuss für Soziales am 11.7.2023 (VO/2023/12143) wurde die Einrichtung einer interfraktionellen Arbeitsgruppe beschlossen. Die Teilnehmenden sollten aus der Verwaltung, den Fraktionen sowie den erfahrenen Träger:innen auf diesem Gebiet bestehen.
Die interfraktionelle Arbeitsgruppe hat 3-mal getagt.
Hierbei haben sich die Arbeitsgruppenteilnehmenden auch ein Bild über das Housing-First-Projekt in Hamburg machen können. In Hamburg leben 1.900 Personen auf der Straße, d.h. sind obdachlos (zum Vergleich: in Lübeck rund 30 Personen). Insgesamt gibt es in Hamburg rund 50.000 wohnungslose Menschen, die in einer Unterkunft leben (zum Vergleich: in Lübeck rund 500 Personen).
Hamburg hat in 2021 ein 3-jähriges Modellprojekt mit 30 Plätzen beschlossen. Dabei richtet sich das Projekt ausschließlich an Menschen, die ein Jahr obdachlos (d.h. auf der Straße leben) und im Leistungsbezug sind. Voraussetzung ist außerdem, dass die Personen sich an Absprachen halten können, die sog. Absprachefähigkeit. Die ausgewählten Personen erhalten einen direkten unbefristeten Mietvertrag.
Um das Projekt Housing First im Kontext des Lübecker Systems der Wohnungslosenhilfe bewerten zu können, erfolgt zunächst eine kurze Darstellung hierzu.
I) Beratungsstellen
- Zentrale Beratungsstelle für alleinstehende Männer
- Beratungsstelle für Frauen
- Beratungsstelle für Jungerwachsene
Die Aufgaben der Beratungsstellen sind die Beratung, wenn notwendig auch als intensive Einzelfallhilfe, die Geldverwaltung/Postanschrift sowie die Möglichkeit zu duschen, sich aufzuwärmen, Wäsche zu waschen und zu erhalten und die Ausgabe von Lebensmittelpaketen.
Zudem berät die Unterkunftssicherung des Bereichs Soziale Sicherung im Fall eines drohenden Wohnungsverlustes.
II) Aufsuchende Hilfen
Die Menschen, die auf der Straße leben, also obdachlos sind, werden regelmäßig aufgesucht. Ihnen wird Hilfe angeboten durch
- die Streetworker der genannten Beratungsstellen und den Streetworkern aus der Mühle 77 (Alkoholprävention)- beides Diakonie NordNordOst
- den Streetworkern der AWO und
- den ehrenamtlichen Helfer:innen der Obdachlosenhilfe e.V.
Daneben gibt es auch noch das niedrigschwellige Angebot des Café W.U.T. (warmes Essen, Aufenthaltsmöglichkeiten, Duschen, Wäsche waschen).
III) System der Notunterbringung sowie Verselbstständigungsformen gem. § 67 SGB XII
Das System der Notunterbringung verpflichtet sich dem sozialstaatlichen Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe und hat als Ziel, von der Obdachlosigkeit zurück ins Hilfesystem zu führen.
Zunächst stehen für diese Personen Notunterkünfte zur Verfügung.
- Für alleinstehende Männer: das Bodelschwinghhaus der Diakonie NordNordOst (DNNO) und die Unterkunft der Heilsarmee
- Für alleinstehende Frauen das Sophie-Kunert-Haus der DNNO
- Für jungerwachsene Männer das Sophie-Kunert-Haus (gesonderter Trakt) der DNNO
- Für Mehrpersonenhaushalte die Übergangshäuser in der Josephinenstr., dem Andersenring , dem Heiweg und der Rübenkoppel
In den Notunterkünften findet eine Betreuung durch den jeweiligen Leistungserbringer statt.
Ergänzend hierzu ist es zum einen aus Kapazitätsgründen und zum anderen aufgrund in der Person liegenden Gründen notwendig, Personen gewerblich unterzubringen (Hotels, Pensionen).
Als weitere Wohnformen im Sinne einer Verselbstständigung dieses Personenkreises sind dezentrale Wohnungen und Wohnanlagen zu nennen.
Hier wird diesem Personenkreis die Möglichkeit geboten, wieder in abgeschlossenen Wohnungen alleine zu wohnen. Sie erhalten einen Untermietvertrag und die Möglichkeit einer niedrigschwelligen Betreuung.
Die Wohnungen der dezentralen Wohnraumhilfe sind auf das Stadtgebiet verteilt und werden von der DNNO angemietet und im Rahmen eines Untermietverhältnisses an die wohnungslose Person vermietet.
Der Untermietvertrag läuft in der Regel 1 Jahr mit dem Ziel in ein direktes Mietverhältnis mit dem Vermieter überführt zu werden.
Es erfolgt eine niedrigschwellige Betreuung durch die DNNO. Für den Vermieter steht die DNNO ebenfalls als Ansprechpartner zur Verfügung. Vorteil hier ist, dass eine direkte Intervention bzw. Absprache mit dem Untermieter möglich ist, was auch die Bereitschaft erhöht, dass Vermieter ihre Wohnung zur Verfügung stellen. Auch die ehemaligen wohnungslosen Menschen, die in einer solchen Wohnung wohnen, sehen dieses Konzept als Sicherheit, da für den Fall, dass jedwede Schwierigkeiten auftreten, Hilfe und Ansprechpartner schnell verfügbar sind.
Zurzeit sind rund 120 Wohnungen an ehemals wohnungslose Personen untervermietet. In 2023 gab es lediglich 15 Beendigungen, u.a. aufgrund von Umzügen, Tod, stationären Aufenthalts oder Fehlverhaltens.
In der Arbeitsgruppe bestand Einigkeit, dass das Konzept Housing First als weiterer Baustein des Lübecker Weges der Wohnraumhilfe projekthaft zunächst für den Zeitraum von 3 Jahren installiert werden soll. Es sollen in dieser Zeit 10 Wohnungen mit einem direkten und unbefristeten Mietvertrag vergeben werden. Es können Personen aufgenommen werden, die ein halbes Jahr im Lübecker System der wohnungslosen- und obdachlosen Menschen leben. Darüber hinaus müssen die Personen Transferleistungen beziehen und sich an Absprachen halten können.
Die Betreuung soll als freiwillige Unterstützung angeboten werden.
Die Finanzierung der Betreuung erfolgt in der gesamten Wohnraumhilfe über eine Leistungs- und Vergütungsvereinbarung nach § 75 ff SGB XII. Insofern werden die zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel an dieser Stelle nicht in der veranschlagten Höhe benötigt.
Als wesentlicher Baustein des Lübecker Weges der Wohnraumhilfe sollen die präventiven Maßnahmen vor Wohnungsverlust und zur Fortsetzung des Mietvertrages weiter ausgebaut werden. Diese präventiven Maßnahmen richten sich an alle Bürger der Stadt unabhängig davon, ob diese Transferleistungen erhalten.