In einer Epoche der Zunahme politisch motivierter Gewalttaten und antisemitischer Haltungen ist die Positionierung der Kommune für eine lebendige Erinnerungskultur und die Verantwortung für schulische und außerschulische Bildungsarbeit gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit unabdingbar.
Auftrag der Bürgerschaft war es, einen Aktionsplan zu erstellen, mit dem Antisemitismus in Lübeck in all seinen Erscheinungsformen noch entschiedener bekämpft werden kann. Der Fokus sollte dabei auf Lübecker Schüler:innen gerichtet sein. Dazu sollte ein Präventions-, Interventions- und Beratungsprogramm an Lübecker Schulen und Jugendzentren sicherstellen, dass Jugendliche für die Gefahren von Antisemitismus sensibilisiert, bei Konfliktfällen mit antisemitischem Hintergrund Hilfe erhalten und Lehrkräfte sowie Betreuer:innen bei der Antisemitismus-Prävention unterstützt werden. Der Vernetzung der schulpsychologischen Dienste mit örtlichen Einrichtungen der Jugendhilfe und Jugendarbeit, der Polizei sowie mit Einrichtungen zur Prävention und Intervention bei Antisemitismus sollte dabei verstärkt Rechnung getragen werden.
Ebenfalls sollte mit Blick auf die Museen an der Schnittstelle von Schule und Gesellschaft die Stärkung der historisch-politischen Bildungsarbeit erreicht werden. In den Lübecker Museen sollte eine Präsentation zur Geschichte und Gegenwart des Judentums und ein begleitendes digitales Angebot eingerichtet werden. Des Weiteren sollte die Carlebach-Sammlung zeitnah der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Mit diesem Bericht werden Schwerpunkte und die entsprechenden Maßnahmen zur Bekämpfung des Antisemitismus im Speziellen, als auch der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit im Allgemeinen, aufgezeigt.
Die Betrachtung erfolgt aus Sicht des Bereichs Schule und Sport mit Einbindung der betroffenen Bereiche der Fachbereiche 2 und 4.
1. Gemeinsam gegen Rassismus
Am 19.06.2020 ist die Hansestadt Lübeck der Europäischen Städtekoalition gegen Rassismus e.V. beigetreten. In der Aufnahmekonferenz hat sich die Hansestadt Lübeck zu einem 10-Punkte-Aktions-Plan mit regelmäßiger Fortschreibung und Berichterstattung verpflichtet, basierend auf der eingereichten Konzeption (siehe Anlage 1).[1]
In Abstimmungsgesprächen zwischen den Fachbereichen 2 und 4 wurde sich mit der Stabsstelle Integration darauf verständigt, dass das Thema Antisemitismus aufgrund der Synergieeffekte in den 10-Punkte-Aktions-Plan der Hansestadt Lübeck aufgegriffen wird.
2. Integration fördern
Ein wichtiger Baustein im 10-Punkte-Aktionsplan ist das 2021 aktualisierte und von der Bürgerschaft verabschiedete Integrationskonzept (VO/2021/09701). In einem mehrstufigen Beteiligungsverfahren hat die Stabsstelle Integration priorisierte Leit- und Teilziele für die kommunalen Handlungsfelder entwickelt, welche in das Integrationskonzept aufgenommen wurden. Es wurde ein Maßnahmenkatalog entwickelt, der in Abhängigkeit der Priorisierungen ab 2022 umgesetzt wird.
3. Extremismusprävention und Demokratieförderung
Der Bereich Jugendarbeit der Hansestadt Lübeck hat sich 2021 erfolgreich beim Bundesprogramm „Demokratie leben - Vielfalt gestalten- Extremismus verhindern!“ beworben. Das Programm beinhaltet eine mehrjährige, umfangreich durch Bund und Land geförderte Projektpartnerschaft, die auf vielfältige Weise für demokratisches Denken und Handeln wirbt, gegen Ausgrenzung und Feindseligkeit aufsteht und für ein tolerantes Miteinander in der Gesellschaft wirbt. Ein sogenannter „Begleitausschuss“, der sich mehrheitlich aus Vereinen, Verbänden und Initiativen zusammensetzt, in dem aber auch städtische Verwaltungsbereiche, u.a. die Bereiche Schule und Sport sowie Stabsstelle Integration, mitwirken, ist für die strategische Planung der Programminhalte sowie die Entscheidung über die Verwendung eines Etats aus Bundesmitteln verantwortlich. Er ist am 18.08.2021 erstmalig zusammengetreten. Das Jugendforum wurde im Oktober gegründet und ist im Begleitausschuss mit zwei Stimmen vertreten. Eine erste Demokratiekonferenz mit vielen Mitwirkenden wurde am 17.09.2021 durchgeführt.
Projektpartner:innen sind die Hansestadt Lübeck, Fachbereich Kultur und Bildung, Bereich Jugendarbeit/Jugendamt und der freie Träger der Jugendhilfe Sprungtuch e.V., der sich auf eine entsprechende Interessensbekundung mit einem umfangreichen Konzept beworben hatte. Gemeinsam werden die Partner:innen für die nächsten Jahre Strukturen in Lübeck entwickeln, die den Dialog einschlägiger Vereine, Initiativen und Verbände mit der Kommunalverwaltung pflegen, über ein Jugendforum eine Plattform für direkte Kommunikation mit jungen Menschen herstellen und kleine und große Projekte in der Stadt fördern, die dem Programmzweck entsprechen. Antisemitische Stereotypen werden von Generation zu Generation weitergetragen. Diese Stereotypen durch Dialog aufzubrechen, ist Ziel des Programms Demokratie leben“.
Mit dem Landesdemokratiezentrum Schleswig-Holstein (https://www.landesdemokratiezentrum-sh.de/) besteht seit mehreren Jahren über PROvention (Präventions- und Beratungsstelle gegen religiös begründeten Extremismus) und RBT-Regionale Beratungsteams gegen Rechtsextremismus eine Zusammenarbeit mit den Bereichen Jugendarbeit, Schule und Sport sowie der Stabsstelle Integration der Hansestadt Lübeck. Auch führt PROvention seit 2021 in Zusammenarbeite mit dem Bereich Jugendarbeit und der Stabsstelle Integration regelmäßig den Runden Tisch „Religiös begründeter Extremismus in Lübeck“ durch. Zuletzt hat PROvention im Gesamtteam Schulsozialarbeit im September 2021 sein aktuelles Beratungsangebot präsentiert.
Zudem besteht ein Austausch mit dem Bundesprogramm Respekt Coaches, das in Lübeck beim Jugendmigrationsdienst der Gemeindediakonie angesiedelt ist.
Weiterhin erfolgt ggf. die Hinzuziehung der Jugendsachbearbeiter von AGGAS (Arbeitsgemeinschaft gegen Gewalt an Schulen) der Lübecker Polizei.
4. Demokratiebildung in der Schule
Schule ist ein zentraler Ort für Demokratiebildung ( https://www.demokratie-leben.de/neue-entwicklungen-in-der-antisemitismuspraevention) und bietet sich durch die Erreichbarkeit aller Schüler:innen für verschiedene Projekte an.
Der Bereich Schule und Sport hat die Umsetzung eines Geschichtsprojektes an den Lübecker Schulen mit Unterstützung durch die Possehl-Stiftung begleitet. Das Unterrichtsprojekt „Vergessene jüdische Kinder und Jugendliche in Lübeck“ wurde konzipiert vom ehemaligen Geschichtslehrer Günter Knebel auf der Basis eines pädagogischen Konzeptes der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem und unterstützt durch die Recherchearbeit von Fr. Kugler-Weiemann von der Initiative „Stolpersteine für Lübeck“. Es beschäftigt sich mit den Schicksalen von Kindern und Jugendlichen aus fünf jüdischen Lübecker Familien: Rosi Daicz, Josef und Berthold Katz, Peter Mansbacher, Hanna und Hermann Mecklenburg und die Geschwister Prenski.
Das Geschichtsprojekt verfolgt einen regionalen und altersgemäßen Ansatz in der Vermittlung des Holocaust im 21. Jahrhundert und kann sowohl im regulären Unterricht wie auch an Projekttagen in den Jahrgängen 9 bis 13 durchgeführt werden. Es ermöglicht einer Schulklasse, aufgeteilt in fünf Gruppen, die Gestaltung einer Ausstellung zu jeweils einer Familiengeschichte durch vielfältige Materialien wie ein Lehrer- und Glossarheft, fünf Geschichtsalben mit Fotos und Objektkarten sowie weiteren zeitgeschichtlichen Dokumenten aus der Zeit vor 1933 bis in die Gegenwart.
Im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus wurde das Material der Öffentlichkeit am 14.03.2022 in der Carlebach-Synagoge erstmalig präsentiert. Am 15. und 23.03.2022 fanden Fortbildungen durch Hr. Knebel zu den Materialien statt, so dass ein Einsatz in den Schulen nach den Osterferien erfolgen kann.
5. An der Seite von Opfern gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit stehen
Der Bereich Schule und Sport verantwortet die Schulsozialarbeit an den Lübecker Schulen. Aufgabe von Schulsozialarbeit ist die Stärkung und Entwicklung von persönlichen und sozialen Kompetenzen, u.a. über die Durchführung von Sozialkompetenztrainings. Ein positives Selbstbild und ein gutes Selbstwertgefühl der Schüler:innen verbunden mit Wertschätzung und einem respektvollen Umgang mit Mitschüler:innen und Lehrkräften sind wichtig, um die Entwicklung von extremistischen Ansichten zu verhindern.
Toleranz im Umgang miteinander wird durch weitere schulische Angebote wie Klassenrat, Schülerparlament sowie die Ausbildung von Klassensprecher:innen gestärkt. Auch hier wird die Schulsozialarbeit einbezogen.
Neben der präventiven Arbeit der Schulsozialarbeiter:innen ist es auch Aufgabe, interventiv bei Mobbing und grenzverletzendem Verhalten zu agieren. Hierzu setzen die Schulsozialarbeiter:innen u.a. die Methode des No-blame-approach ein, die mit der Gruppe der beteiligten Schüler:innen arbeitet. Dies beinhaltet auch das Einschreiten bei antisemitischen Äußerungen und Handlungen. Hierbei erfolgt eine enge Zusammenarbeit mit der Schulleitung, die für Ordnungsmaßnahmen etc. zuständig ist.
In regelmäßigen Konferenzen und Gesprächen zwischen den Schulleitungen, dem Schulamt und dem Bereich Schule und Sport wird die Tätigkeit der Schulsozialarbeit im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen überprüft. Thematisiert wurden hierbei auch extremistische Entwicklungen.
Darüber hinaus beteiligen sich sieben Lübecker Schulen am bundesweiten Schulnetzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“, das sich über vielfältige Veranstaltungen bewusst gegen jede Form von Diskriminierung, Mobbing und Gewalt wendet.
Das Thema Antisemitismus ist zudem regelhaft Unterrichtsinhalt in den Fächern Weltkunde und Geschichte. Das Bildungsministerium hat eine Handlungsleitlinie „Religion, Islamismus, Salafismus in Schulen“ für Schulleitungen und Lehrkräfte herausgegeben:
https://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/III/Service/Broschueren/Bildung/salafismus.html .
Durch den Bereich Schule und Sport wurde ein Rundschreiben an die allgemein- und berufsbildenden Schulen sowie an die Sportvereine verschickt, in dem auf das Recht zur diskriminierungsfreien Teilhabe auf Basis des Grundgesetzes verwiesen wird und auf die gemeinsame Verantwortung Antisemitismus, Antirassismus und Antidiskriminierung entgegenzuwirken. Hierzu gehört eine Übersicht mit Materialien und Links zum Thema Antisemitismus.
6. Stärkung der historisch-politischen Bildungsarbeit
Im Museumsentwicklungsplan der LÜBECKER MUSEEN (VO/2020/09097) ist auf S. 20 dargelegt, dass das St. Annen-Museum beabsichtigt, mit der benachbarten Synagoge zu kooperieren. In der Carlebach-Synagoge wird eine kleine Präsentation zum Gebäude, zur Rabbinerfamilie Carlebach sowie zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Lübeck entstehen. Die Ausstellung wird von einer wissenschaftlichen Kuratorin und dem Leiter der Völkerkundesammlung gemeinsam mit der jüdischen Gemeinde erarbeitet und wird einige Objekte aus dem Bestand der Völkerkundesammlung dauerhaft präsentieren. Im St. Annen-Museum könnte eine vergleichende Ausstellung über das Christentum und das Judentum diese Präsentation ergänzen und durch begleitende Bildungsangebote einen Beitrag zur Bekämpfung des Antisemitismus in Lübeck leisten. Ein solches Projekt kann jedoch nur als extern kuratierte Sonderausstellung realisiert werden, da die Expertise zu diesem Thema im Museum nicht vorhanden ist. Die dauerhafte Bespielung des Themas erforderte die Einrichtung einer fachwissenschaftlichen Stelle.
Die Völkerkundesammlung bietet eine weitere Möglichkeit zur Beschäftigung mit der jüdischen Kultur. Im November 2018 hat die Bürgerschaft mit der VO/2018/06754 entschieden, ihren Beschluss von 2002 über die Schließung des musealen Betriebs aufzuheben und die Eröffnung eines Museums zuVeranlassen. Unter dem Leitmotiv »Lübeck und die Welt« soll die zukünftige Ausstellung sich in unterschiedlichen Modulen u.a. mit den Themen »Lübecker entdecken die Welt«, »Handel und Austausch«, »Kolonialismus«, »Zusammenleben und globale Zusammenarbeit« sowie »Fremdsein in Lübeck« befassen. Letztere Sektion würde u.a. die Kultur der Juden in Lübeck thematisieren und hierzu auch die bedeutende Carlebach-Sammlung wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen.
7. Neuausrichtung der Erinnerungskultur
Mit der VO/2019/07965-01-01 Konzept "Wege von Verfolgung und Widerstand in Lübeck" Ergänzungsantrag zu "Gedenkort Gestapozellen im Zeughaus" VO/2019/07965 und VO/2019/07965-01 wurde die die Verwaltung beauftragt, ein fundiertes und zeitgemäßes Konzept für eine Neuausrichtung der Erinnerungskultur in der Hansestadt zu erarbeiten. Federführend von Verwaltungsseite ist der Bereich Archiv. Das Projekt ist institutionell am Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck (ZKFL) angebunden. Es geht darum, das Gedenken in Lübeck gegenwartsbezogen und zukunftsorientiert zu gestalten. Das Konzept befindet sich derzeit in der fachlichen und verwaltungsseitigen Endabstimmung. Es soll eine Strategie zu möglichst breitangelegter Vermittlungsarbeit durch didaktisch aufbereitete Demokratiebildung unter Berücksichtigung der Themen Antisemitismus und Migrationsgesellschaft mit Gegenwartsbezug beinhalten. Das Konzept wird im Verlauf des Jahres 2022 den kommunalpolitischen Gremien und der Öffentlichkeit vorgestellt.
Im Rahmen seiner historischen Bildungsarbeit informiert das Archiv die Öffentlichkeit seit längerem auch über die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Lübeck. In der Veröffentlichungsreihe des Archivs werden auch Themen der jüngeren deutsch-jüdischen Geschichte aufgegriffen. Zudem befasst sich der vom Archiv initiierte, für alle offene Arbeitskreis „Lübeck im 20. Jahrhundert“ mit Themen wie Antisemitismus und Rassismus in der jüngeren Geschichte der Stadt.
Des Weiteren sei auch auf die erfolgten Maßnahmen und Ausführungen im Zusammenhang mit dem Festjahr 2021 – JÜDISCHES LEBEN IN DEUTSCHLAND hingewiesen. (VO/2021/09985-01).
Die Hansestadt Lübeck wird weiterhin an der Umsetzung und Weiterentwicklung von Maßnahmen zur Bekämpfung von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie zur Stärkung der Demokratie arbeiten.