Vertretungsmodell für die Lübecker Kindertagespflege
Nach § 48 des Kindertagesförderungsgesetzes soll der örtliche Träger der Jugendhilfe durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass für Ausfallzeiten der Kindertagespflegepersonen stets eine andere Betreuungsmöglichkeit für das Kind zur Verfügung steht. Zwischen dem betreuten Kind und der Vertretungsperson soll im Vorfeld der Vertretungssituation eine sichere Bindung aufgebaut werden.
Die Hansestadt Lübeck nimmt am Bundesprogramm „ProKindertagespflege: Wo Bildung für die Kleinsten beginnt“ teil. Gemeinsam mit dem Trägerverbund Kindertagespflege wurde in diesem Rahmen ein Vertretungsmodell für Lübeck entwickelt. Während der Programmlaufzeit wurden unterschiedliche Vertretungskonzepte anderer Kommunen unter Einbeziehung verschiedener Akteur:innen ausgewertet.
Ziel ist es, die Kindertagespflege als wichtiges Angebot der frühkindlichen Betreuung zu einem noch verlässlicheren Betreuungsmodell in Lübeck zu entwickeln. Die Vertretungsreglung war in einer in 2019 in Lübeck durchgeführten Elternbefragung ein Kritikpunkt. Eltern wollen ihre Kinder gut betreut wissen und wünschen sich Planungssicherheit für ihren beruflichen Alltag. Auch Kindertagespflegepersonen sind an einem guten Vertretungsmodell interessiert, um in ungeplanten Ausfallzeitendie ihnen anvertrauen Kinder in guten Händen zu wissen.
Bisherige Vertretungssituation
Bei Krankheit einer Kindertagespflegeperson kann bisher nur begrenzt Unterstützung durch den Verbund Kindertagespflege angeboten werden, da kein ausreichendes Netz an Vertretungskräften zur Verfügung steht.
Können Eltern im familiären Umfeld keine Alternativbetreuung sicherstellen, erfolgt in einigen Kindertagespflegestellen die Ersatzbetreuung durch eine Mobile Vertretungskraft. Diese ist in der Kindertagespflegestelle bekannt, wird aber nur im Vertretungsfall vergütet und bekommt keine Geldleistung für den notwendigen Vertrauensaufbau mit der Kindertagepflegeperson, den Kindern und den Eltern. Eine Vertretungstätigkeit ist daher aktuell nur bei längeren Ausfallzeiten einer Kindertagespflegeperson attraktiv. Häufig stellt sie einen Übergang dar, bis die Vertretungskraft eine eigene Kindertagespflegestelle eröffnet. Die Mobile Vertretungskraft ist zudem keine Lösung für die häusliche Kindertagespflege im eigenen Wohnraum, da im Wohnraum der erkrankten Kindertagespflegeperson keine Vertretung stattfinden kann.
Grundzüge des Vertretungsmodells
Aus dem gesetzlichen Auftrag folgt, dass die vertretende Kindertagespflegeperson eine sichere Bindung zu den betreuten Kindern der zu vertretenden Kindertagespflegeperson aufbaut und sichert. Dies erfordert einen Rahmen einer kontinuierlichen Begegnung der Vertretungskraft und der zu vertretenden Kindertagespflegeperson mit ihren Kindern in einem angemessenen Mindestumfang.
Hierfür ist vorgesehen, dass die selbständig Tätigen Vertretungskräfte und die zu vertretenden Kindertagespflegeperson verlässliche Kooperationsvereinbarungen schließen. Dabei sind sowohl die Vertretungskräfte als auch die zu vertretenden Kindertagespflegepersonen frei, mit wem jeweils eine Kooperationsvereinbarung geschlossen wird, die HL bzw. der von ihr beauftragte Trägerverbund „Verbund Kindertagespflege“ stehen beratend zur Seite.
Aus der Kooperationsvereinbarung stellt die Vertretungskraft den Aufbau und die Sicherung einer Bindung zu den bereuten Kindern her, hierfür sollten 3 Std. wöchentliche gemeinsame Kontakte angemessen sein, alternativ 6 Std. zweiwöchentlich.
Für den Vertretungsfall ist die Vertretungskraft für die zu vertretende Kindertagespflegeperson(en) telefonisch erreichbar und tritt im Vertretungsfall nahtlos in die Betreuung ein.
Die sich aus der Kooperationsvereinbarung ergebende Leistung bietet die Vertretungskraft der Hansestadt Lübeck an. Bei Annahme der Leistung erstellt die Vertretungskraft monatlich eine Rechnung. Welche Leistungen der Vertretungskraft mit welcher Geldleistung vergütet werden, wird in der Richtlinie Kindertagespflege im Einzelnen festgelegt.
In die Richtlinie Kindertagespflege sind folgende Regelungen aufzunehmen:
- Umfang der gemeinsamen Kontakte von 3 Std. wöchentlich, alternativ 6 Std. zweiwöchentlich pro Kindertagespflegestelle.
- Höhe der Geldleistung, diese soll sich an der gesetzlich geregelten Geldleistung für eine regulär betreuende Kindertagespflegeperson bemessen und umfasst einen Stundenbetrag je betreutes Kind.
- Für die Geldleistung die zu Grunde zu liegende Kinderzahl. Die in der Lübecker Kindertagespflege durchschnittlich betreute Kinderzahl liegt bei 4,3 Kindern je Kindertagespflegeperson, deshalb sollen der Geldleistung 5 Kinder je zu vertretender Kindertagespflegeperson zu Grunde gelegt werden.
- Anzahl der Kooperationsvereinbarungen, die Obergrenze soll bei 10 Kooperationsvereinbarungen liegen. Ansonsten ist der Aufbau einer sicheren Bindung nicht mehr gewährleistet.
- Die Vertretungskraft stelle eine telefonische Erreichbarkeit für die kooperierenden Kindertagespflegepersonen sicher.
- Im Vertretungsfall erhält die Vertretungskraft die Geldleistung aus der tatsächlichen Betreuungsleistung, mindestens aber die Geldleistung die sich aus den o.g. Regelungen ergibt.
- Für Zeiträume, in denen die Vertretungskraft wegen z.B. Erkrankung oder Urlaub weder für den Bindungsaufbau noch für Vertretungen bereitsteht, entfällt die Geldleistung.
Qualitative Anforderungen an eine Vertretungsregelung
Die Vertretungskraft in der Kindertagespflege muss dem Förderauftrag nach § 22 SGB VIII gerecht werden. Sie muss die formalen Anforderungen erfüllen, wie z.B. die persönliche Eignung, ggf. geeignete Räume und den Besitz einer gültigen Pflegeerlaubnis.
Eine Vertretungskraft muss die Kompetenz mitbringen, sich schnell in neue Situationen einzufühlen, sich auf andere Personen und Konzeptionen einzustellen und muss dabei kooperativ und zeitlich flexibel sein.
Die Vertretungsregelung in der Kindertagespflege soll für alle Altersgruppen in dieser Betreuungsform gelten und muss auf die besonderen Bedürfnisse von Kindern unter drei Jahren eingehen. Die Selbstständigkeit und die Struktur der familiennahen Kindertagespflege muss berücksichtigt werden.
Ein gutes Vertretungssystem ermöglicht:
- eine den Kindern, Eltern und Kindertagespflegeperson vertraute Vertretungsperson, die aufgrund einer gut geregelten Vergütung langfristig an der Tätigkeit interessiert ist
- eine pädagogisch qualifizierte Ersatzbetreuung für die Kinder
- die Sicherung der Betreuungskontinuität zur Planungssicherheit für Familien und Kindertagespflegeperson
- regelmäßige gemeinsame Aktivitäten von Vertretungspersonen, Kindertagespflegepersonen und den zu betreuenden Kindern
- Kommunen die Sicherheit, auch bei ungeplanten Ausfallzeiten der Kindertagespflegepersonen den Rechtsanspruch auf Betreuung erfüllen zu können
Vertretungsmodell
Das Vertretungsmodell soll Lösungen für unvorhergesehene, akute Ausfälle wie z.B. durch Krankheit bieten. Es gilt für diese Ausfallzeiten eine rechtzeitige Betreuungsalternative für das Kind sicherzustellen. Reguläre Urlaubs- Schließzeiten werden frühzeitig zwischen der Kindertagespflegeperson und den Eltern abgestimmt, so dass in diesen Zeiten in der Regel keine Vertretung benötigt wird.
Im Rahmen des Bundesprogramms wurden unterschiedliche Vertretungsmodelle geprüft. Das hier für Lübeck vorgesehene Modell kombiniert zwei Vertretungskonzepte und schließt eine Koordination und Fachberatung ein.
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a) Die Mobile Vertretungskraft (MobilVK)
Die MobilVK kooperiert mit Kindertagespflegepersonen, die in angemieteten Räumen tätig sind. Sie ist für bis zu 50 Kinder zuständig, denn sie kann mit bis zu 10 Kindertagespflegepersonenkooperieren. Die MobilVK besucht täglich ihre Kindertagespflegestellen und lernt so die Kindertagespflegeperson, die Kinder und Eltern kennen. Erkrankt eine der zu vertretenden Kindertagespflegepersonen, vertritt die MobilVK diese in der KTP-Stelle vor Ort. Der Besuch der anderen Kindertagespflege-stellen entfällt während der Vertretungszeit.
b) Stützpunkt Vertretungskraft (StüpuVK)
Kindertagespflegepersonen, die die Kinder in der eigenen Wohnung betreuen, können im Vertretungsfall dort nicht vertreten werden. Deshalb werden für die Vertretung dieser Kindertagespflegepersonen Räumlichkeiten vorgehalten, in denen die Vertretung durchgeführt wird. Diese Räumlichkeiten werden als Stützpunkte bezeichnet. In jedem Stützpunkt sollen zwei StüpuVK tätig sein. Sie kooperieren jeweils mit bis zu zehn Kindertagespflegepersonen (bis zu jeweils 50 Kinder), die regulär allein in eigenen Räumen Kinder betreuen. Jede der im Stützpunkt tätigen Vertretungskräfte wird täglich von kooperierenden Kindertagespflegepersonen mit den Kindern besucht. So lernen sich die StüpuVKs, die Kindertagespflegeperson und die Kinder kennen. Wenn möglich, werden die Kinder an diesem Tag von den Eltern dorthin gebracht oder von dort abgeholt, damit auch die Eltern die Räumlichkeiten und die StüpuVKs kennen lernen. Erkrankt eine der Kindertagespflegepersonen, können die Kinder an diesem Tag in den Stützpunkt gebracht werden. Der Besuch der anderen KTP-Personen bleibt an diesem Tag aus.
Eine Variante ist die Besetzung des Stützpunktes mit nur einer Kindertagespflegeperson.
Die Räumlichkeiten für die Stützpunkte werden durch die Vorwerker Diakonie angemietet und mit einer Grundausstattung eingerichtet. Falls die StüpuVK ihre Tätigkeit beendet, bleibt der Stützpunkt bestehen und eine Nachfolge kann gesucht werden. Die Standorte und die Ausstattung der Standorte werden so gewählt, dass eine gute Akzeptanz durch die Kinder, deren Eltern und den Kindertagespflegepersonen erreicht wird.
Die Mietkosten, ausgenommen Verbrauchskosten, der Stützpunkte erstattet die Hansestadt Lübeck an die Vorwerker Diakonie, die Verbrauchskosten tragen die Vertretungskräfte.
c) Koordination und Fachberatung
Eine Koordinator:in im Verbund Kindertagespflege steht für alle Vertretungskräfte als Ansprechperson zur Verfügung. Sie vermittelt zwischen Kindertagespflegepersonen und Vertretungskräften und koordiniert die Anliegen der Beteiligten. Die Inanspruchnahme der Vertretungen wird erfasst. Ziel ist es, die Vertretungsreglung den Bedarfen anzupassen.
Die für alle Kindertagespflegepersonen zuständigen pädagogischen Fachberater:innen stehen auch den Vertretungskräften zur Verfügung.
Für die Vertretungskräfte wird eine verbindliche Fortbildung angeboten, die die fachlichen Besonderheiten der Vertretungstätigkeit behandelt.
Erkrankt eine Kindertagespflegeperson, die den Stützpunkt als Vertretungsmodell nutzt, informiert diese die kooperierende Vertretungskraft des Stützpunktes und regelt mit ihr die Benachrichtigung der Eltern. Die Vertretungskraft informiert andere mit ihr kooperierende Kindertagespflegepersonen vom Eintritt eines Vertretungsfalls. Hat eine StüpuVK bereits eine Vertretung übernommen und kommt eine zweite Vertretung zeitgleich hinzu, informiert sie die Servicestelle Kindertagespflege. Diese kümmert sich dann um die Anbahnung einer alternativen Vertretung.
Erkrankt eine Kindertagespflegeperson, die mit einer Mobilen Vertretungskraft kooperiert, meldet sich diese bei der MobilVK. sie stimmen die Benachrichtigung der Eltern ab. Die MobilVK übernimmt die Vertretung und informiert die anderen mit ihr kooperierenden Kindertagespflegepersonen, dass ein Vertretungsfall eingetreten ist. Kann die MobilVK die Vertretung nicht übernehmen, informiert sie die Servicestelle Kindertagespflege, die sich dann um die Anbahnung einer anderen Vertretung kümmert.
Übernimmt die Servicestelle Kindertagespflege in den vorgenannten Ausnahmefällen die Anbahnung einer alternativen Betreuung, besteht keine im Vorfeld aufgebaute Bindung zwischen den Kindern und der Vertretungskraft, In Ausnahmefällen ist das in Kauf zu nehmen, da nicht für jede denkbare Konstellation ungeplanter Ausfälle eine Vertretung mit einer vorher aufgebauten Bindung sichergestellt werden kann. Die gesetzliche Regelung in § 48 KiTaG trägt dem Rechnung, indem hier eine Soll-Regelung getroffen wurde, die in besonderen Fällen eine Ausnahme zulässt.
Pilotphase und Evaluation
Ab August 2021 beginnt eine Pilotphase, in der die Vertretungsmodelle aufgebaut und von Beginn an evaluiert werden. Die Pilotphase soll ein Jahr dauern.
Es werden 3-4 Stützpunktevertretungen dort eingerichtet, wo anteilig viele Kindertagespflegpersonen in eigenen, privaten Räumen Kinder betreuen. Es werden elf mobile Vertretungskräfte für das Stadtgebiet gesucht. Der Bedarf ergibt sich aus der Betreuungsstatistik, d. h. dem Verhältnis von Zusammenschlüssen und allein betreuenden Kindertagespflegepersonen, sowie dem Verhältnis von der Betreuung in eigenen bzw. angemieteten Räumen. Die untenstehende Tabelle stellt den vorläufigen Ausbauplan dar.
Der Verbund Kindertagespflege übernimmt im Auftrag der Hansestadt Lübeck die Koordination des Modells: die Suche von Räumlichkeiten, die Akquise, Begleitung und Fachberatung der Vertretungskräfte.
Diese Vertretungskräfte erstellen in Absprache mit der Vertretungskoordination eine Konzeption für ihre Arbeit und gestalten gemeinsam mit der Vertretungskoordination ihr Vertretungsnetzwerk. Dabei müssen bestimmte Kriterien wie Nähe im Sozialraum, perspektivisch gute Zusammenarbeit u.a. berücksichtigt werden.
Im Verlauf der Pilotphase wird das Vertretungsmodell kontinuierlich ausgewertet.
Verteilung auf die Stadtteile
Stadtteil | StüpuVK (2 Kindertages-pflegepersonen) (100 TK) | MobilVK (50 TK) | Anzahl der möglichen Tageskinder in Vertretung | Gesamtzahl Tageskinder im Stadtteil |
Innenstadt | | 2 | 100 | 137 |
St. Jürgen | 1 | 2 | 200 | 320 |
Moisling, Buntekuh, St. Lorenz Süd | | 2 | 100 | 120 |
St. Lorenz Nord | 1 | 2 | 200 | 240 |
St. Gertrud, Schlutup | 1 | 2 | 200 | 270 |
Kücknitz Travemünde | 0,5 | 1 | 100 | 125 |
Gesamt HL | 3,5 | 11 | 900 | 1.212 |
Kosten
Die Gesamtkosten des Vertretungskonzeptes belaufen sich bei vollständiger Umsetzung auf jährlich 1.034.000,00 € und ergeben sich aus den folgenden Positionen:
Geldleistung für 18 Vertretungskräfte | 894.000,00 |
Mietkosten u. Ausstattung für 4 Stützpunkte | 80.000,00 |
Personalkosten Koordinierungskraft, 30 Wochenstunden | 40.000,00 |
Qualifizierung / lfd. Fortbildung der Vertretungskräfte | 20.000,00 |
| 1.034.000,00 |
Die Bürgerschaft hat am 24.09.2020 unter TOP 5.2 die Verwaltung beauftragt, ein Vertretungskonzept für die Lübecker Kindertagespflege zu entwickeln. Die dafür beschlossenen Haushaltsmittel betragen 500T€ für das Jahr 2021 und jeweils1,2 Mio. € für die Folgejahre.