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Auszug - Frage von Herrn Robbers zum Tagesordnungspunkt Einwohner:innenfragestunde in der Sitzung der Bürgerschaft am 30.01.2025 Thema: Unlauterer Wettbewerb   

12. Sitzung der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck
TOP: Ö 2.3
Gremium: Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck Beschlussart: zur Kenntnis genommen / ohne Votum
Datum: Do, 30.01.2025 Status: öffentlich/nichtöffentlich
Zeit: 16:00 - 22:24 Anlass: Sitzung
Raum: Bürgerschaftssaal
Ort: Rathaus, 23552 Lübeck
VO/2025/13889 Frage von Herrn Robbers zum Tagesordnungspunkt Einwohner:innenfragestunde
in der Sitzung der Bürgerschaft am 30.01.2025
Thema: Unlauterer Wettbewerb
   
 
Status:öffentlich  
Federführend:1.100 - Büro der Bürgerschaft Bearbeiter/-in: Nimz, Christiane
 
Wortprotokoll

Der Vorsitzende bittet Herrn Robbers ans Redepult, um seine Fragen vorzutragen zum Thema „Unlauterer Wettbewerb.

 

Die Fragen werden von Senatorin Steinrücke wie folgt beantwortet:

 

Fragen:

 

1.

Seit mehreren Jahren gleicht die Hansestadt Lübeck das Defizit der SIE (SeniorenEinrichtung der Hansestadt Lübeck) aus; stellen diese Ausgleichszahlungen einen unlauteren Wettbewerb dar?

2.

Besteht die Möglichkeit, dass auch private Pflegeeinrichtungen ihre Defizite bei der Hansestadt Lübeck einreichen und diese dann von der Stadt getragen werden?

 

Antwort zu Frage 1:

 

Gemäß § 2 Abs.1 Landespflegegesetz (LPflegeG) haben die Kreise und kreisfreien Städte in eigener Verantwortung eine den örtlichen Bedürfnissen und den Zielen dieses Gesetzes und des Pflege-Versicherungsgesetzes entsprechende pflegerische Versorgungsstruktur sicher zu stellen. Im Rahmen der Sicherstellung dieser den örtlichen Bedürfnissen entsprechenden pflegerischen Versorgungsstruktur ist es den Kommunen grundsätzlich erlaubt, eigene Pflegeeinrichtungen zu betreiben. Die Hansestadt Lübeck nimmt mit dem Betrieb der SIE eine pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe wahr.

 

Die städtischen Senior:InnenEinrichtungen (SIE) sind Teil der Stadtverwaltung der Hansestadt Lübeck. Da die Lübecker Bürgerschaft eine entsprechende Betriebssatzung beschlossen hat, werden sie organisatorisch und haushaltsmäßig als sog. eigenbetriebsähnliche Einrichtung geführt. Nach Maßgabe der Gemeindeordnung des Landes Schleswig-Holstein handeln solche Einrichtungen nicht rein wirtschaftlich im Sinn einer Verzinsung des eingebrachten Kapitals, sondern dienen der Daseinsvorsorge oder kommen der Allgemeinheit im Besonderen zugute (s. a. Dehn/Wolf, GO § 101, zu Abs. 4, Ziff. 2).

 

Gemäß § 101 Abs. 4 GO gehören unter anderem Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens, wozu auch Pflegeeinrichtungen zählen, nicht zu den wirtschaftlichen Unternehmen, bei deren Betrieb eine Gemeinde an die strengen Voraussetzungen des § 101 Abs. 1 GO und hier insbesondere an das in Ziff. 3 festgeschriebene Subsidiaritätsprinzip gebunden ist. Es ist also zunächst festzuhalten, dass es der Hansestadt Lübeck erlaubt ist, die städtischen Senior:InnenEinrichtungen zu betreiben.

 

Nach § 8 Abs. 6 Eigenbetriebsverordnung ist die Hansestadt Lübeck dazu verpflichtet, Verluste der Einrichtung aus ihren sonstigen Haushaltsmitteln auszugleichen.

Hierbei handelt es sich auch nicht um unlauteren Wettbewerb:

 

Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) benennt in verschiedenen Paragraphen die Voraussetzungen, unter welchen geschäftliche oder sonstige Handlungen als unlauter zu verstehen sind. Hierzu gehören beispielsweise geschäftliche Handlungen, die sich an Verbraucher richten, wenn sie nicht der unternehmerischen Sorgfalt entsprechen und dazu geeignet sind, das wirtschaftliche Verhalten des Verbrauchers wesentlich zu beeinflussen (§ 3 Abs. 2 UWG). Weiterhin handelt unlauter, wer Kennzeichen, Waren, Dienstleistungen, Tätigkeiten oder persönliche oder geschäftliche Verhältnisse eines Mitbewerbers herabsetzt oder verunglimpft (§ 4Ziff. 1 UWG). Auch aggressive oder irreführende geschäftliche Handlungen oder unzumutbare Belästigungen bezeichnet das Gesetz als unlauter. Eine Anwendbarkeit dieser Vorschriften auf die Ausgleichszahlungen der Hansestadt Lübeck an die SIE kommt hier nicht in Betracht.

 

Schließlich bestimmt § 3a UWG ganz generell, dass unlauter handelt, wer einer gesetzlichen Vorschrift zuwiderhandelt, die auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer:innen das Marktverhalten zu regeln und der Verstoß geeignet ist, die Interessen von Verbrauchern, sonstigen Marktteilnehmer:innen oder Mitbewerber:innen spürbar zu beeinträchtigen. Eine solche Vorschrift könnte Art. 107 Abs. 1 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) sein. Die Vorschrift lautet wie folgt:

„Soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“

 

Eine staatliche Beihilfe liegt nur vor, wenn folgende Kriterien kumulativ erfüllt sind:

- Gewährung der Begünstigung an ein Unternehmen,

- Finanzierung aus staatlichen Mitteln,

- Gewährung eines Vorteils,

- Selektivität der Maßnahme,

- Auswirkungen auf den Wettbewerb und Auswirkungen auf den Handel zwischen den

Mitgliedstaaten.

 

Zwar dürfte es sich bei einem Defizitausgleich um die Gewährung eines Vorteils an ein einzelnes Unternehmen aus staatlichen Mitteln handeln, jedoch fehlt es an der Beeinträchtigung des Handels, so dass insgesamt der Tatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV nicht erfüllt und das Vorliegen einer Beihilfe zu verneinen ist.

 

Die EU-Kommission hatte seit der Entscheidung zu dem „Freizeitbad Dorsten“ (N 258/00) unter Berücksichtigung der spezifischen Gegebenheiten der jeweiligen Sachverhalte in mehreren Beschlüssen die Auffassung vertreten, dass lokale Maßnahmen nicht geeignet seien, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen: Handelsbeeinträchtigungen bestehen i.d.R. nur bei großen und renommierten Einrichtungen/Maßnahmen, die überregional beworben werden. Gesundheitseinrichtungen, die übliche medizinische oder pflegerische Leistungen für die örtliche Bevölkerung erbringen und potentiell kaum für Kund:innen/Investitionen aus anderen Mitgliedstaaten interessant sein dürften, haben nicht diese Wirkung.

 

Die SIE sind nur im Bereich der Hansestadt Lübeck tätig und bieten ihre Leistungen nur hier an. Die Dienstleistungen beschränken sich also auf ein geografisch begrenztes Gebiet. Die SIE ziehen auch grundsätzlich keine Kund:innen aus anderen Mitgliedstaaten an.

 

Es dürften schon allein aufgrund sprachlicher Aspekte bzw. des deutschen Erstattungs-/Vergütungssystems Hemmnisse bestehen, ein Pflegeheim zu wählen, das in einem anderssprachigen EULand liegt. Es ist hier also nach wie vor von einer rein lokalen Wirkung des Geschäftsbetriebs der SIE auszugehen, so dass Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel verneint werden können. Insbesondere der Beschluss der EU-Kommission (SA.48582 (2017/FC) wurde durch das neuere Urteil des EuG vom 19. Oktober 2022 — Ighoga Region 10/Kommission (Rechtssache T-582/20) bestätigt, wo zu dem Kongresszentrum Ingolstadt auch nur lokale Auswirkungen festgestellt werden konnten. Auch das Urteil des OLG Nürnberg v. 21.11.2017 (Az.: 3 U 134/17), bestätigt durch den BGH mit Beschluss vom 26.07.2018 (I ZR 204/17) stützt die hiesige Bewertung.

 

Ein unlauteres Handeln gemäß § 3a UWG aufgrund eines Verstoßes gegen EU-Beihilferecht kann somit nicht festgestellt werden.

 

Weitere Vorschriften, die vorliegend als Marktverhaltensregel zu betrachten wären, sind nicht ersichtlich. Das gesetzlich verankerte Prinzip der Trägervielfalt im Rahmen der Erbringung von Pflegeleistungen und auch die kommunalrechtlichen Regelungen stellen Marktzutrittsregelungen dar, die im Rahmen des § 3a UWG unbeachtlich sind und auch nach anderen Regelungen des UWG nicht zu einer Sanktion führen. Ein Verstoß gegen das Prinzip der Trä- gervielfalt ist vorliegend ebenso wenig ersichtlich, wie gegen die kommunalrechtlichen Regelungen.

 

In dem Defizitausgleich der Hansestadt Lübeck für ihre Einrichtung liegt daher kein unlauteres Handeln.

 

Antwort zu Frage 2:

 

Private oder sonstige Pflegeeinrichtungen Dritter haben keinen Anspruch darauf, dass die Hansestadt Lübeck ihre Defizite ausgleicht. Die Hansestadt Lübeck gewährt ihrer eigenbetriebsähnlichen Einrichtung den durch Landesverordnung vorgesehenen Verlustausgleich. Aus dem Prinzip der Trägervielfalt folgt nicht, dass eine Kommune alle örtlichen Pflegeheimbetreiber:innen fördern muss.

 

Herr Robbers hat eine Nachfrage, die ebenfalls von Senatorin Steinrücke wie folgt beantwortet wird: “Unsere Mitarbeiter:innen werden nach Tarif bezahlt, so dass hier kein unlauterer Wettbewerb vorliegt.“

 

Der Vorsitzende bedankt sich bei Herrn Robbers für seine Fragen und Anmerkungen.

 

 

                                                                                        Die Bürgerschaft nimmt Kenntnis.