Vorlage - VO/2017/05538  

Betreff: Anfrage des AM Katja Mentz (GAL): Ganztag an Schule / Kindertageseinrichtungen gem. §22 a SGB VIII
Status:öffentlich  
Federführend:Geschäftsstelle der Fraktion grün+alternativ+links (GAL) Bearbeiter/-in: Mentz, Katja
Beratungsfolge:
Jugendhilfeausschuss zur Entscheidung
07.12.2017    SITZUNG FÄLLT AUS !!!!!! Sitzung des Jugendhilfeausschusses      
01.02.2018 
36. Sitzung des Jugendhilfeausschusses zur Kenntnis genommen / ohne Votum   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlage/n

Beschlussvorschlag

1. Warum fallen die Betreuungsangebote (offener) Ganztag an Schule insbesondere an Grundschulen nicht unter das Kindertagesstättengesetz (KiTaG) bzw. gelten diese nicht als Kindertageseinrichtung nach § 22a SGB VIII?

2. Wann und von welcher Stelle wurde festgelegt, dass es sich bei Ganztagsbetreuungsangeboten an (Grund-)Schulen nicht um Kindertageseinrichtung nach § 22a SGB VIII handelt und somit der für KiTas verbindlich geltende Personalschlüssel und die festgelegte Qualifikation des Personals nicht für die Ganztagsbetreuung an Schulen gelten?

3. Ist bereits rechtlich geprüft worden, ob Nachmittags- und Ferienbetreuung an Schulen unter § 22a SGB VIII fallen müssten? Wenn ja, mit welcher Begründung gelten für die Betreuung an Schulen andere Grundsätze als z.B. für die Hortbetreuung, die unter § 22a SGB VIII/ das KiTaG fällt.

 


Begründung

Der von den politischen Gremien beschlossene und mit Trägern vertraglich geregelte pädagogische Anspruch an die Betreuung von Kindern in Grundschulen und in Sekundarstufe I (Ganztag an Schulen) ist dem der Kindertagesstätten/Horte sehr ähnlich.

So stehen auch hier die individuelle Entwicklungsförderung und Integration des einzelnen Kindes im Mittelpunkt; die kommunikative und sozialemotionale/intersoziale Kompetenz sowie die kognitive und lebenspraktische Kompetenz sollen gefördert werden. Die hohen Leistsungsanforderungen an das pädagogische Fachpersonal gehen weit über Hausaufgabenhilfe und Beaufsichtigung hinaus. Inklusion sowie das Erkennen von und der Umgang mit Traumatisierung stellen zusätzliche Herausforderungen dar und erfordern eine besondere fachliche Qualifikation des Personals.

Unterstrichen wird die hohe Anforderung an die pädagogische Leistung durch den Bericht (siehe Auszug) "Förderung der Lübecker Schulkindbetreuung, Ganztag an Schule", der im November 2014 von den relevanten Ausschüssen und der Lübecker Bürgerschaft zur Kenntnis genommen wurde:

Auch der Lübecker Bildungsbericht befasst sich mit diesem Thema. Er kommt zu folgendem Urteil: „Der relativ rasante Umbau des Lübecker Schulsystems zu integrativen und zu Ganztagsschulen bedarf dringend einer pädagogischen Qualitätsentwicklung und -kontrolle. Inklusion und Ganztag können nur mit qualifiziertem pädagogischen Per­sonal realisiert werden, um Kinder und Jugendliche professionell zu begleiten.“


Folgender Beschluss des VGH München, Beschluss v. 21.12.2015 – 12 C 15.2352 untermauert die Schlussfolgerung, dass aufgrund pädagogischer Anforderungen und der geleisteten Arbeit das Angebot „Ganztag an Schule“ als Kindertageseinrichtung im Sinne des § 22 Abs. 1 SGBVIII gelten müsste.

(…) Kindertageseinrichtungen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztägig aufhalten und in Gruppen gefördert werden. In ihnen sollen die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefördert, die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützt und ergänzt und den Eltern dabei geholfen werden, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander zu vereinbaren (§ 22 Abs. 2 SGB VIII), wobei der Förderauftrag, die Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes umfasst und sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes bezieht, die Vermittlung orientierender Werte und Regeln einschließt und die Förderung sich am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren und seine ethnische Herkunft berücksichtigen soll (§ 22 Abs. 3 SGB VIII).
(1) Eine Tageseinrichtung in diesem Sinne liegt dann nicht vor, wenn den Schülern einer Schule eingebunden in ihre Schulorganisation nach der Beendigung des Unterrichts durch Fachlehrer die bloße Möglichkeit beaufsichtigter Hausaufgabenanfertigung, der Vertiefung des im Unterricht Gelernten, der Behebung von Wissensdefiziten oder des bloßen Aufenthalts geboten wird. Eine derartige Betreuung, die rein an schulischen und schulergänzenden Zwecken orientiert ist, wird dem eine Tageseinrichtung im Sinne des § 22 SGB VIII kennzeichnenden, sehr umfassenden Förderbegriff des § 22 Abs. 2, Abs. 3 SGB VIII regelmäßig nicht gerecht (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.2012 - 12 ZB 10.1559 - juris, Rn. 8; B.v. 8.3.2005 - 12 C 04.2435 - juris, Rn. 2). Eine solche Betreuung stellt deshalb keine Tageseinrichtung im Sinne von § 22 SGB VIII dar, deren Gebühren gemäß § 90 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 90 Abs. 3 und Abs. 4 SGB VIII vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden könnte. Einrichtungen, die primär dem Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen während der Freizeit oder zur Hausaufgabenbetreuung dienen, zählen grundsätzlich nicht zu den Tageseinrichtungen im Sinne des § 22 SGB VIII (vgl. Struck, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 22 Rn. 5; Dunkl/Eirich, BayKiBiG, 4. Aufl. 2015, Art. 2 Anm. 2). Denn Sinn einer solchen Mittagsbetreuung ist gerade nicht die gezielte Förderung, Bildung und Erziehung eines Kindes, wie es § 22 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB VIII vorschreibt, sondern in erster Linie die Betreuung und Beaufsichtigung der einzelnen Kinder außerhalb der Unterrichtszeiten, d. h. während ihrer Freizeit, gegebenenfalls auch zur Erledigung und Überwachung der Hausaufgaben. Eine solche (Mittags-) Betreuung erhebt keinen - über schulische Zwecke hinausreichenden - pädagogischen Anspruch.

(2) Anders verhält es sich hingegen dann, wenn die angebotene Betreuung sich nicht lediglich auf rein schulische Zwecke, wie Hausaufgabenbetreuung oder Notenverbesserung beschränkt, sondern darüber hinaus ein umfangreiches Zusatzangebot umfasst, welches mindestens zugleich auch der Erreichung der in§ 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII genannten Förderziele dient bzw. deren Erreichung unterstützen soll, etwa indem die Betreuung die Verbesserung der Organisationsfähigkeit und die Steigerung der sozialen Kompetenz der Schüler bezweckt und darüber hinaus der Unterstützung der Familien beim erzieherischen Prozess und der Lernfähigkeit der betreuten Schüler dient. Eine solche Betreuung reicht über eine reine Hausaufgaben- und Aufenthaltsbetreuung im Sinne einer bloßen „Mittagsbetreuung“ weit hinaus. Denn Sinn einer solchen Betreuung ist - neben einer Hausaufgabenbetreuung - gerade auch die gezielte Förderung, Bildung und Erziehung des betreuten Kindes, wie es § 22 Abs. 2 Nr. 1 und 2 sowie Abs. 3 SGB VIII vorschreiben. Dies gilt namentlich dann, wenn sie sich nicht nur auf die Mittagspause beschränkt, sondern einen wesentlichen Teil des Tages ausmacht sowie darüber hinaus ein Teil des Programms auch an unterrichtsfreien Tagen und in den Schulferien stattfindet. Eine solche Betreuung umfasst regelmäßig auch die Erziehung und Bildung der zu betreuenden Kinder und schließt deren soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung, namentlich die Vermittlung orientierender Werte und Regeln, wie beispielsweise Teamfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit, mit ein (vgl. hierzu näher VG Ansbach, U.v. 4.6.2009 - AN 14 K 07.02668 - juris, Rn. 33 ff.).

(3) Demzufolge ist stets das konkrete Angebot der jeweiligen Einrichtung in den Blick zu nehmen und anhand der in § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII festgelegten Kriterien zu prüfen und zu entscheiden, ob eine Nachmittagsbetreuung im Sinne einer reinen Hausaufgaben- und Aufenthaltsbetreuung oder - aufgrund des pädagogischen Anspruchs der Betreuung - bereits eine Tageseinrichtung im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorliegt. Dies gilt namentlich dann, wenn die Nachmittagsbetreuung nicht von der Schule selbst, sondern durch einen privatrechtlich organisierten Träger oder Kooperationspartner betrieben wird. Allein der Umstand, dass die Gesamtverantwortung für die Konzeption der Betreuung bei der Schulleitung liegt, die Klassenstundenpläne von der Schule mit dem Zeitplan der Betreuung koordiniert werden und die Betreuung selbst in den Räumen der Schule stattfindet, macht die (Mittags-)Betreuung in derartigen Fällen nicht zu einer Einrichtung der Schule (so zutreffend VG Ansbach, U.v. 4.6.2009 - AN 14 K 07.02668 - juris, Rn. 33 ff.). Maßgeblich ist vielmehr allein, ob die Kriterien des § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII erfüllt werden. Ebenso wenig ist von Bedeutung, ob der privatrechtlich organisierte Träger bereits über die erforderliche Betriebserlaubnis (§ 45 SGB VIII) verfügt oder diese erst noch zu erteilen ist. Andernfalls könnte der zuständige Jugendhilfeträger die Kostenübernahme durch die Versagung der Erlaubnis steuern. Entscheidungserheblich ist vielmehr allein, ob das konkrete Angebot die in § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII normierten Voraussetzungen erfüllt oder nicht (vgl. näher Lakies, in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 22 Rn. 13 f.).“ Siehe Beschluss: http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/Y-300-Z-BECKRS-B-2016-N-40296

 


Anlagen

 

 

 

Stammbaum:
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