In ihrer Sitzung am 26.06.2014 hat die Bürgerschaft beschlossen (VO/2014/01715):
Die Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck bekennt sich zu den Städtischen Senioreneinrichtungen (SIE) und bewertet die Einrichtung als Teil der kommunalen Daseinsvorsorge u. a. zur Gestaltung des Demografischen Wandels. Aus diesem Grund lehnt die Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck eine Privatisierung der Städtischen Senioreneinrichtungen (SIE) ab.
Um die Zukunftsfähigkeit der Einrichtung zu gewährleisten, den Fortbestand einer guten Pflegeinfrastruktur und guter Arbeitsplätze zu sichern und den Grundsätzen der Gemeindeordnung nach einer wirtschaftlichen und sparsamen Verwaltung von Unternehmen und Eigenbetrieben der Kommune gerecht zu werden, wird der Bürgermeister beauftragt, nachfolgende Möglichkeiten einer Änderung der Organisations-/Gesellschaftsform zu prüfen und der Bürgerschaft zu berichten:
a) Überführung/Verschmelzung der Städtischen Senioreneinrichtung (SIE) mit Stiftungen der Altenhilfe der Hansestadt Lübeck (z.B. Stiftung Lübecker Wohnstifte, Stiftung Heiligen-Geist-Hospital u. a.) mit dem Ziel, Gebäude und Betrieb organisatorisch als eine Einheit zu bündeln und mögliche Synergien zu heben.
b) Beteiligung eines gemeinnützigen Partners an den Städtischen Senioreneinrichtungen, der Erfahrungen und Fachkenntnisse zur Stärkung der Städtischen Senioreneinrichtungen einbringen und durch Synergien die Städtischen Senioreinrichtungen in Ihrer Entwicklung unterstützen kann. Die Hansestadt Lübeck bleibt auch bei Beteiligung eines gemeinnützigen Partners Hauptgesellschafter.
c) Gründung einer vollständig im Besitz der Hansestadt befindlichen gGmbH oder GmbH
d) Möglichkeiten der strategischen Anpassung des Geschäftsbetriebes an zukunftweisende Pflege- und Wohnkonzepte
Der Bürgerschaft ist bis November 2014 zu berichten. Kurzfristige Maßnahmen zur Ergebnisverbesserung sind im laufenden Betrieb weiter zu verfolgen.
Gegenstand dieses Berichts sind die Aufträge zu Punkten a) – c), die die Rechtsform der städtischen Senioreneinrichtungen betreffen. Sie wurden mit Unterstützung durch die Rechtsanwaltskanzlei Weißleder Ewer, Kiel, und die BDO AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, Lübeck, bearbeitet.
Derzeit sind die Senioreneinrichtungen als rechtlich unselbständiger Regiebetrieb (Teil der Stadtverwaltung) organisiert. Die betriebsnotwendigen Immobilien stehen nicht im Eigentum des Betriebs, sondern werden angemietet. Vermieter sind die rechtlich selbständigen, aber städtisch verwalteten Stiftungen Heiligen-Geist-Hospital, Vereinigte Testamente und Lübecker Wohnstifte, die Grundstücks-Gesellschaft TRAVE mbH und ein privater Dritter.
Aufgrund dieser organisatorischen Gestaltung berühren die Prüfaufträge die Gebiete des Kommunal-, Gesellschafts-, Stiftungs-, Arbeits-/Personal-, Steuer-, Vergabe- und EU-Beihilfenrechts.
Zwischenergebnis Mai 2015
Im Mai 2015 wurde ein Sachstandsbericht (VO/2015/02562) über den Stand der Bearbeitung der Prüfaufträge vorgelegt, auf den insoweit verwiesen wird. Die Prüfungen hatten ergeben:
– Eine „Verschmelzung“ des Regiebetriebs mit einer oder mehreren Stiftungen ist rechtlich nicht möglich.
– Das Ziel, „Gebäude und Betrieb organisatorisch als eine Einheit zu bündeln und mögliche Synergien zu heben“, kann auch nicht erreicht werden, indem die Stiftungen eine GmbH gründen und ihre Immobilien in diese GmbH einlegen. Eine solche Umschichtung der Stiftungsvermögen lässt sich stiftungsrechtlich nicht abbilden.
– Dritte können sich nicht an einem Regiebetrieb beteiligen. Die Beteiligung eines gemeinnützigen Partners setzt also die Gründung einer städtischen Eigengesellschaft voraus.
– Eine städtische Eigengesellschaft zu gründen wäre grundsätzlich möglich, würde jedoch an den strukturellen Problemen der SIE nichts ändern. Die rechtliche Ausgestaltung wäre aufwendig.
Um ggf. doch noch eine Lösung zu finden, die den Zielen des Bürgerschaftsauftrags entspricht, wurde noch ein Modell geprüft: das einer Stiftungs-GmbH, in die keine Immobilien eingelegt werden.
Das geprüfte Modell einer Stiftungs-GmbH im Einzelnen:
– Bargründung einer GmbH durch die Stiftung Heiligen-Geist-Hospital (keine Immobilieneinlage, da stiftungsrechtlich nicht möglich);
– Übertragung des beweglichen Betriebsvermögens der SIE auf die GmbH;
– Betrieb der Heime durch die GmbH;
– Finanzierung der GmbH durch die Hansestadt Lübeck;
– Finanzierungsinstrumente:
– verbilligte Personalgestellung (nur marktübliche Gehaltskosten in Rechnung stellen);
– Absenkung der Mietkosten auf (für den schlechten Zustand der Stiftungshäuser) marktübliches Niveau.
Ergebnis der Prüfungen
Auch dem Modell der Stiftungs-Betreiber-GmbH stehen rechtliche und wirtschaftliche Hindernisse entgegen. Diese sind nach Auswertung des Gutachtens von Weißleder Ewer, das diesem Bericht als Anlage beigefügt ist, im Wesentlichen folgende:
– Grundsätzlich handelt die Hansestadt Lübeck (HL) als Stiftungsverwalterin für die Stiftung Heiligen-Geist-Hospital (HGH). An die Stelle der HL tritt jedoch ein vom Innenministerium bestellter Formalvorstand, wenn die HL ansonsten ein Insichgeschäft tätigen würde. Nach Prüfung von Weißleder Ewer trifft dies im Ergebnis auch zu, wenn es um die Willensbildung eines Gesellschafters HGH in der Stiftungs-GmbH geht, die den Abschluss eines Vertrages mit der HL zum Gegenstand hat. Die Mitwirkung des Formalvorstands ist demnach erforderlich, sobald Geschäfte zwischen der HL und der GmbH abgeschlossen werden sollen. Da solche Geschäfte notwendig sind, damit die GmbH ihren Betrieb aufnehmen kann, kann die GmbH tatsächlich nur mit Mitwirkung des Formalvorstands zum Leben erweckt werden.
– Der Formalvorstand wird nicht gegen die berechtigten Interessen der HGH handeln können. Der Gründung der Stiftungs-GmbH wird er also nur dann zustimmen können, wenn das Vorhaben mit dem Zweck der HGH vereinbar ist und eine wirtschaftliche Verwendung von Stiftungsmitteln darstellt. Das in die GmbH eingebrachte Stiftungsvermögen dürfte nicht durch Verluste des Betriebs aufgezehrt werden. Eine Garantie dafür würde die HL jedoch nicht vorab geben können, jedenfalls nicht über einen Zeitraum von zehn Jahren hinaus (EU-Beihilfenrecht, s. u.). Es ist deshalb nicht erkennbar, wie dem Formalvorstand die wirtschaftliche Vorteilhaftigkeit einer Stiftungs-GmbH-Lösung dargelegt werden könnte, um seine Zustimmung zu ermöglichen.
– Die GmbH wäre wenigstens mittelfristig unrentabel (Dauerverlustbetrieb), was ein Eintragungshindernis sein könnte. Es wäre also erforderlich, eine belastbare Finanzierung des Betriebs schon bei Gründung der GmbH zu konzipieren. Belastbar heißt auch, dass die Finanzierung mit dem Beihilfenrecht vereinbar sein müsste.
– Ein Beihilfentatbestand wäre grundsätzlich gegeben. Um die Zulässigkeit der Beihilfengewährung herbeizuführen, kommt allein eine Betrauung nach dem DAWI-Freistellungbeschluss 2012/21/EU in Betracht. Voraussetzung für eine solche Betrauung ist, dass die Tätigkeit der GmbH als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) qualifiziert werden kann, als eine besondere Aufgabe, die der Markt nicht (zufriedenstellend) zur Verfügung stellt und der eine besondere Gemeinwohlverpflichtung zugrunde liegt.
– Allerdings besteht in Lübeck ein derzeit sogar expandierender Markt für stationäre Altenpflegeeinrichtungen. Nach § 2 Landespflegegesetz (LPflG) wird die öffentliche Hand nur subsidiär tätig. Zwar ist Altenpflege nach EU-Recht grundsätzlich als DAWI qualifizierbar und unter bestimmten Voraussetzungen privilegiert, doch würde eine nur darauf abstellende Betrauung alle zugelassenen Pflegeheimbetreiber umfassen, ohne dass diese jedoch Zuschüsse der HL erhalten sollen. Eine öffentliche Beihilfe an einen bestimmten Anbieter Stiftungs-GmbH wäre nur insoweit zulässig, wie dieser eine Anbieter eine bestimmte, klar abgegrenzte, nicht marktverfügbare Dienstleistung anbietet. Beim Leistungsangebot der SIE ist dies derzeit nicht der Fall, sodass bisher keine Möglichkeit aufgezeigt werden konnte, eine Stiftungs-GmbH rechtssicher zu betrauen.
– Selbst wenn eine Betrauung gelänge, könnte sie nur für maximal zehn Jahre ausgesprochen werden. Nach Aussagen der Wirtschaftsprüfer wird aber in zehn Jahren die Personalfluktuation noch nicht zu einer Absenkung des strukturellen Verlusts der SIE auf null geführt haben. Für eine Verlustabdeckung im Zeitraum danach kann die HL keine Garantien – etwa gegenüber der HGH – aussprechen. Damit stünde das von der HGH in die GmbH eingebrachte Stiftungsvermögen unter der Bedrohung, nach zehn Jahren (etwa durch Insolvenz der GmbH) verloren zu gehen. Eine derartige Vermögensverwendung wäre stiftungsrechtlich unzulässig, sodass nicht nur der Formalvorstand nicht zustimmen dürfte, sondern auch die Stiftungsaufsichtsbehörde ihr widersprechen (und damit die GmbH-Gründung verhindern) müsste.
– Die Gutachter kommen ferner zu dem vergaberechtlichen Fazit, dass der Übergang des Betriebs an eine Stiftungs-GmbH grundsätzlich als Vergabe einer Dienstleistungskonzession anzusehen wäre, ggf. aber als bloße Zuschussgewährung ausgestaltet werden könnte. Die Vergabe einer Dienstleistungskonzession wäre nicht inhouse möglich und würde ein wettbewerbliches Verfahren erfordern, in dem sich auch Mitbewerber beteiligen könnten. Damit wäre das Modell eines Übergangs der SIE in die Stiftungs-GmbH gefährdet; die Möglichkeit, dass private Dritte in einem solchen Verfahren den Zuschlag erhalten könnten, wäre im Übrigen nicht abgedeckt vom Prüfauftrag der Bürgerschaft. Ein bloße Zuschussgewährung läge aber nur dann vor, wenn „auf die Auferlegung durchsetzbarer Betriebspflichten und sonstiger Verpflichtungen im wirtschaftlichen Eigeninteresse der Hansestadt Lübeck“ verzichtet würde, was wiederum die kommunalrechtliche Zulässigkeit gefährdet und die beihilfenrechtliche Gestaltung zusätzlich erschwert.
– Steuerrechtlich geht Weißleder Ewer davon aus, dass die Alimentation der GmbH durch die Hansestadt Lübeck grundsätzlich der Umsatzsteuer unterläge.
– In Sachen Personalgestellung bleibt die Frage unbeantwortet, ob eine Gestellung der städtischen Beschäftigten an die Stiftungs-GmbH überhaupt dauerhaft möglich ist. In jedem Fall würde die Hansestadt Lübeck eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis benötigen. Die Personalgestellung wäre grundsätzlich umsatzsteuerbelastet.
– Würde stattdessen eine große Anzahl der städtischen SIE-Mitarbeiter zu einem neuen Arbeitgeber (Stiftungs-GmbH) wechseln, würde dies Kosten wegen der betrieblichen Altersvorsorge verursachen. Sofern nicht die Stiftungs-GmbH sich ihrerseits in der VBL beteiligen und sich daraus finanziell verpflichten will, müsste die HL nach Einschätzung der Gutachter eine einmalige Ablösezahlung i. H. v. ca. 50.000 € bis 100.000 € pro Mitarbeiter leisten.
Insoweit sind die Voraussetzungen für die Überführung der SIE in eine Stiftungs-GmbH derzeit nicht gegeben.
Eigengesellschaft der HL
Gemäß Bürgerschaftsbeschluss soll auch die Möglichkeit geprüft werden, die SIE in eine Eigengesellschaft umzuwandeln. Der Sozialausschuss hat die Erwartung geäußert, im Bericht der Verwaltung eine Gegenüberstellung der Modelle Stiftungs-GmbH und Eigengesellschaft zu erhalten.
Die stiftungsrechtlichen Fragen sind für das Eigengesellschaftsmodell grundsätzlich nicht einschlägig. Folgende Punkte sind hingegen auch für das Modell Eigengesellschaft relevant:
– Die Beihilfeproblematik stellt sich für die Eigengesellschaft in gleicher Weise und ist ungelöst.
– Steuerrechtlich stellt sich wie bei der Stiftungs-GmbH die Finanzierung der GmbH als umsatzsteuerbedroht dar.
– Auch in Sachen Personalgestellung bzw. VBL ist der Sachverhalt im Wesentlichen derselbe.
– Unterschiedlich wird die vergaberechtliche Bewertung ausfallen. Bei einer Eigengesellschaft könnte voraussichtlich die Inhouse-Fähigkeit erreicht werden, sodass ein wettbewerbliches Verfahren bei der Vergabe der Dienstleistungskonzession wohl vermieden werden könnte.
Wegen der ungelösten rechtlichen Probleme und der negativen finanziellen Folgen (Steuer, VBL-Ablöse) bildet sich eine Eins-zu-eins-Überführung des Betriebs SIE in eine Eigengesellschaft derzeit nicht ab.
Fazit
Eine Umwandlung des Regiebetriebs SIE in eine GmbH ist aus rechtlichen und wirtschaftlichen Gründen unrealistisch. Zwar ließe sich eine GmbH ggf. gründen, jedoch nicht rechtssicher mit den finanziellen Mittel ausstatten, die für eine Aufrechterhaltung des Betriebes derzeit erforderlich sind.
Eine Stiftungslösung scheint ausgeschlossen, da zusätzlich gravierende stiftungsrechtliche Bedenken bestehen.
Deutlich ist, dass die bestehenden strukturellen Probleme des Betriebs durch eine Änderung der Rechtsform – sei es hin zu einer GmbH oder auch hin zu einem Eigenbetrieb (vgl. VO/2015/02838, Antwort auf Frage 4 des Personalrates SIE) – nicht gelöst würden.
In Anbetracht der o. g. „K.-o.-Kriterien“ werden die Prüfungen zur Rechtsformänderung derzeit nicht weiter verfolgt. Unter verbesserten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen könnten künftig Szenarien denkbar sein, Pflegeeinrichtungen, die bisher im Regiebetrieb geführt werden, auszugründen. Eine Umwandlung des ganzen Betriebs in seinem derzeitigen Umfang bildet sich jedoch rechtlich nicht ab.