Vorlage - VO/2013/00096  

Betreff: ALT-DRUCKSACHE: 81 zu TOP 8.14

Keine Wildtiervorführung in Lübeck

Status:öffentlich  
Dezernent/in:Senator/in Sven Schindler
Federführend:2.280 - Wirtschaft und Liegenschaften Bearbeiter/-in: Justin, Siglinde
Beratungsfolge:
Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zur Kenntnisnahme
31.01.2013 
Sitzung der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck an Verwaltung / Ausschuss zurück verwiesen   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
Anlage 1 Beschluss Wildtiere VG Chemnitz
Anlage 2 Beratungsfolge

Die Bürgerschaft hat in Sitzung am 24

Beschlussvorschlag

Die Bürgerschaft hat in Sitzung am 24.05.2012 zu Punkt 4.3 der TO,

Drucksache Nr. 737, den folgenden Auftrag erteilt:

„Der Bürgermeister wird beauftragt zu prüfen, wie es möglich ist, Flächen und Plätze

und Lübeck so umzuwidmen, dass Zirkusbetriebe, welche Wildtiere, insbesondere

Arten, die ein hochentwickeltes Sozialverhalten und einen ausgeprägten körperlichen

Bewegungsdrang haben, mitführen, keinen Standplatz mehr auf dem Stadtgebiet der

Hansestadt Lübeck erhalten.

Im Fokus stehen dabei Affen, Elefanten, Großbären, Giraffen, Nashörner,

Flusspferde, Seelöwen und Raubkatzen.

Eine geänderte Satzung möge der Bürgerschaft möglichst bis zur kommenden

Sitzung am 30.08.2012 vorgelegt und zur Abstimmung vorbereitet sein.“

Eine Umwidmung von Flächen wäre der Hansestadt Lübeck ausschließlich für

Begründung

Eine Umwidmung von Flächen wäre der Hansestadt Lübeck ausschließlich für

städtische Flächen möglich.

Fraglich ist hierbei, für welche Flächen eine Umwidmung tatsächlich erforderlich ist,

um Zirkusbetriebe mit Wildtiervorführungen von deren Nutzung auszuschließen.

Grundsätzlich ergibt sich der Widmungszweck bereits aus der Widmung selbst; so ist

eine Grünanlage auch als eine ebensolche gewidmet.

Als fiskalische Fläche liegt lediglich der Volksfestplatz als Zirkus-

Veranstaltungsfläche in der Zuständigkeit des Bereiches 2.280 Wirtschaft und

Liegenschaften.

Weitere für Zirkusveranstaltungen genutzte städtische Flächen befinden sich an der

Falkenstrasse (sogenannte Hüxwiese). Bei den häufiger von Zirkussen genutzten

Flächen in Travemünde (hinter „Am Dreilingsberg“) und in der Werftstraße handelt

es sich um private Flächen.

Für den Volksfestplatz liegt eine ausdrückliche Widmung als Öffentliche Einrichtung

z.B. per Bürgerschaftsbeschluss nicht vor.

Hier ist vielmehr der typische Fall einer konkludenten Widmung eingetreten:

Der Volksfestplatz wird bereits seit Jahrzehnten als städtischer Platz für Volksfeste

und Zirkusveranstaltungen genutzt; diese konkrete Vergabepraxis ist nicht nur als

Anhaltspunkt sondern auch als Konkretisierung einer Widmung zu sehen.

Es ist insoweit davon auszugehen, dass es sich beim Volksfestplatz auch als

Zirkusstandplatz um eine öffentliche Einrichtung handelt. Ähnlich ist die “Hüxwiese“

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zu beurteilen, die in den letzten Jahren immer wieder als Zirkusfläche vergeben

wurde.

Zu prüfen ist daher, ob für diese Fläche eine Widmungsbeschränkung in der

beantragten Form ergehen kann.

Die Entscheidung über die Zulassung zur Nutzung oder Überlassung einer

öffentlichen Einrichtung erfolgt in der Regel nach der sogenannten

Zweistufentheorie.

Hierbei wird in der ersten Stufe darüber entschieden, ob überlassen wird, dass heißt,

es wird geprüft, ob ein Nutzungs- bzw. Überlassungsanspruch im Rahmen des

Widmungszwecks besteht.

Der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen ist nach § 18 der Gemeindeordnung

Schleswig-Holstein zum einen allen Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde

gewährleistet, zum anderen aber auch u.a. den Gewerbetreibenden, die nicht in der

Gemeinde ansässig sein müssen.

Die Umsetzung bzw. Gestaltung der Überlassung kann dann in einem zweiten Schritt

auch privatrechtlich erfolgen.

Zusammenfassend muss jedoch festgestellt werden, dass die Zulassung zur

Nutzung / Überlassung einer öffentlichen Einrichtung auch dann eine öffentlichrechtliche

Angelegenheit bleibt, wenn das Nutzungsverhältnis beispielsweise durch

einen privatrechtlichen Miet- oder Nutzungsvertrag geregelt wird.

Eine Prüfung des Bereiches Recht der Hansestadt Lübeck hat bereits ergeben, dass

es aus rechtlichen Gründen sehr zweifelhaft ist, ob eine Regelung, die Zirkusse mit

(bestimmten) Wildtieren von der Vergabe städtischer Flächen ausschließt, vor

Gericht Bestand hätte. Der Bereich Recht hat dazu eine Entscheidung des VG

Chemnitz ausgewertet. Das VG Chemnitz kam in seinem Beschluss vom 30.07.2008

(Az.: 1 L 206/08) (als Anlage beigefügt) hinsichtlich eines öffentlich-rechtlich

gewidmeten Volksfestplatzes zu dem Ergebnis, dass durch das Wildtierverbot in

dem ähnlich gelagerten Fall unzulässig in die Freiheit der Berufsausübung des

Zirkusunternehmens eingegriffen worden sei.

Die Stadt Chemnitz wollte im Platzüberlassungsvertrag ein Verbot des Mitführens

und des Auftritts von Wildtieren in Zirkussen verankern.

Das VG Chemnitz sah für diesen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit keine

gesetzliche Grundlage.

Die allgemeine Befugnis der Gemeinden aufgrund der Gemeindeordnung, die

Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen zu regeln, stelle danach keine

ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von

grundrechtseinschränkenden Satzungsbestimmungen dar.

Das VG Chemnitz hat daraufhin die Stadt Chemnitz dazu verpflichtet, einen

"Wildtierzirkus" in ein Auswahlverfahren für die Flächenvergabe aufzunehmen.

Andere Städte haben ebenfalls geprüft, ob über sogenannte Positivlisten bestimmte

Tierarten von der Zurschaustellung ausgeschlossen werden können und ob über

Satzungen Widmungsbeschränkungen für öffentliche Flächen vorgegeben werden

können. München hat 2010 einen entsprechenden Antrag geprüft und ist zu dem

Ergebnis gekommen, gravierende rechtliche Bedenken gegen einen solchen

Ausschluss bestehen.

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In der Stellungnahme der Rechtsabteilung der Stadt München, die von ihren

Rechtsgrundlagen vergleichbar ist mit der Gemeindeordnung Schleswig-Holstein

wird folgendes ausgeführt:

„4.2 Widmungsbeschränkung

Bislang bestand die gängige Verwaltungspraxis, dass Zirkusse ohne jegliche

Beschränkung in ihrem Tierbestand gastieren durften, sofern sie eine

tierschutzrechtliche Genehmigung besaßen. Das Tierschutzgesetz verbietet

insofern auch nicht die Haltung und Zurschaustellung von Wildtieren.

Grundsätzlich ist es zwar möglich, von dieser Praxis abzuweichen und damit

eine Widmungsbeschränkung vorzunehmen. Eine Beschränkung müsste aber mit

Rechtsvorschriften höheren Rangs vereinbar sein (hier: Grundrecht der

Berufsausübungsfreiheit) und durch den Zweck, dem die Einrichtung zu dienen

bestimmt ist, gerechtfertigt sein (vgl. Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische

Gemeindeordnung, Art. 21, RdNr. 11-12).

4.2.1 Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG

Hinsichtlich der in Art. 12 Abs. 1 GG (als Rechtsvorschrift höheren Rangs)

statuierten Berufsausübungsfreiheit ist festzustellen, dass eine Regelung,

die den Auftritt von Zirkussen mit bestimmten Wildtieren auf gewidmeten

Flächen untersagt, die Berufsausübungsfreiheit tangieren würde.

Den betroffenen Unternehmen würden zwar keine Voraussetzungen zur Zulassung

ihres Betriebes gesetzt, aber dem „Wie“ der Ausführung würden Grenzen

gesetzt. Mithin würde es sich hierbei um eine sog.

„Berufsausübungsregelung“ handeln. Es wäre nämlich denjenigen Unternehmen

mit Wildtieren nicht mehr möglich, zum Gastieren zentral gelegene

städtische Flächen zu nutzen, die öffentlich-rechtlich gewidmet sind.

Das VG Chemnitz kam in seinem Beschluss vom 30.07.2008 (Az. 1 L 206/08)

hinsichtlich eines öffentlich-rechtlich gewidmeten Volksfestplatzes zudem

Ergebnis, dass durch das Wildtierverbot in dem ähnlich gelagerten Fall

unzulässig in die Freiheit der Berufsausübung des Zirkusunternehmens

eingegriffen worden war. Die Stadt Chemnitz wollte im

Platzüberlassungsvertrag ein Verbot des Mitführens und des Auftritts von

Wildtieren in Zirkussen verankern. Das VG Chemnitz sah für diesen Eingriff

in die Berufsausübungsfreiheit keine gesetzliche Grundlage.

Die allgemeine Befugnis der Gemeinden, die Benutzung ihrer öffentlichen

Einrichtungen zu regeln, stellt danach keine ausreichende gesetzliche

Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von grundrechtseinschränkenden

Satzungsbestimmungen dar. Dies gilt auch für Beschlüsse des Gemeinde- bzw.

Stadtrats, die Einschränkungen des öffentlich-rechtlichen

Benutzungsverhältnisses beinhalten.

An dieser Stelle ist auch auf die Urteile des OVG Koblenz vom 06.11.2008

(NVwZ-RR 2009, 394) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (VGH) vom

04.02.2009 (BayVBl. 2009, 367 ff.) zum Thema Grabsteine aus Kinderarbeit

hinzuweisen, die sich mit der Frage befassen, ob die Gemeinde berechtigt

ist, in ihrer Friedhofbenutzungssatzung festzulegen, dass keine Grabsteine

aufgestellt werden dürfen, die unter Einsatz ausbeuterischer Kinderarbeit

hergestellt worden sind. Die Gerichte kommen zu dem Ergebnis, dass eine

Gemeinde zwar kraft ihrer allgemeinen Satzungsautonomie aus Art. 23 Satz 1

GO Benutzungssatzungen für ihre Einrichtungen (hier: Friedhof) erlassen

dürften, diese Satzungsautonomie jedoch als Ermächtigungsgrundlage nicht

dem Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG genüge. Es bedürfe

vielmehr als Grundlage einergesetzlichen Regelung, die Umfang und Grenzen

des Eingriffs deutlich erkennen lasse.

Hier ist eben der Bundesgesetzgeber durch das Tierschutzgesetz tätig

geworden, das Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich umschreibt. Ein

Tätigwerden des kommunalen Satzungsgebers ist hier schon aus diesem Grund

nicht mehr möglich.

Es blieben als möglicherweise rechtfertigende Gesetze das Tierschutzgesetz

und Art. 20 a GG, der den Tierschutz als Staatsziel benennt.

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Gerade aber das Tierschutzgesetz, das ja dem Schutz der Tiere dienen soll,

erlaubt in seinem § 11 jedoch die gewerbsmäßige Haltung von Wirbeltieren

zum Zweck der Zurschaustellung. Es macht dies lediglich von der Erlaubnis

der zuständigen Behörde abhängig. Der Bundesgesetzgeber hat sich hier

ausdrücklich mit dem Thema befasst, hat jedoch eine Regelung getroffen, die

die Wildtiere explizit nicht ausnimmt aus dem Genehmigungstatbestand. Eine

Beschränkung der öffentlichen Einrichtung würde deshalb im Widerspruch zu

den in § 11 Tierschutzgesetz getroffenen Regelungen stehen.

Art. 20 a GG indes enthält zwar als Staatszielbestimmung den Tierschutz.

Jedoch wirkt gesetzessystematisch eine solche Staatszielbestimmung nicht

unmittelbar normativ, im Sinne einer umsetzbaren Schutzgewährleistung,

sondern statuiert lediglich einen Verfassungsauftrag. Diesem muss der

Gesetzgeber in jedem Fall durch gesetzliche Umsetzung gerecht werden. Art.

20 a GG kann daher auch nicht als Rechtfertigung für einen Eingriff in die

Berufsausübungsfreiheit herangezogen werden.“ Rechtsabteilung der Stadt

München, Sitzungsvorlage Nr. 08-14 / V 05748)

Aus der Schleswig-Holsteinischen Gemeindeordnung ergibt sich keine andere

Beurteilung. Die Verwaltung sieht sich aus Rechtsgründen gehindert, eine Satzung

mit dem beantragten Inhalt vorlegen.

Zusammenfassende Empfehlung:

1. Eine kommunale Satzung stellt keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage

dar, um Ziele des Tierschutzes durchzusetzen, wenn dies zu einem Eingriff in

die Berufsausübungsfreiheit führt.

2. Verstöße gegen das Tierschutzgesetz können im Einzelfall nur durch die

zuständige Behörde Amtstierarzt verfolgt werden, aber nicht prophylaktisch

durch Widmungsbeschränkungen.

3. Eine entsprechende Satzung kann daher nicht vorgelegt werden.

 

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Anlagen

1.      Beschluss Wildtiere Verwaltungsgericht Chemnitz

2.      Beratungsfolge

 

Anlagen:  
  Nr. Status Name    
Anlage 1 1 öffentlich Anlage 1 Beschluss Wildtiere VG Chemnitz (344 KB)    
Anlage 2 2 öffentlich Anlage 2 Beratungsfolge (9 KB)    
Stammbaum:
VO/2013/00096   ALT-DRUCKSACHE: 81 zu TOP 8.14 Keine Wildtiervorführung in Lübeck   2.280 - Wirtschaft und Liegenschaften   Bericht öffentlich
VO/2013/00766   "Keine Wildtiervorführung in Lübeck" Überarbeitung nach neuen Erkenntnissen   2.280 - Wirtschaft und Liegenschaften   Bericht öffentlich
VO/2013/00901   Antrag zu VO/2013/00766 "Keine Wildtiervorführung in Lübeck" Überarbeitung nach neuen Erkenntnissen   Geschäftsstelle der Fraktion DIE LINKE   Antrag der LINKE-Fraktion