Vorlage - VO/2013/00096
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Beschlussvorschlag
Die Bürgerschaft hat in Sitzung am 24.05.2012 zu Punkt 4.3 der TO,
Drucksache Nr. 737, den folgenden Auftrag erteilt:
Der Bürgermeister wird beauftragt zu prüfen, wie es möglich ist, Flächen und Plätze
und Lübeck so umzuwidmen, dass Zirkusbetriebe, welche Wildtiere, insbesondere
Arten, die ein hochentwickeltes Sozialverhalten und einen ausgeprägten körperlichen
Bewegungsdrang haben, mitführen, keinen Standplatz mehr auf dem Stadtgebiet der
Hansestadt Lübeck erhalten.
Im Fokus stehen dabei Affen, Elefanten, Großbären, Giraffen, Nashörner,
Flusspferde, Seelöwen und Raubkatzen.
Eine geänderte Satzung möge der Bürgerschaft möglichst bis zur kommenden
Sitzung am 30.08.2012 vorgelegt und zur Abstimmung vorbereitet sein.
Begründung
Eine Umwidmung von Flächen wäre der Hansestadt Lübeck ausschließlich für
städtische Flächen möglich.
Fraglich ist hierbei, für welche Flächen eine Umwidmung tatsächlich erforderlich ist,
um Zirkusbetriebe mit Wildtiervorführungen von deren Nutzung auszuschließen.
Grundsätzlich ergibt sich der Widmungszweck bereits aus der Widmung selbst; so ist
eine Grünanlage auch als eine ebensolche gewidmet.
Als fiskalische Fläche liegt lediglich der Volksfestplatz als Zirkus-
Veranstaltungsfläche in der Zuständigkeit des Bereiches 2.280 Wirtschaft und
Liegenschaften.
Weitere für Zirkusveranstaltungen genutzte städtische Flächen befinden sich an der
Falkenstrasse (sogenannte Hüxwiese). Bei den häufiger von Zirkussen genutzten
Flächen in Travemünde (hinter Am Dreilingsberg) und in der Werftstraße handelt
es sich um private Flächen.
Für den Volksfestplatz liegt eine ausdrückliche Widmung als Öffentliche Einrichtung
z.B. per Bürgerschaftsbeschluss nicht vor.
Hier ist vielmehr der typische Fall einer konkludenten Widmung eingetreten:
Der Volksfestplatz wird bereits seit Jahrzehnten als städtischer Platz für Volksfeste
und Zirkusveranstaltungen genutzt; diese konkrete Vergabepraxis ist nicht nur als
Anhaltspunkt sondern auch als Konkretisierung einer Widmung zu sehen.
Es ist insoweit davon auszugehen, dass es sich beim Volksfestplatz auch als
Zirkusstandplatz um eine öffentliche Einrichtung handelt. Ähnlich ist die Hüxwiese
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zu beurteilen, die in den letzten Jahren immer wieder als Zirkusfläche vergeben
wurde.
Zu prüfen ist daher, ob für diese Fläche eine Widmungsbeschränkung in der
beantragten Form ergehen kann.
Die Entscheidung über die Zulassung zur Nutzung oder Überlassung einer
öffentlichen Einrichtung erfolgt in der Regel nach der sogenannten
Zweistufentheorie.
Hierbei wird in der ersten Stufe darüber entschieden, ob überlassen wird, dass heißt,
es wird geprüft, ob ein Nutzungs- bzw. Überlassungsanspruch im Rahmen des
Widmungszwecks besteht.
Der Zugang zu öffentlichen Einrichtungen ist nach § 18 der Gemeindeordnung
Schleswig-Holstein zum einen allen Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde
gewährleistet, zum anderen aber auch u.a. den Gewerbetreibenden, die nicht in der
Gemeinde ansässig sein müssen.
Die Umsetzung bzw. Gestaltung der Überlassung kann dann in einem zweiten Schritt
auch privatrechtlich erfolgen.
Zusammenfassend muss jedoch festgestellt werden, dass die Zulassung zur
Nutzung / Überlassung einer öffentlichen Einrichtung auch dann eine öffentlichrechtliche
Angelegenheit bleibt, wenn das Nutzungsverhältnis beispielsweise durch
einen privatrechtlichen Miet- oder Nutzungsvertrag geregelt wird.
Eine Prüfung des Bereiches Recht der Hansestadt Lübeck hat bereits ergeben, dass
es aus rechtlichen Gründen sehr zweifelhaft ist, ob eine Regelung, die Zirkusse mit
(bestimmten) Wildtieren von der Vergabe städtischer Flächen ausschließt, vor
Gericht Bestand hätte. Der Bereich Recht hat dazu eine Entscheidung des VG
Chemnitz ausgewertet. Das VG Chemnitz kam in seinem Beschluss vom 30.07.2008
(Az.: 1 L 206/08) (als Anlage beigefügt) hinsichtlich eines öffentlich-rechtlich
gewidmeten Volksfestplatzes zu dem Ergebnis, dass durch das Wildtierverbot in
dem ähnlich gelagerten Fall unzulässig in die Freiheit der Berufsausübung des
Zirkusunternehmens eingegriffen worden sei.
Die Stadt Chemnitz wollte im Platzüberlassungsvertrag ein Verbot des Mitführens
und des Auftritts von Wildtieren in Zirkussen verankern.
Das VG Chemnitz sah für diesen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit keine
gesetzliche Grundlage.
Die allgemeine Befugnis der Gemeinden aufgrund der Gemeindeordnung, die
Benutzung ihrer öffentlichen Einrichtungen zu regeln, stelle danach keine
ausreichende gesetzliche Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von
grundrechtseinschränkenden Satzungsbestimmungen dar.
Das VG Chemnitz hat daraufhin die Stadt Chemnitz dazu verpflichtet, einen
"Wildtierzirkus" in ein Auswahlverfahren für die Flächenvergabe aufzunehmen.
Andere Städte haben ebenfalls geprüft, ob über sogenannte Positivlisten bestimmte
Tierarten von der Zurschaustellung ausgeschlossen werden können und ob über
Satzungen Widmungsbeschränkungen für öffentliche Flächen vorgegeben werden
können. München hat 2010 einen entsprechenden Antrag geprüft und ist zu dem
Ergebnis gekommen, gravierende rechtliche Bedenken gegen einen solchen
Ausschluss bestehen.
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In der Stellungnahme der Rechtsabteilung der Stadt München, die von ihren
Rechtsgrundlagen vergleichbar ist mit der Gemeindeordnung Schleswig-Holstein
wird folgendes ausgeführt:
4.2 Widmungsbeschränkung
Bislang bestand die gängige Verwaltungspraxis, dass Zirkusse ohne jegliche
Beschränkung in ihrem Tierbestand gastieren durften, sofern sie eine
tierschutzrechtliche Genehmigung besaßen. Das Tierschutzgesetz verbietet
insofern auch nicht die Haltung und Zurschaustellung von Wildtieren.
Grundsätzlich ist es zwar möglich, von dieser Praxis abzuweichen und damit
eine Widmungsbeschränkung vorzunehmen. Eine Beschränkung müsste aber mit
Rechtsvorschriften höheren Rangs vereinbar sein (hier: Grundrecht der
Berufsausübungsfreiheit) und durch den Zweck, dem die Einrichtung zu dienen
bestimmt ist, gerechtfertigt sein (vgl. Widtmann/Grasser/Glaser, Bayerische
Gemeindeordnung, Art. 21, RdNr. 11-12).
4.2.1 Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG
Hinsichtlich der in Art. 12 Abs. 1 GG (als Rechtsvorschrift höheren Rangs)
statuierten Berufsausübungsfreiheit ist festzustellen, dass eine Regelung,
die den Auftritt von Zirkussen mit bestimmten Wildtieren auf gewidmeten
Flächen untersagt, die Berufsausübungsfreiheit tangieren würde.
Den betroffenen Unternehmen würden zwar keine Voraussetzungen zur Zulassung
ihres Betriebes gesetzt, aber dem Wie der Ausführung würden Grenzen
gesetzt. Mithin würde es sich hierbei um eine sog.
Berufsausübungsregelung handeln. Es wäre nämlich denjenigen Unternehmen
mit Wildtieren nicht mehr möglich, zum Gastieren zentral gelegene
städtische Flächen zu nutzen, die öffentlich-rechtlich gewidmet sind.
Das VG Chemnitz kam in seinem Beschluss vom 30.07.2008 (Az. 1 L 206/08)
hinsichtlich eines öffentlich-rechtlich gewidmeten Volksfestplatzes zudem
Ergebnis, dass durch das Wildtierverbot in dem ähnlich gelagerten Fall
unzulässig in die Freiheit der Berufsausübung des Zirkusunternehmens
eingegriffen worden war. Die Stadt Chemnitz wollte im
Platzüberlassungsvertrag ein Verbot des Mitführens und des Auftritts von
Wildtieren in Zirkussen verankern. Das VG Chemnitz sah für diesen Eingriff
in die Berufsausübungsfreiheit keine gesetzliche Grundlage.
Die allgemeine Befugnis der Gemeinden, die Benutzung ihrer öffentlichen
Einrichtungen zu regeln, stellt danach keine ausreichende gesetzliche
Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von grundrechtseinschränkenden
Satzungsbestimmungen dar. Dies gilt auch für Beschlüsse des Gemeinde- bzw.
Stadtrats, die Einschränkungen des öffentlich-rechtlichen
Benutzungsverhältnisses beinhalten.
An dieser Stelle ist auch auf die Urteile des OVG Koblenz vom 06.11.2008
(NVwZ-RR 2009, 394) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes (VGH) vom
04.02.2009 (BayVBl. 2009, 367 ff.) zum Thema Grabsteine aus Kinderarbeit
hinzuweisen, die sich mit der Frage befassen, ob die Gemeinde berechtigt
ist, in ihrer Friedhofbenutzungssatzung festzulegen, dass keine Grabsteine
aufgestellt werden dürfen, die unter Einsatz ausbeuterischer Kinderarbeit
hergestellt worden sind. Die Gerichte kommen zu dem Ergebnis, dass eine
Gemeinde zwar kraft ihrer allgemeinen Satzungsautonomie aus Art. 23 Satz 1
GO Benutzungssatzungen für ihre Einrichtungen (hier: Friedhof) erlassen
dürften, diese Satzungsautonomie jedoch als Ermächtigungsgrundlage nicht
dem Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG genüge. Es bedürfe
vielmehr als Grundlage einergesetzlichen Regelung, die Umfang und Grenzen
des Eingriffs deutlich erkennen lasse.
Hier ist eben der Bundesgesetzgeber durch das Tierschutzgesetz tätig
geworden, das Umfang und Grenzen des Eingriffs deutlich umschreibt. Ein
Tätigwerden des kommunalen Satzungsgebers ist hier schon aus diesem Grund
nicht mehr möglich.
Es blieben als möglicherweise rechtfertigende Gesetze das Tierschutzgesetz
und Art. 20 a GG, der den Tierschutz als Staatsziel benennt.
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Gerade aber das Tierschutzgesetz, das ja dem Schutz der Tiere dienen soll,
erlaubt in seinem § 11 jedoch die gewerbsmäßige Haltung von Wirbeltieren
zum Zweck der Zurschaustellung. Es macht dies lediglich von der Erlaubnis
der zuständigen Behörde abhängig. Der Bundesgesetzgeber hat sich hier
ausdrücklich mit dem Thema befasst, hat jedoch eine Regelung getroffen, die
die Wildtiere explizit nicht ausnimmt aus dem Genehmigungstatbestand. Eine
Beschränkung der öffentlichen Einrichtung würde deshalb im Widerspruch zu
den in § 11 Tierschutzgesetz getroffenen Regelungen stehen.
Art. 20 a GG indes enthält zwar als Staatszielbestimmung den Tierschutz.
Jedoch wirkt gesetzessystematisch eine solche Staatszielbestimmung nicht
unmittelbar normativ, im Sinne einer umsetzbaren Schutzgewährleistung,
sondern statuiert lediglich einen Verfassungsauftrag. Diesem muss der
Gesetzgeber in jedem Fall durch gesetzliche Umsetzung gerecht werden. Art.
20 a GG kann daher auch nicht als Rechtfertigung für einen Eingriff in die
Berufsausübungsfreiheit herangezogen werden. Rechtsabteilung der Stadt
München, Sitzungsvorlage Nr. 08-14 / V 05748)
Aus der Schleswig-Holsteinischen Gemeindeordnung ergibt sich keine andere
Beurteilung. Die Verwaltung sieht sich aus Rechtsgründen gehindert, eine Satzung
mit dem beantragten Inhalt vorlegen.
Zusammenfassende Empfehlung:
1. Eine kommunale Satzung stellt keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage
dar, um Ziele des Tierschutzes durchzusetzen, wenn dies zu einem Eingriff in
die Berufsausübungsfreiheit führt.
2. Verstöße gegen das Tierschutzgesetz können im Einzelfall nur durch die
zuständige Behörde Amtstierarzt verfolgt werden, aber nicht prophylaktisch
durch Widmungsbeschränkungen.
3. Eine entsprechende Satzung kann daher nicht vorgelegt werden.
Anlagen
1. Beschluss Wildtiere Verwaltungsgericht Chemnitz
2. Beratungsfolge
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1 | öffentlich | Anlage 1 Beschluss Wildtiere VG Chemnitz (344 KB) | ||
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2 | öffentlich | Anlage 2 Beratungsfolge (9 KB) |
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