Anlässlich des 75. Gedenktages der Reichspogromnacht gibt die Ausstellung einen Einblick in jüdisches Leben von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. Das Landesarchiv Schleswig-Holstein erarbeitete dafür in Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Gerhard Paul von der Universität Flensburg und der Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein einen detailreichen Überblick zu den Ereignissen in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938. Gezeigt werden auch die Vorgeschichte der Jüdinnen und Juden in Schleswig-Holstein und die auf die „Reichskristallnacht“ folgenden Jahre ihrer Stigmatisierung und Ermordung durch die Nationalsozialisten.
Begleitend zur Ausstellung finden am 3., 10. und 18. Februar 2016, jeweils um 19 Uhr, thematische Vorträge in der Großen Börse statt:
Mittwoch, 3. Februar 2016, 19 Uhr - „Jüdisches Leben im Schatten der Katastrophe“
Der von den Nationalsozialisten organisierte Terror gegen Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft traf auch die Familie des Lübecker Psychologen und Hochschullehrers Rolf Verleger. Seine Eltern wurden verschleppt. Die Großeltern, Onkel und Tanten und andere Angehörige der Familie ermordet und ihr Besitz „arisiert“, also enteignet. Rolf Verleger, 1951 geboren, wird an das Schicksal seiner Familie erinnern und berichten, wie es war, als in Deutschland die Synagogen brannten und die Feuerwehren tatenlos zusahen, als die Gotteshäuser einstürzten und jüdische Bürger auf offener Straße gejagt, misshandelt und ermordet wurden. Rolf Verleger, Psychologe, Hochschullehrer und Essaist und unter anderem eine der bekanntesten Stimmen des modernen deutschen Judentums, der brennende Fragen der Zeit streitbar und kritisch zu kommentieren weiß. Auch ist er Mitglied des Vereins Jüdische Stimme für den gerechten Frieden in Nahost. Einer breiteren Öffentlichkeit ist Verleger als langjähriges Direktionsmitglied im Zentralrat der Juden in Deutschland und als ehemaliger Vorsitzender der Jüdischen Gesellschaft Schleswig-Holsteins bekannt.
10. Februar 2016, 19 Uhr - „Flucht nach Schanghai - Zufluchtsort Lübecker Juden“
Heidemarie Kugler-Weiemann berichtet zusammen mit Birgit Geweke und Jürgen Specht über das Schicksal vieler Tausender jüdischer Menschen, deren letzter möglicher Fluchtort ab dem Novemberpogrom 1938 Shanghai war, da hier kein Visum zur Einwanderung verlangt wurde. Darunter waren auch 32 Menschen aus Lübeck, die sich vor weiterer Verfolgung in die chinesische Stadt retten konnten, wo sie die Kriegsjahre und die Ghettoisierung unter japanischer Besatzung überstanden. Birgit Geweke und Jürgen Specht haben mehrere Jahre mit ihren Kindern in Shanghai gelebt und sich vor Ort auf Spurensuche begeben. Die beiden zeigen anhand von Fotos, wie in der heutigen Metropole an die Zeit des jüdischen Exils erinnert wird. Heidemarie Kugler-Weiemann berichtet von Schicksalen die durch Briefe und andere Dokumente bekannt wurden. Sie ist langjährige Abgeordnete der Grünen in der Lübecker Bürgerschaft und setzt sich seit Jahrzehnten für Toleranz und Zivilcourage ein. Die Lübecker Lehrerin gab den Anstoß zur Umbenennung der 1. integrativen Gesamtschule Lübecks in „Geschwister-Prenski-Schule“ nach drei Lübecker Opfern des Holocaust. Auch ist sie die Begründerin der Initiative Stolpersteine für Lübeck. Sie hat zahlreiche Lebensgeschichten erforscht und internationale Kontakte zu Angehörigen der aus Lübeck stammenden Opfer geknüpft, wie beispielsweise Abraham Domb-Dotan, Sonja Prenski, der Schwester der Geschwister Prenski oder Richard Yashek, die alle in dieser Ausstellung Zeugnis ablegen. Heidemarie Kugler-Weiemann ist Mitglied im Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein, Trägerin des Bundesverdienstordens und Preisträgerin des renommierten amerikanischen Obermayer German Jewish History Award
18. Februar 2016, 19 Uhr - „Spuren. Fotografien zum jüdischen Leben in Schleswig-Holstein 1900-1950“
Der Lichtbildvortrag schlägt anhand von ausgewählten Fotografien, auch aus Lübeck, einen Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart. Prof. Dr. Paul war vor zwei Jahren im fernen Shanghai und hat dort die Spuren des ehemaligen jüdischen Gettos gefunden. Der Vortrag vertieft etliche Bilder der Ausstellung und vermittelt ein sehr eindringliches Bild vom Leben der jüdischen Flüchtlinge im Exil und dessen Auswirkungen. Gerhard Paul, Jahrgang 1951, studierte Sozialwissenschaften und Geschichte an den Universitäten Bonn, Frankfurt am Main und Hannover. Nach diversen Tätigkeiten in der Erwachsenenbildung sowie als Autor beziehungsweise Regisseur von Fernsehdokumentationen war er unter anderem 10 Jahre lang Dozent am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, im Bereich Historische Grundlagen der Politik. Während dieser Zeit war er an derKonzeption und Mitarbeit in den von der Volkswagen-Stiftung finanzierten Forschungsprojekten beteiligt. Konzeption und Leitung des von der Volkswagen-Stiftung finanzierten Forschungsprojekts „Sozialgeschichte des Terrors" an der Universität Flensburg. Dazu sind zahlreiche Publikationen von ihm erschienen, wie etwa „Karrieren der Gewalt“ oder „Die Täter der Shoa“. Seine aktuellen Forschungen beschäftigen sich mit der Macht und der Wirkung von Bildern.
Kostenlose Führungen durch die Wanderausstellung gibt es für Gruppen mit jeweils zehn Personen. Hierfür wird eine Anmeldung per Telefon (0451) 122 - 4101 oder per Mail: kulturbuero@luebeck.de, erbeten. Der Eintritt sowie die Teilnahme am Begleitprogramm sind ebenfalls kostenfrei. +++