Auf Grund neuer Aktenfunde berichtet der Lübecker Historiker Dr. Peter Guttkuhn am Dienstag, 18. März 2008, 19.30 Uhr im Großen Saal der Gemeinnützigen, Königstraße 5, von bislang unbekannten Gegebenheiten und dramatischen Situationen in der Hansestadt in den Jahren 1933 bis 1939, die sich allesamt von Staates wegen, gegen die jüdischen Mitbürger richtete und in einer beispiellosen Form von Willkür und Rechtsmissbrauch durch Bedienstete der öffentlichen Hand ausgeführt wurden.
Am 4. April 1933, drei Tage nach dem Boykottsabbat, an dem er eigentlich sein 25-jähriges Anwaltsjubiläum hatte begehen wollen, verließ der Rechtsanwalt und Notar Dr. Leo Landau aus der Kronsforder Allee 10 zusammen mit der Familie seine Heimatstadt Lübeck für immer. Der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Mitglied der Gemeinnützigen seit 1908, musste seinen gesamten Hausrat zurücklassen, der am 20. Juni 1933 durch das Auktionshaus Koch in der Marlesgrube öffentlich versteigert wurde. In Wahrheit handelte es sich um eine riesige Verschleuderungs-Aktion, bei der so mancher Lübecker „Volksgenosse“ ein prima Schnäppchen machte.
Nur wenige Stunden nach dem Freitod des Fabrikdirektors und Kunstmäzens im Untersuchungsgefängnis schrieb der Vorsteher des Finanzamts Lübeck noch am 12. August 1938 an das Grundbuchamt: „Der Kaufmann Albert Asch und seine Ehefrau Anna schulden dem Reich aufgrund der Vorschriften über die Reichsfluchtsteuer zur Sicherung gegenwärtiger oder zukünftiger Ansprüche auf Reichsfluchtsteuer den Betrag von 149 492, 25 RM. Der Sicherheitsbescheid ist sofort vollstreckbar. Ich beantrage hiermit die Eintragung einer Sicherungshypothek zum Höchstbetrag auf das den Schuldnern gehörige Grundstück Friedrich-Wilhelm-Straße 17 in Lübeck für das Deutsche Reich, vertreten durch das Finanzamt Lübeck“. Das war die amtlich-bürokratische Variante der Arisierung, sprich: Enteignung. Einen Tag später wurde sein Unternehmen in der Moislinger Allee 39/40 „arisiert“ – sprich von Staats wegen geraubt.
Nachdem alle jüdischen Männer als Folge der Reichspogromnacht am 10. November 1938 verhaftet und tags darauf ins KZ Sachsenhausen bei Oranienburg verschleppt worden waren, besuchten jeweils zwei bewaffnete Gestapoleute die meisten der zurückgebliebenen Ehefrauen, durchsuchten deren Wohnungen und raubten – man sprach von „Sicherstellung“ – deren gesamten persönlichen Schmuck.
Henry Ruben, Bankdirektor a. D. und Wirtschaftsberater, leitete von 1939 bis zu seiner Deportation die Lübecker jüdische Gemeinde. Sein Hausgrundstück in der Wakenitzstraße 34 b rissen sich die NS-Behörden bereits ein Jahr vor seiner Ermordung unter den Nagel. Dazu erließ der Schleswiger Regierungspräsident folgende Verfügung: „Auf Grund des Gesetzes über die Einziehung kommunistischen Vermögens in Verbindung mit dem Gesetz über die Einziehung volks- und staatsfeindlichen Vermögens wird in Verbindung mit dem Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Verwertung des eingezogenen Vermögens von Reichsfeinden das gesamte Vermögen des Juden Henry Israel Ruben, zuletzt wohnhaft in Lübeck, St.-Annen-Straße 11, zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen“.
Der Eintritt zu dem Dienstagvortrag ist frei. +++