Veröffentlicht am 02.08.2007

40 „Stolpersteine“ erinnern an Opfer der NS-Diktatur in Lübeck

Seit 1993 gibt es das Projekt „Stolpersteine“ des Kölner Künstlers Gunter Demnig, das die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Sinti und Roma, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas sowie an Opfer der Euthanasie während der Zeit des Nationalsozialismus lebendig erhält. Lübeck erhält jetzt die ersten 40 Stolpersteine. Mit der Verlegung wurde am 2. August 2007 begonnen.

„Stolpersteine“ sind Betonwürfel mit zehn Zentimeter Kantenlänge, abgedeckt mit einer verankerten Messingplatte, auf der der Name sowie die Lebensdaten und das Schicksal des Opfers mit Schlagbuchstaben eingeprägt sind. Die Steine werden vor den ehemaligen Wohnhäusern der Deportierten und Ermordeten im öffentlichen Straßenraum dauerhaft vom Künstler selbst fachgerecht verlegt. Sie liegen plan im Boden, ein tatsächliches Stolpern ist nicht möglich, so dass keinerlei Gefährdung besteht.

Die Stolpersteine werden durch Patenschaften von privaten Spendern finanziert und gehen mit der Verlegung der Steine als Schenkung an die jeweilige Gemeinde.

Am 28. Juni 2007 hat die Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck einstimmig die Verlegung von Stolpersteinen im Stadtgebiet genehmigt.

Gunter Demnig hat bereits rund 9000 Stolpersteine verlegt, allein in Hamburg sind es mittlerweile rund 1300 Steine, die vor allem im Grindelviertel an die früheren Bewohner und Bewohnerinnen dieses Stadtviertels erinnern. In Schleswig-Holstein gibt es Stolpersteine in Kiel, Flensburg und etlichen kleineren Orten. In der Stadt Bad Schwartau erinnern vier Stolpersteine in der Auguststraße an die jüdische Familie Jaschek, die zuvor in Lübeck gelebt hatte. Auch in Lübeck erinnert bereits ein Stolperstein vor dem Buddenbrookhaus in der Mengstraße an Erich Mühsam.

Bereits vor geraumer Zeit hat sich in Lübeck eine Initiative für Stolpersteine gebildet, an der mehrere Historikerinnen und Historiker wie Dr. Peter Guttkuhn, Dr. Wolfgang Muth, Dr. Ingaburgh Klatt, Christian Rathmer, Manfred Bannow-Lindtke sowie andere Interessierte beteiligt sind. Die Gruppe steht in Kontakt zu Gunter Demnig, wirbt um Patenschaften und übernimmt die notwendigen Recherchen. Ein Spendenkonto für die Stolpersteine wurde vom Arbeitskreis für die Geschichte des Nationalsozialismus in Schleswig-Holstein (AKENS) bereitgestellt.

Seit einer ersten öffentlichen Veranstaltung im Dezember 2006 sind Spenden für mehr als 40 Stolpersteine eingegangen, Überwiegend kommen die Spenden von Privatpersonen, aber auch der Verein Sprungtuch e. V., die Geschwister-Prenski-Schule, das Haus der Kulturen sowie die „Gemeinnützige“ und die Bundestagsabgeordnete Anke Eymer haben Patenschaften übernommen. Spenden kamen sogar aus Berlin, Hamburg, List auf Sylt, Scharbeutz und Neustadt. Eine Spenderin möchte ihren beiden in Lübeck wohnenden Enkelkindern je eine Patenschaft schenken.

Mit den ersten rund 40 Stolpersteinen soll an ermordete jüdische Kinder und Jugendliche aus Lübeck und deren Angehörige erinnert werden. 26 Steine davon werden heute am 2. August 2007 verlegt, die anderen folgen mit hoffentlich weiteren Steinen für andere Opfer beim nächsten Termin.

Bei der heutigen Verlegung ging es um folgende Familien:

Fünfhausen 5 war die Anschrift der Familie Daicz, die komplett - bis auf den Vater - ausgelöscht wurde. Albert Daicz konnte nach Shanghai emigrieren. Die beiden Söhne Julius (geboren 1923) und Max Isaak (1921) lebten wegen ihrer geistigen Behinderung im Heim Vorwerk und wurden 1940 in Brandenburg ermordet. Die Tochter Esther (1919) heiratete 1941 nach Hamburg; sie wurde von dort nach Minsk deportiert. Ihre beiden Schwestern Gisela (1917) und Hanny Rosa, genannt Rosi (1926 geboren), gehörten mit der Mutter Anna Daicz, geborene Finkelberg, zu den Opfern der Deportation nach Riga.

Margot, Martin und Max Prenski (1931, 1930 und 1924 geboren) lebten mit ihrer Mutter Sonja Prenski, geborene Lawenda, in der Adlerstraße 7, Fina Rosenthal (Jahrgang 1928) mit ihrer Mutter in Marlesgrube 9, Margot Fanny Saalfeld (Jahrgang 1926) mit den Eltern in der Fleischhauerstraße 1, Heinz Selmanson (ebenfalls 1926 geboren) mit dem Vater Bei St. Johannis 4. In der Hüxstraße 110 wohnten die beiden jüngsten Lübecker Opfer der Deportation nach Riga: Rosa Beutel, geboren am 5. Juni 1935, und ihre kleine Schwester Simmy, geboren am 5. März 1937. Sie war noch keine vier Jahre alt, als sie mit der Mutter und Großmutter und weiteren Angehörigen umgebracht wurde.

Die in der Großen Petersgrube 21 lebende Familie Strwaczynski flüchtete nach Belgien. Die Eltern und ihre beiden Söhne Fred und Leo wurden in Auschwitz ermordet.

Ebenfalls in Auschwitz kamen Hermann Marcus Mecklenburg (geboren 1927) und seine Schwester Hanna (Jahrgang 1922) mit ihrer Mutter ums Leben; der Vater starb in Gurs. Die Familie hatte in der Mengstraße 52 gewohnt und war nach Belgien geflüchtet.

Die Besonderheit der Stolpersteine Gunter Demnigs liegt darin, dass sie im früheren alltäglichen Umfeld an die einzelnen Menschen erinnern, so dass die heutigen Bewohner in ihrem Alltag „stolpern“ über die kleinen schlichten Gedenktafeln, den Namen und die Daten lesen und für einen Moment innehalten und an die Menschen denken, die Opfer des Nationalsozialismus wurden. So gab es in Hamburg viele Patenschaften aus der Nachbarschaft, und auch in Lübeck zeichnet sich ab, dass Spender und Spenderinnen eine Patenschaft in ihrer Nähe übernehmen möchten. Das Projekt macht eine wachsende Beteiligung von Menschen und Gruppierungen möglich, außer der finanziellen Unterstützung durch kleine und größere Beträge entstehen persönliche gedankliche und ideelle Verbindungen des Erinnern und Gedenkens.

Gunter Demnigs Stolpersteine werden im Boden verlegt, im öffentlichen Straßenraum. Er wählte diese Form, um die Steine auf Dauer im öffentlichen Straßenraum verlegen zu können und nicht vom Einverständnis jedes einzelnen Hausbesitzers abhängig zu sein.

Zu den Bedenken, dass bei einer Verlegung im Boden die Opfer erneut mit Füßen getreten werden, ist zu sagen, dass bedauerlicherweise auch Gedenktafeln an Wänden oder freistehende Steine nicht gefeit sind gegen mutwillige Beschmutzungen und Beschädigungen. Bei den Stolpersteinen helfen Füße ebenso wie Sand, Regen und Schnee, die Messingplatten glänzend zu halten.

Der Zentralrat der Juden in Deutschland hat im Jahr 2000 dem Projekt Gunter Demnigs zugestimmt. Die Lübecker Initiative für Stolpersteine hat bereits 2003 dem Vorstand der Jüdischen Gemeinde Lübeck ihr Vorhaben vorgestellt und dessen Einverständnis erhalten.

Bei Vertretern der Roma und Sinti in Schleswig-Holstein gibt es Vorbehalte, die Namen einzelner Opfer öffentlich zu machen. In anderen Bundesländern gab es diese Bedenken nicht. +++

Hinweis für die Medien: Unter folgender Internetadresse stehen Ihnen vier Fotos zur kostenfreien Nutzung (Selbst-Download) zur Verfügung:

http://www.luebeck.de/aktuelles/presse/fotoarchiv/index.html?action=show_images&imageclass=45

Für weitere Infos steht Ihnen Heidemarie Kugler-Weiemann, Telefon (0451) 3 24 72 zur Verfügung.