Veröffentlicht am 27.04.1998

Dokumentation: "Demokratie für Lübeck zurückholen"

Dokumentation: "Demokratie für Lübeck zurückholen"

Oder: Was bedeutet Verwaltungsstrukturreform ?

Von Bürgermeister MICHAEL BOUTEILLER

Verwaltungsstrukturreform in Lübeck ist Teil des Umbaus der Entscheidungsstrukturen der Gesamtstadt mit dem Ziel, die Selbstverwaltung der gemeindlichen Angelegenheiten und die Freude an der Mitwirkung daran wiederzugewinnen. Verwaltungsstrukturreform betrifft die Stadtverwaltung insgesamt und beeinflußt unmittelbar ein Entscheidungsgefüge von rd. 10.000 MitarbeiterInnen in der Verwaltung und den zugehörigen Betrieben. Das von ihr bewegte Budget hat eine Größenordnung von jährlich 2,4 Mrd.DM, davon entfallen ca. 1,4 Mrd. DM auf die Verwaltung im engeren Sinne und ca. 1 Mrd.DM auf die städtischen Betriebe.

Die Reform der Entscheidungsstrukturen ist kein Sparprogramm, sondern verwirklicht die Chance, Demokratie für unsere Stadt zurückzuholen. Das Herzstück der Reform ist die Erneuerung des Verfahrens zur Aufstellung und Einhaltung (Steuerung) des Gesamtbudgets. Ein Maßstab der gelungenen Reform ist die Verabschiedung eines ausgeglichenen Haushalts unter der Bedingung nachhaltiger Stadtwirtschaft. Die Reform ist erfolgreich, wenn es gelingt, mittel-und langfristig Überschüsse im Verwaltungshaushalt zu erwirtschaften.

Bisher ist die Modernisierung der Stadtverwaltung und der städtischen Infrastruktur außerordentlich erfolgreich abgelaufen, wenn dies auch weitgehend, was die Stadtverwaltung angeht, nach Innen geschah, d.h. unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Das muß sich ändern. Stadtverwaltung und Stadtgesellschaft sind ein Entscheidungs- und Wirkungsgefüge, das in besonderem Maße von der Legitimation der Öffentlichkeit lebt. Dazu muß man die städtischen Entscheidungsprozesse allerdings vom Kopf auf die Füße stellen. Diese Veränderung ist Teil der Strukturreform.

Mit dem Haushalt 98 wird das genannte Reformziel, die Annäherung an den Bürger, zum ersten Mal nach langer Zeit greifbar. Denn die Sanierung des Haushalts mit dem Ziel eines ausgeglichenen Haushalts für das Jahr 2000 kommt voran- wie die Grafik in einem Stadtzeitung-Artikel (Ausgabe 22) zeigt.

Der sog.freie Finanzspielraum ist zum Nachweis der dauernden Leistungsfähigkeit der Gemeinde nach §85 Abs.2 der Gemeindeordnung zu ermitteln und im Vorbericht zum Haushalt darzustellen. Fehlbeträge im Verwaltungshaushalt sind spätestens nach zwei Jahren auszugleichen. Die Zahlenangaben für den Zeitraum 1999 bis 2001 beruhen auf Prognosen bzw.Planungen.

Ausgeglichene Haushalte, die wir nach der Grafik erstmals im Jahr 2000 erreichen könnten, sind die erste Voraussetzung einer breiteren öffentlichen Zustimmung zur Politik. Es gibt nämlich einen engen Zusammenhang von Vertrauensverlust in die Poltik und der öffentlichen Wahrnehmung der Verschuldung der Stadt. Solange die BürgerInnen sagen können, "die da oben können mit unserem Geld nicht umgehen" gibt es keinen Vertrauensvorschuß für die Gewählten. In der Öffentlichkeit steht unverrückbar das Ideal des "Guten Hausvaters", und der macht bekanntlich keine Schulden, jedenfalls nicht mit anderer Leute Geld. Weil der Haushalt die Voraussetzung aller öffentlichen Legitimation ist, muß der Haushalt ausgeglichen werden.

Der städtische Haushalt ist in der öffentlichen Wahrnehmung also das Zentrum städtisch-demokratischer Teilhabe. Das gilt übrigens auch für die kommunalpolitische Theorie und Praxis. Der Beschluß über die jährliche Haushaltssatzung ist danach das Kernstück der Arbeit der Bürgerschaft. Wer aber dauerhaft Schulden macht, hat aus der Sicht der Öffentlichkeit die Sache eben nicht im Griff und verliert damit an öffentlicher Reputation. Der Bürger hat für das Reden der jeweils Verantwortlichen um diese Sache herum, also für das Wegschieben der Finanzverantwortung in der Kommune auf andere (das Land, der Bund, das Kapital usw.) kein Verständnis. Denn im Ergebnis erlebt jeder bei sich selbst, daß das "Schuldigensuchen" bei anderen nichts nützt. So gerät denn auch der im besten Sinne geführte Diskurs in der Bürgerschaft über das öffentliche Wohl der Stadt bei der vorhandenen Schuldenlast aus Sicht der Normalbürger zum Diskurs unter Känguruhs: große Sprünge, leerer Beutel.

Ein gutes bis schlechtes Beispiel hierfür war die Entscheidung der Bürgerschaft im Herbst 1996 zur Stadtzeitung. Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen, ich halte diese Mehrheitsentscheidung der Bürgerschaft im Ergebnis für richtig. Indes, die Auseinandersetzung um Mehrkosten von 310.000 DM pro Jahr für drei RedakteurInnenstellen "spaltete die Stadt", wie die örtliche Tageszeitung schrieb: "Die schmeißen unser Geld zum Fenster hinaus", hörte man die Einen sagen. Es sei hier angemerkt, daß zu gleicher Zeit an anderer Stelle im Stadthaushalt Millionen eingespart bzw. ausgegeben worden sind, ohne daß auch nur ein einziges öffentliches Wort über Sinn oder Unsinn dieser Maßnahmen verloren worden wäre. Fest steht jedoch, daß ein nicht ausgeglichener Haushalt eben zur Unübersichtlichkeit kommunalen Entscheidens führt und damit zu einem Verlust an demokratischer Legitimation. Unter solchen Haushalten und ihren Folgen leidet Lübeck seit über 20 Jahren. Das muß sich ändern.

Hilfe von Bonn oder Kiel war und ist nicht zu erwarten. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Die Städte werden wohl weiterhin für Bund und Länder der Sparstrumpf der Nation bleiben. Deshalb war und ist es erforderlich, den Umbau der Stadt aus eigener Kraft zu gestalten. Mit der Verwaltungsstrukturreform schaffen wir uns die sächlichen, persönlichen und finanziellen Voraussetzungen zur Steuerung des Umbaus der Stadt. Gleichzeitig werden wir den Umbau der sozialen, kulturellen und ökologischen Infrastruktur der Stadt zu Ende führen müssen. Die Komplexität dieses Prozesses und die Mittel zu seiner Bewältigung habe ich im August 1992 im KONZEPT FÜR LÜBECK dargestellt.

Wir werden danach das Kunststück vollbringen müssen, die künftigen Haushalte trotz des erheblichen Mehrbedarfs für die verwaltungsinterne Modernisierung (über 90 Mio DM) so zu fahren, daß in absehbarer Zeit gleichwohl Überschüsse erwachsen, die eine städtische Förderung der sozial-ökologischen Infrastruktur in den Stadtteilen nicht ausschließt. Der erste Schritt zu diesem Ziel war mit dem von mir vorgelegten Haushalt 1998 und den darin enthaltenen Budgeteckwerten 98 bis 2000 getan .

Bis April 98 hat sich vieles in der Lübecker Verwaltung bewegt. Im Mai 93 mußte ich noch bei der Einbringung des Nachtragsstellenplanes in der Bürgerschaft auf die Erfordernisse hinweisen, die unzureichende Investitions-, Personal- und Budgetplanung der Stadt schnellstens den modernen Erfordernissen anzupassen, um die angemahnte Haushaltssicherung zu erreichen. Nachdem die geänderte Kommunalverfassung mit Wirkung vom 1.1.97 in kraft getreten war, konnte ich mit der Umstrukturierung des Haushaltsverfahrens beginnen.

Noch im April 1997 rechneten wir in der damaligen Haushaltsprognose mit einem Defizit im Verwaltungshaushalt 2000 von rd.78 Mio DM. Das war ein Warnzeichen. Wir verdoppelten deshalb unsere Anstrengungen in Vorbereitung des Haushalts 98. Wir hatten dafür nur sieben Monate Zeit, von April bis Oktober 97. Gleichwohl haben wir versprochen, den Haushalt 98 nicht nur zum ersten Mal nach langer Zeit wieder rechtzeitig in der Novembersitzung der Bürgerschaft vorzulegen zusätzlich noch mit einem Sanierungskonzept, das in drei Jahren den prognostizierten Fehlbedarf 1998 (50 Mio DM) ausgleichen sollte. D.h., wir nahmen uns vor, bis 2000 rd. 50 Mio DM im Verwaltungshaushalt herunterzufahren, ohne durch diese Prozedur die Nachhaltigkeit der Stadtwirtschaft zu verletzen. Das ist uns bisher auch gelungen.

Ich will ferner noch in Erinnerung rufen, welche enormen Anstrengungen zur Modernisierung die MitarbeiterInnen der Verwaltung seit 1992 in Vorbereitung dieser Veränderungen bereits hinter sich gebracht hatten: allein zur zeitgemäßen EDV-Ausstattung der Arbeitsplätze müssen bzw. mußten rd.30 Mio.DM (jährlich ca. 3 Mio) aufgewendet und mit Programmen und Investitionsentscheidungen auch umgesetzt werden. Oder die Neuorganisation der räumlichen Unterbringung der Stadtverwaltung, ohne die weder die technische Erneuerung der Arbeitsplätze noch die Synergien der produktorientierten Organisationsreform der Verwaltung heute möglich wären, ist in dieser Zeit geplant und umgesetzt worden. Die räumliche Neuorganisation für sich genommen erfordert(e) schon Haushaltsmittel in Höhe von über 60 Mio.DM. Insgesamt über 90 Mio. DM für die Innenreform der Verwaltung zusätzlich im Vermögenshaushalt bereitzustellen, ist bei der Lübekker Haushaltslage kein Pappenstiel gewesen. Die Anstrengungen haben sich gelohnt. Denn ohne die räumlichen und sächlichen Voraussetzungen für modernste Arbeitsplätze geschaffen zu haben (wie z.B.der Start der Informations-und Kommunikationstechnik des LÜBECK-NETZES mit INTRANET April 98, der TRAVECOM als städtischer Kabelgesellschaft, neues städtisches Busdepot der Stadtwerke) ist die Strukturreform bei gleichzeitiger Haushaltssanierung und dem Umbau der Stadtinfrastruktur nicht zu haben.

Jeder dieser Bausteine bedurfte bzw. bedarf eines Finanzierungs-und darauf abgestimmtes Umsetzungskonzeptes, das so geschnitten war, bzw.zu schneiden ist, daß

1. die städtischen Mittel die soziale und kulturelle Infrastruktur der Daseinsvorsorge nicht einschränkten und

2. den Haushalt nicht zusätzlich belasteten und weiterhin

3. noch ersichtlich werden würde, daß wir mit der Haushaltssanierung vorankommen.

Der Haushalt 98 wurde dieser Gratwanderung gerecht.

4. Hinzu kommt als zwingendes Erfordernis, daß die wichtigen Projekte des Stadtumbaus, insbesondere der Verkehrsinfrastruktur, zeitgleich mit dem Fortschritt der Reformarbeit zu entscheiden, umzusetzen und ggf. zu finanzieren sind (z.B. Nordtangente 1998, B207 Neu 1998, Herrentunnel 1998, Hafenausbau, Flughafen).

Es bleibt in Lübeck demnach nicht der Königsweg, die Veränderungsprozesse in der Verwaltung von dem Umbau der gesamtstädtischen Infrastruktur abzukoppeln, sie etwa nacheinanander zu schalten, sei es in der zeitlichen Abfolge, sei es im Nacheinander der Finanzierung. Es blieb oder bleibt für die nächsten fünf Jahre auch nicht die Alternative, die anfallende Mehrarbeit extern einzukaufen. Strukturreform und Umbau der städtischen Infrastruktur müssen von unseren bewährten MitarbeiterInnen gleichzeitig durchgeführt werden.

Man würde, um ein anderes Beispiel zu nehmen, gerne die Kreditlinie für nichtrentierliche Bauinvestitionen im Vermögenshaushalt herunterfahren, um so zeitweise Kreditmittel einzusparen. Das Gegenteil jedoch ist der Fall. Im Vermögenshaushalt, der in Lübeck ohnehin ein vergleichsweise hohes Niveau hat, wird noch einmal kräftig daraufgelegt werden müssen. Denn wir wollen und müssen an unserem ehrgeizigen Ziel festhalten: gleichzeitiger Umbau der Verwaltung bei gleichzeitigem Umbau der Stadtinfrastruktur. Die Sicherung der Beschäftigung in der Stadtregion duldet keinen Aufschub. Hier läuft angesichts der ökonomischen Kräfte der Metropolregionen im Westen, Norden und Osten Lübecks die Uhr gegen unsere Stadt.

Das erfordert aber das Kunststück, die Kreditermächtigungen gleichwohl nicht auszuweiten. Denn andernfalls ist der Haushaltsausgleich nicht zu schaffen. Größere Projekte konnten bzw. können deshalb nur dann mit Erfolg umgesetzt werden, wenn für jede nichtrentierliche Maßnahme der Verwaltungsstrukturreform und der städtischen Infrastruktur jeweils ein in sich geschlossenen Sonderfinanzierungsprogramm vorliegt. Derartige Programme sind außerordentlich zeitintensiv zu erstellen, verlangen äußerste Flexibilität und Kreativität der Beteiligten und strengste Budgetdisziplin aller. Bisher hat auch das geklappt.

5. Schließlich müssen noch Millionenverluste im Bereich der staatlichen Finanzgewährleistungen der Kommune (z.B. 97 ca. 10 Mio DM) aufgefangen werden,

6. gleichwohl soll der Haushaltsausgleich realisiert bzw. für 2001 sogar ein Überschuß angestrebt werden: Ziel der Haushaltseckwerte von Juni 97 waren, wie dargelegt, Einsparungen von 98-2000 bis zu 50 Mio DM.

Die Haushaltsprognose von April 98 für 99/2001, wie sie oben in der Grafik dargestellt ist, gibt dennoch Anlaß zur Zuversicht. Danach hätten wir 2001-und d.h. erstmals seit 20 Jahren-die Möglichkeit, aus Überschüssen des Verwaltungshaushaltes neben der Schuldentilgung in größerem Umfang Finanzmittel für soziale-ökologische Projekte in den 10 Stadtteilen zu einzusetzen.

Notwendiger Bestandteil der Strukturreform sind letzten Endes eine Vielzahl von Organisationsänderungen,

· Ausgliederungen und Umorganisationen von Betriebseinheiten usw., die umgesetzt und deren erwartete Synergien in die Budgetplanung bis zum Jahr 2001 einfließen.

· Wichtigster Motor der Reform sind die MitarbeiterInnen und sie werden es bleiben, indem sie mehr und mehr selbstverantwortlich Steuerungsaufgaben übernehmen.

Die Fülle von unmittelbar budgetwirksamen und zugleich qualitätssteigernden Vorschlägen aus den neu geschaffenen Bereichen überrascht. Das beweist, welche persönlichen Potentiale in der Stadtverwaltung schlummern und mit welcher Energie und Qualität sich MitarbeiterInnen einbringen, wenn man sie nur endlich eigenverantwortlich und selbstbewußt handeln läßt.

Verwaltungsstrukturreform in Lübeck ist nach alledem kein Sparprogramm, sondern gibt die Chance, Demokratie für die Stadt wiederzugewinnen. Lübeck wird mit seinem Reformprojekt und mit der Methode wie unsere Stadt dieses Ziel anstrebt, Erfolg haben. Das Ziel der Lübecker Kommunalpolitik muß es sein, eine Stadt zu schaffen, in der sich alle wohlfühlen: die Gesunden und die Kranken, die Jungen und die Alten, die Starken und die Schwachen, die Inländer, kurz eine Europäische Hansestadt." +++