In einer ersten Analyse der Wahlergebnisse vom Sonntag stellt Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller eine erfreuliche Entwicklung in der Hansestadt Lübeck fest. "Das positivste Ergebnis ist, daß die Neofaschisten nicht in die Bürgerschaft eingezogen sind", sagt er im Rückblick auf die Kommunalwahl vom 22. März. "Allen Lübeckern und Lübeckerinnen, die sich vehement dafür eingesetzt haben, daß der braune Pöbel in Lübeck keine Chance erhält, ist zu danken."
Das Bündnis Rechts für Lübeck (BRL) - ein Zusammenschluß von verschiedenen rechtsextremen Gruppierungen - hat zwar 0,5 Prozent verloren. Bouteiller weist aber darauf hin, daß sie ihre Stimmenzahl dennoch um 140 von 3393 auf 3533 Stimmen steigerten.
Insgesamt, so Bouteiller in seiner Analyse, sei die Lage in Lübeck übersichtlicher geworden. "Die Verantwortlichkeit der politischen Kräfte in der Stadt ist für die nächsten fünf Jahre deutlich zurechenbar: Rot-Grün-Schwarz, die Grauen und Gelben fehlen." Ausdrücklich lobte Bouteiller in diesem Zusammenhang die Wählerinnen und Wähler, die am Sonntag ihre Stimme abgegeben haben. Diesen Wahlbürgerinnen und Wahlbürgern würden die Belange des Gemeinwesens derart am Herzen liegen, daß sie es als ihre vornehmste Pflicht angesehen hätten, bei der wichtigsten Entscheidung im kommunalen Leben, der Kommunalwahl, an die Urnen zu gehen.
Im Ergebnis hätten die Wähler einen klaren Auftrag zur Fortsetzung der bisherigen politischen Konstellation SPD-Grüne erteilt. "Den Gruppierungen und Parteien rechts von der Mitte, also CDU, F.D.P., Statt-Partei, WIR, BRL, ist es nicht gelungen, erfolgreich eine politische Alternative aufzuzeigen", sagte Bouteiller. Dies bedeutet, daß der Wunsch zur Fortsetzung der politischen Inhalte links von der Mitte außerordentlich stabil sei, trotz aller Einbrüche nun schon seit zwölf Jahren bestehe. Eine Fortsetzung für weitere fünf Jahre bedeute für Lübeck denn auch Erstaunliches. "Es ist ein klarer Auftrag nach politischer Gestaltung im Sinne einer Kombination von rot-grünen Inhalten, der nun schon für einen Zeitraum von 17 Jahren vorliegt.
Die Zugewinne der CDU von 2582 Stimmen gegenüber 1994 bedeuten nach Ansicht des Lübecker Verwaltungschefs, daß sich diese Partei wieder stabilisiert habe. "Sie hat ihre Abspaltungen überwunden". 1994 hatte die SPUK 3960 Stimmen und 3,6 Prozent. "Gleichwohl hat die CDU es nicht vermocht, die SPD als stärkste Fraktion abzulösen, geschweige denn die absolute Mehrheit der Mandate zu erwerben", so Bouteiller.
Zu den Verlusten der SPD sagte Bouteiller: "Das schlechteste Ergebnis der kreisfreien Städte bei der Kommunalwahl 1998 für die SPD in Schleswig-Holstein hat Flensburg. Prozentual bedeutet das: Lübeck hat 0,07 Prozent verloren, Flensburg 0,3 Prozent."
Prozentzahlen seien jedoch relativ. Es lohne, auf die absoluten Zahlen zu sehen. Die SPD in Lübeck hat 494 Stimmen verloren, die SPD in Flensburg 2433. Setze man diese Zahlen ins Verhältnis zur Zahl der Wahlberechtigten - 172 000 in Lübeck gegenüber
68 000 in Flensburg - lasse sich unschwer erkennen, was das wirklich bedeute.
Ein Vergleich der SPD von 1990 bis 1998 in den vier kreisfreien Städten ergibt laut Bouteiller folgendes aufschlußreiches Bild:
Jahr/Stadt 1990 1994 1998 gesamt Kiel 60 859 47 791
= 47 541
= - - 13 068 - 13 068 241 Lbeck 49 186 45 265
= - 40 351
= - 8835 3921 - 4914 Flensburg 16 908 14 907
= - 12 474
- - 4434 2001 2433 Neumnster 19 593 17 146
= - 17 705
= + - 1886 2447 561
Setze man die SPD-Verluste in Beziehung zur Größe der jeweiligen Stadt beziehungsweise der Zahl der Wahlberechtigten heiße das:
1. Kiel -7,10 Prozent 2. Flensburg - 6,44 Prozent 3. Lübeck - 5,12 Prozent 4. Neumünster - 2,92 Prozent"Lübeck liegt damit hinsichtlich der tatsächlichen und nachhaltigen Verluste von SPD-Wählern und Wählerinnen seit den Einbrüchen 1994 für die Ratsversammlungen in den kreisfreien Städten an dritter Stelle. Die Ursachen für die Einbrüche der SPD in den kreisfreien Städten sind meines Erachtens nur teilweise aus spezifischen örtlichen Lagen heraus zu erklären", sagte Bouteiller. Die Verluste lägen tiefer in den gesellschaftlichen Milieus und Strukturen und deren Reaktion auf die gegenwärtige Politik und umgekehrt. Ein erfolgversprechender Erklärungsansatz liegt im Konzept des "social capital", das heißt in der These vom abnehmenden sozialen Kapital und sozialen Bindungen in städtischen Gesellschaften",meinte der Bürgermeister.
Kiel habe nach dem großen Einbruch 1994 nicht eine einzige Stimme zurückgewonnen, sondern im Gegenteil 1998 weitere Stimmen verloren. Flensburg habe, wie Lübeck, zweimal eine große Zahl von Stimmen verloren. Neumünster habe 1994 kräftig verloren, aber 1998 als einzige kreisfreie Stadt diesen Trend umgekehren können (+ 561), wenn auch beileibe nicht die absoluten Verluste ausgleichen können.
"Besieht man sich die Anzahl der SPD-Mandate, so haben Kiel und Neumünster kräftig zugelegt. Beide Städte haben aber paradoxerweise nur von der schlechten Wahlbeteiligung profitiert: Kiel 53,6 Prozent, Neumünster 52,8. Flensburg hat mit 53,2 Prozent ein Mandat verloren, während Lübeck das Ergebnis von 1994 gehalten hat", analysierte Bouteiller.
Zur Wahlbeteiligung sagte Bouteiller: "Im Vergleich zu den anderen kreisfreien Städten liegt die Wahlbeteiligung in Lübeck mit 57,2 Prozent zwar um rund fünf Prozent höher. Sie bleibt aber auf bei Kommunalwahlen der Vergangenheit üblichem `Lübecker Niveau', das heißt um rund 5 Prozent unter Landesdurchschnitt". Eine Erklärung für die höhere Wahlbeteiligung im Vergleich zu den kreisfreien Städten könne in dem Mobilisierungseffekt spezifischer Lübecker Faktoren in dieser Kommunalwahl liegen.
Auf die Frage, ob sich die vorangegangene Direktwahl in Neumünster und Kiel auf die dortigen niedrigen Wahlbeteiligungen ausgewirkt haben könnte, sagte Bouteiller: "Eher nein, denn in Flensburg, der drittgrößten Stadt, fand keine Direktwahl statt und gleichwohl liegt die Wahlbeteiligung dort auf dem Niveau von Kiel und Neumünster."
Die Frage, ob die SPD hätte zulegen und etwa die absolute Mehrheit erreichen können, wies Bouteiller als "reine Spekulation" zurück. "Wer sich die Mühe macht, nicht nur vorschnell und mit bestimmten Interessen aus der Momentaufnahme heraus die Wahl zu betrachten, der sieht, daß die absolute Mehrheit der Mandate bei Kommunalwahlen in Lübeck zu gewinnen sehr schwer ist.Es gab sie hier 1946, 1948, 1966 und 1970 für die SPD und 1974 und 1982 für die CDU. Das heißt für die CDU zuletzt vor 16 Jahren, für die SPD vor 28 Jahren", sagte Bouteiller. +++