Vorlage - VO/2024/13415  

Betreff: 5. Regionaler Nahverkehrsplan - Verkehrswendeszenario
Status:öffentlich  
Dezernent/in:Senatorin Joanna Hagen
Federführend:5.610 - Stadtplanung und Bauordnung Bearbeiter/-in: Stolte, Christian
Beratungsfolge:
Senat zur Senatsberatung
Bauausschuss zur Kenntnisnahme
07.10.2024 
21. Sitzung des Bauausschusses zur Kenntnis genommen / ohne Votum   
Ausschuss für Umwelt, Sicherheit und Ordnung zur Kenntnisnahme
19.11.2024 
9. Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Sicherheit und Ordnung mit Polizeibeirat      
Wirtschaftsausschuss und Ausschuss für den "Kurbetrieb Travemünde (KBT)" zur Kenntnisnahme
14.10.2024 
10. Sitzung des Wirtschaftsausschusses und Ausschuss für den "Kurbetrieb Travemünde (KBT)" zur Kenntnis genommen / ohne Votum   
Hauptausschuss zur Kenntnisnahme
15.10.2024 
21. Sitzung des Hauptausschusses zur Kenntnis genommen / ohne Votum   
Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zur Kenntnisnahme
28.11.2024 
11. Sitzung der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck in der Wahlperiode 2023 - 2028      

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
Anlage 1_Verkehrswendeszenario

Beschlussvorschlag


 

Derzeit wird der 5. Regionale Nahverkehrsplan (RNVP) erstellt und in den politischen Gremien behandelt. Dieser schreibt den 4. RNVP nur zum Teil fort, entwickelt ihn aber in einem Kernpunkt auch komplett neu mlich dem Busliniennetz. Es soll hierdurch der Weg frei gemacht werden für fundamentale Verbesserungen im ÖPNV. Dies soll insbesondere durch sogenannte „Pull-Maßnahmen“ erfolgen also Maßnahmen, die durch verbesserte Angebote Menschen dazu bewegen, den Umweltverbund stärker als bisher zu nutzen. Dazu wurden in den letzten Jahren bereits erste Schritte umgesetzt, wie z.B. die Anbindung des Bahnhaltepunktes Moisling, die Einführung des „beck-Takts“ auf einigen ausgewählten Hauptrelationen oder die Angebotserweiterung der Linie 40 entlang der Lübecker Bucht.

 


 


Begründung

 

Verfahren

 

In der VO 2020 / 09617 sowie der VO 2021 / 10558-08-01 wurden für den neuen Verkehrsentwicklungsplan (VEP) und den 5. RNVP folgende Rahmenbedingungen in einem Grundlagenbeschluss gestellt:

-          den Modal Split für ÖPNV gemäß Grundlagenbeschluss für den Verkehrsentwicklungsplan von derzeit 11 % auf 20 % zu erhöhen

-          Einrichtung von 10-Min.-Taktachsen („beck-Takt“)

-          Einführung eines Integralen Taktfahrplans (ITF)

Das im Rahmen des RNVP erstellte neue Busnetz soll zudem Eingang in den VEP finden, der ein integriertes Zielkonzept für alle Verkehrsträger darstellt und derzeit ebenfalls erstellt wird.

Da absehbar war, dass mit dem neuen Busnetz für den 5. RNVP der Modal-Split-Zielwert von 20 % noch nicht erreicht wird, wurde ein Zusatzauftrag an das Planendenkonsortium (Ramboll, GGR und Urbanus) erteilt. Im Rahmen eines „Verkehrswendeszenarios“ sollte aufgezeigt werden, ob und wie mit einem reinen Busverkehrssystem der Zielwert von 20 % erreichbar ist. Maßgabe sollte dabei allerdings sein, dass der Zielwert nicht zwingend mit allen Mitteln erreicht werden soll, sondern nur Maßnahmen zum Tragen kommen, die fachlich vertretbar sind und in einem angemessenen Nutzen-Kosten-Verhältnis stehen. Es sollte damit also letztlich auch die Frage beantwortet werden, welchen Modal-Split-Anteil man realistischer Weise erreichen kann.

 

 

Methodik und Zielnetz

 

Das Busnetz des Verkehrswendeszenarios stellt keine reine Fortentwicklung des neuen Netzes aus dem 5. RNVP dar, sondern enthält auch weitere grundlegende Neuerungen.

 

Analog zu den Betrachtungen für eine mögliche Straßenbahn wurden die größten Nachfragepotentiale zwar vor allem auf den Radialkorridoren zur Innenstadt ermittelt. Durch die Weiterentwicklung konnte aber auch verdeutlicht werden, dass in Lübeck mehrere tangentiale Achsen bestehen, auf denen sich ein dichtes Angebot mit Takten von 10 Minuten und dichter aus Nachfragesicht als zielführend erweist und aus Kapazitätsgründen auch notwendig ist. Auch eine Entzerrung der Fahrgastströme durch Expressfahrten bietet sich aufgrund der teils polyzentrischen Anordnung von Nachfrageschwerpunkten an und wird im Konzept daher für einzelne Abschnitte empfohlen.

 

Dieses Zielnetz wurde iterativ erstellt und erzielt eine möglichst optimale Balance zwischen Leistungsausweitungen und Fahrgastwachstum. Verkehre wurden auf den einzelnen Trassen so lange verdichtet, bis bei der Überprüfung der Nachfrageeffekte mit dem städtischen Verkehrsmodell eine Sättigung feststellbar war, bei der trotz höherem Takt keine Fahrgaststeigerung mehr eingetreten ist.

 

Das entwickelte Zielnetz aus Metrobussen, Expressbussen und weiteren Linien ist der Abb. 1 zu entnehmen, soll an dieser Stelle aber nicht näher beschrieben werden. Grund ist, dass das Verkehrswendeszenario einen eher theoretischen Ansatz darstellt, der aufzeigen soll, ob die Ziele für den ÖPNV in Lübeck erreichbar sind. Eine mittelfristige Umsetzung ist nicht realistisch. Als ersten wirksamen Schritt zu einer Verkehrswende ist zunächst das neue Netz für den 5. RNVP zu beschließen.

Abbildung 1: Zielnetz

 

Die dargestellten Maßnahmen würden zu einer beachtlichen Steigerung der täglich mit dem ÖPNV zurückgelegten Wege von derzeit 73.300 auf 103.500 im Lübecker Binnenverkehr und von derzeit 194.732 auf 242.063 in der gesamten Region Lübeck (Bedienungsgebiet von SWL Mobil) führen. Der Modal-Split-Anteil kann dadurch auf 16 % erhöht werden. Die dafür zurückgelegten Wagenkilometer steigern sich dabei allerdings um 117 % auf 67.000 km. Es müssen demnach im Vergleich zu heute voraussichtlich mehr als doppelt so viele Busse und Fahrer:innen eingesetzt werden. Dies verdeutlicht, dass bezogen auf die Fahrgaststeigerungen stets überproportional viel Mehrleistung erbracht werden muss. Demnach würde bereits eine Steigerung des Modal-Split-Anteils auf 16% erhebliche Aufwendungen notwendig machen bei einer nur beschränkten Aufnahmefähigkeit des Netzes für weitere Verkehre.

 

 

Begrenzende Faktoren des Szenarios

 

Wie dargestellt lag auch beim Verkehrswendeszenario der Fokus rein auf sog. „Pull-Maßnahmen“. Flankierende Maßnahmen bei anderen Verkehrsträgern, die den Busverkehr stärken, wurden nicht unterstellt (Bsp. Mobilitätsstationen). Auchnnten beispielweise Veränderungen beim Motorisierten Individualverkehr (MIV) durch Änderung der Fahrgeschwindigkeiten, Fahrspuren oder Fahrmöglichkeiten, eine Erhöhung von Parkgebühren oder eine Konzentration des Parkens an dezentraleren Orten („Push-Maßnahme“) dazu führen, dass das Reisezeitverhältnis zwischen ÖPNV und MIV sich verändert und noch mehr Menschen bereit sind, Teile ihrer Wege mit dem ÖPNV abzuwickeln. Derartige Maßnahmen wirken sich erwiesenermaßen positiv auf die Nutzung des Umweltverbundes aus, sind aber aus Sicht der Stadtplanung derzeit politisch konfliktbehaftet und nicht lohnenswert: Bereits mit den Angebotsmaßnahmen des Verkehrswendeszenarios ist die Auslastung der Busse im Zulauf auf die Innenstadt sehr hoch. Weitere Fahrgäste können nur in einem begrenzten Rahmen aufgenommen werden. Dem Einsatz weiterer Busse stehen die Streckenkapazitäten, insbesondere in der Innenstadt, entgegen. Eine weitere Belegung der Innenstadtstrecken ist nur schwer vorstellbar. Mehr Busverkehr als im Verkehrswendeszenario unterstellt kann die Innenstadt ohne erhebliche bauliche Eingriffe (z. B. eine zusätzliche Querung der Stadttrave) nicht aufnehmen.

 

Ab einem gewissen Grad kann sich der Busverkehr auch städtebaulich negativ auswirken, wenn ein dichter Busverkehr zusätzliche trennende Wirkungen entfalten oder lange Mehrfach-Bushaltestellen das Stadtbild negativ beeinflussen.

 

Eine Erhöhung der Kapazitäten ist grundsätzlich durch den Einsatz von Doppelgelenkbussen denkbar. Der Einsatz dieser Fahrzeuge hätte ebenfalls erhebliche Eingriffe in die Verkehrsinfrastruktur zur Folge (z. B. Gewährleistung der Kurvenradien, längere Haltestellen etc.). Die Kapazität des ÖPNV ist auf einigen Hauptachsen zur Hauptverkehrszeit daher nur noch bedingt aufnahmefähig für weitere Fahrgäste, wenn nur normale Gelenkbusse eingesetzt werden können.

 

Zusammenspiel 5. RNVP (VO/2024/13416), „Verkehrswendeszenario“ und Potenzialanalyse Straßenbahn (VO/2024/13418)

 

Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass grundsätzlich eine deutliche Steigerung der Fahrgastzahlen im ÖPNV auch mit reinen Angebotsverbesserungen im Busverkehr erzielbar ist. Der Modal-Split-Anteil von 16 % ist allerdings wahrscheinlich nicht steigerbar. Somit ist der 20 %-Zielwert mit einem reinen Busverkehrssystem nicht erreichbar.

 

Das parallel bearbeitete Straßenbahngutachten kommt in der aufgezeigten Form mit den vier unterstellten Straßenbahnlinien und Busergänzungsnetz auf einen ÖPNV-Modal-Split-Anteil nach Wegen von 15,4 %. Nicht zuletzt aufgrund dieses unerwartet geringen Wertes empfiehlt die Verwaltung, keine weiteren Schritte Richtung Straßenbahn zu verfolgen (vgl. VO 2024 13418).

 

Aber sollte damit das Verkehrswendeszenario jetzt so umgesetzt werden? Das Szenario stellt den abstrakten Nachweis dafür dar, wie weit man mit einem Busnetz in Lübeck kommen kann. Auf dem Weg hin zu einem optimalen Bussystem wird empfohlen, zunächst das im Rahmen des 5. RNVP entwickelte Netz umzusetzen. Danach können sukzessive weitere Schritte im Sinne des Verkehrswendeszenarios angegangen werden. Ob es möglich ist, 20 % Modal-Split-Anteil für den ÖPNV in Lübeck letztlich zu erreichen, ist derzeit damit aber offen.

 

Nicht zuletzt deswegen ist seitens der Verwaltung geplant, auch zusätzliche Anstrengungen in Richtung einer Regio-S-Bahn zu unternehmen.

 


 


Anlagen

 

Anlage 1: Verkehrswendeszenario
 

Anlagen:  
  Nr. Status Name    
Anlage 1 1 öffentlich Anlage 1_Verkehrswendeszenario (2046 KB)