Vorlage - VO/2023/12830-02  

Betreff: Beantwortung der Anfrage von AM Michelle Akyurt (CDU), Mandy Siegenbrink (Grüne), Axel Flassbarth (Grüne), Thorsten Fürter (FDP): Sicherstellung KITA-Betreuung (VO/2023/12830)
Status:öffentlich  
Dezernent/in:Senatorin Monika FrankBezüglich:
VO/2023/12830
Federführend:4.041.3 Finanzielle Förderung der Kindertagesbetreuung Bearbeiter/-in: Beesel, Sven
Beratungsfolge:
Senat zur Senatsberatung
Hauptausschuss zur Kenntnisnahme
23.01.2024 
8. Sitzung des Hauptausschusses zur Kenntnis genommen / ohne Votum   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlage/n

Beschlussvorschlag

Beantwortung der Anfrage von AM Michelle Akyurt (CDU), Mandy Siegenbrink (Grüne), Axel Flassbarth (Grüne), Thorsten Fürter (FDP): Sicherstellung KITA-Betreuung (VO/2023/12830)


Begründung

 

1. Beantwortung:

 

1)    Welche Erkenntnisse hat der Bürgermeister über aktuelle Teil- und Vollschließungen von Kinderbetreuungseinrichtungen im allgemeinen und von städtischen Kitas im Besonderen?

Bei den städtischen Einrichtungen gibt es aktuell keine Vollschließungen. Es sind 33 Fehlarbeitstage auf 235 Jahresöffnungstage bei städtischen Einrichtungen verzeichnet (durchschnittliche Fehlarbeitstage pro Jahr pro Mitarbeitendem). Eine Abfrage der freien Tger ist zum Stichtag 29.03.2024 geplant.

 

2)    Wie wirken sich Teil- und Vollschließungen von Kitas auf die von Seiten der Stadt gewährten Budgets aus?

Eine Rückforderung von Fördermitteln unterbleibt gemäß § 35 KiTaG, wenn die außerplanmäßige Schließung auf einen Personalausfall zurückzuführen und nicht mit einem finanziellen Vorteil des Einrichtungsträgers verbunden war, die Einrichtung über eine dem Personalbedarf nach § 37 Absatz 2 entsprechende Ausstattung mit Fachkräften verfügt hat und die Dokumentation des Einrichtungsträgers vollständig und plausibel ist. Da dies in der Regel der Fall ist, wirken sich die Schließungen nicht auf die geleisteten Budgetzahlungen aus.

 

3)    Mit welchen Maßnahmen beabsichtigt die Verwaltungsspitze die Betreuungssituation in städtischen Kitas kurzfristig wieder sicherzustellen?

r die städtischen Kindertageseinrichtungen läuft je eine Dauerausschreibung für Erzieher:innen und SPAs. Vorsorglich sind alle zwei Wochen Vorstellungsgespräche angesetzt. Die Hansestadt Lübeck bildet selbst aus und bindet Fachkräfte langfristig, so dass sie i.d.R. nach einer Elternzeit die Tätigkeit wiederaufnehmen. Wir ermöglichen unseren Fachkräften Aufstieg und Weiterbildung.

 

4)    Gibt es eine Task-Force der Verwaltung, die das Problem von Teil- und Vollschließungen

von Kinderbetreuungseinrichtungen bearbeitet?

Angesichts der geschilderten Lage zum Fachkräftemangel hat der Fachbereich 4 der HL im ersten Quartal 2022 die AG Fachkräfte der AG nach § 78 SGB VIII gemeinsam mit den freien Trägern einberufen, welche jedoch an die Grenzen der eingangs erläuterten Zuständigkeiten der Kommune geriet. Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung für „Aufwachsen in Lübeck“ werden gemeinsam verabredet.

Eine Task-Force wäre hilfreich und zielführend, wenn die ursächlichen Probleme kommunal in der HL gelöst werden könnten. Das können sie aber nicht, weil sich Bund, Land, kommunale Spitzenverbände, Spitzenverbände der Träger, Gewerkschaften/Interessen- Fachverbände der Beschäftigten hinsichtlich der Standards für eine Fachkräfteausstattung bei Fachkräftemangel nicht einigten sowie keine bedarfsdeckende Offensive von Bund und Land für die Ausbildung zu erkennen ist.

Damit fehlt es an Handlungsmöglichkeiten für die HL und die hier tätigen Träger.

 

2. Erläuterungen:

 

Ursächlich für abweichende/verkürzte Betreuungszeiten oder gar Schließungen von Gruppen/Kindertageseinrichtungen ist weit überwiegend der Umstand, dass in einer Einrichtung beim Träger akut nicht ausreichend Fachkräfte vorhanden sind, um den Betrieb aufrecht zu erhalten; sehr vereinzelt führen Baumängel zu kurzfristigen (Teil-)Schließungen. Im Zuge von Infektionswellen, denen die Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen in besonderem Maße ausgesetzt sind und somit in einer deutlich verjüngten Belegschaft auch deren eigene Kinder, kommt es hier vor allem in den Wintermonaten zu häufigeren Ausfällen.

Welche Mindestbesetzung bzw. zeitlich befristeten Ausnahmen von vorgegebenen Betreuungsschlüssel für die Aufrechterhaltung des Betriebs aller Gruppen erforderlich ist, regelt § 26 Kindertagesförderungsgesetz Schleswig Holstein (KitaG)[1] in Verbindung mit § 28 KitaG[2].Die Einrichtungsträger sowie die HL als örtlicher Träger der Kinder- und Jugendhilfe haben diesbezüglich keinen Entscheidungsspielraum, denn die Norm ist als „Muss“-Vorschrift formuliert, und zeitlich befristete Ausnahmen vom generellen Betreuungsschlüssel benötigen der Zustimmung durch das Landesjugendamt.

Die Fachkräfte in den Einrichtungen sind ebenfalls auf Planungssicherheit hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf angewiesen. Die Träger der Kindertagesförderung in der HL sowie ihre Einrichtungsleitungen gehen äerst umsichtig sowie verantwortungsvoll mit solchen Engpässen um und suchen gemeinsam mit den Fachkräften und den Familien realisierbare Lösungen.

Hintergrund für Betreuungsausfälle in Kindertageseinrichtungen ist der bei den sozialpädagogischen Fachkräften (in Kindertageseinrichtungen vor allem sozialpädagogische Assistent:innen und Erzieher:innen in geringerem Umfang Heilpädagog:innen/ Heilerziehungspfleger:innen sowie Sozial- und Kindheitspädagog:innen) bereits seit einem Jahrzehnt bestehende, sich aber erheblich verschärfende Fachkräftemangel, infolgedessen seit Jahren ständig Vakanzen zu überbrücken sind. Ausgelöst wurde dieser durch die Ausbausituation aufgrund der Ausweitung von Rechtsansprüchen, eine höhere Inanspruchnahme der Kindertagesförderung durch die Familien und über mehrere Jahre gestiegene Kinderzahlen vor allem in Städten. Durch den Rechtsanspruch auf Nachmittagsbetreuung für Schulkinder wird die angespannte Situation weiter verschärft, während gleichzeitig die Zahl der Abgänger:innen an allgemeinbildenden Schulen kontinuierlich sinkt, so dass jungen Menschen viele Berufe und Wege in den Beruf offenstehen, mit denen die Kindertagesförderung als Arbeitsplatz konkurriert. Zu Beginn des Fachkräftemangels angewandte Maßnahmen wie Springerpools oder der Einsatz von Zeitarbeitskräften lassen sich von den Trägern kaum noch umsetzen, weil hierfür ebenfalls keine Fachkräfte zur Verfügung stehen bzw. diese sehr schnell in feste Stellen wechseln. Mitten im Ausbildungsjahr lassen sich außerdem keine zusätzlichen Fachkräfte mehr gewinnen.

Grundsätzlich findet die Ausbildung der Fachkräfte für Kindertageseinrichtungen weit überwiegend an Fachschulen statt, ist also Angelegenheit des Landes, ebenso wie sonstige Zugänge zu den benannten Berufen landesrechtlich geregelt werden. Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in den Berufen der Kinderbetreuung ist in den letzten Jahren deutschlandweit mit rund 50 Prozent überdurchschnittlich gestiegen. Die Ausbildungskapazitäten und die Zahl der tatsächlich in Kindertageseinrichtungen tätigen Fachkräfte hat sich in Schleswig-Holstein erheblich erhöht, ohne dass der Bedarf gedeckt werden konnte. Die Anzahl des Pädagogischen, Leitungs- und Verwaltungspersonals ist in Lübeck in den letzten 10 Jahren um 36 Prozent angestiegen. Ebenso wurden die Ausbildungskapazitäten der Lübecker Berufsschule deutlich ausgebaut um dem Fachkräftebedarf gerecht zu werden.

Das in Schleswig-Holstein seit 2017/2018[3] eingeführte Instrument der „Praxisintegrierten Ausbildung (PIA)“ wurde auch in Lübeck umgesetzt. Es wird seitens der Träger durchgängig positiv bewertet, allerdings besteht (auch überregional) die Einschätzung, dass hiermit kaum/nicht in größerem Umfang zusätzliche Fachkräfte gewonnen werden, sondern eher eine Priorisierung von entlohnter Ausbildung zu verzeichnen ist. Diese macht den Beruf zweifelsohne attraktiver, aus kommunaler Sicht ist allerdings kritisch anzumerken, dass für PIA lediglich eine Anschubfinanzierung des Landes (siehe Richtlinie Punkt 1)[4] gewährt wird, also eine Verlagerung der Ausbildungskosten zulasten kommunaler Haushalte stattfindet. Wünschenswert wäre eine Werbungs- und Qualifizierungsoffensive der Bundesagentur für Arbeit bzw. der Jobcenter, welche kommunal/regional nicht gesteuert werden kann.

Den Erfahrungen der letzten 15 Jahre (Beginn des auf Bundesebene initiierten Monitorings zum Fachkräftebedarf in den Bundesländern) lassen allerdings nicht vermuten, dass die eingeleiteten Maßnahmen der verantwortlichen Stellen ausreichen werden. Dies zeigt sich auch in folgendem Kommentar der Bertelsmann Stiftung, wo es heißt:

Schließlich können in den KiTas vorhandene Stellen in zunehmendem Maße nicht besetzt werden, da der Fachkräfte-Bedarf höher ist als das Angebot. Hohe Krankheitsraten des KiTa-Personals wirken sich ebenfalls verschlechternd auf die Personalbesetzung in den KiTas aus, zumal oftmals Vertretungskräfte nur eingeschränkt vorgesehen bzw. vorhanden sind. Für Kinder und Eltern bedeutet dies, dass Betreuungszeiten immer wieder oftmals sehr kurzfristig reduziert oder auch Gruppen zeitweise geschlossen werden müssen. Dies ist nicht nur insbesondere für Familien, die auf die Betreuung der Kinder in den KiTas angewiesen sind, um ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können, äerst problematisch; es hat auch Auswirkungen auf die Arbeitsmärkte, in denen die Eltern berufstätig sind.“[5]

Es handelt sich also um ein bundesweites Problem. Schlaglichter zur Entwicklung aus 2023 sind:

  • Niedersächsischer Städtetag beklagt dramatischen Fachkräftemangel in den Kindertagesstätten und fordert längerfristige Anpassung der Standards.[6]
  • In Bremen können 39 Gruppen mit über 600 Plätzen wegen Personalmangels nicht öffnen.[7]

 

Verglichen damit ist die Lage in der HL zwar angespannt, aber die Träger der Kindertageseinrichtungen halten das Angebot weitgehend aufrecht.

Als ausschlaggebend für den Fachkräftemangel werden vor allem die Arbeitsbedingungen betrachtet. Zwar haben die Tarifparteien in den vergangenen 1,5 Jahrzehnten vergleichsweise beachtliche (monetäre) und angesichts der gestiegenen Anforderungen (frühkindliche Bildung statt Betreuung) Verbesserungen für die Beschäftigten in den Kindertageseinrichtungen vereinbart, zwar haben die Bundesländer die Personalausstattung und somit Verfügungszeiten etc. insgesamt erhöht, die Ausbildungskapazitäten erweitert und die Zugangsvoraussetzungen abgesenkt/diversifiziert. Aber: Gleichzeitig ist auch die Zahl derjenigen angestiegen, die die Ausbildung abbrechen oder den Beruf sehr schnell wieder verlassen. Laut dem Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung wird der Arbeitsplatz Kita überproportional häufig bereits im ersten Jahr der Beschäftigung gekündigt nur rund zwei Drittel der Einsteiger überstehen die ersten zwölf Monate. Nach zehn Jahren sind dann gerade mal 50 Prozent im Job verblieben, bei den Männern sogar nur 30 Prozent.[8]

Dies zeigt sich ebenfalls am Lübecker PIA Ausbildungsjahrgang 2021. Hier fördert die Hansestadt Lübeck nach Bürgschaftsbeschluss vom 25.06.2020 die gesamten Aufwendungen für die Ausbildungsvergütungen über alle drei Ausbildungsjahre. Das Land fördert lediglich das erste Ausbildungsjahr. Von den hierbei ursprünglich 30 angemeldeten Plätzen sind im dritten Ausbildungsjahr 2024 nur noch 12 aktiv.

Weiterhin sind die Krankheitstage pro Jahr bei den einschlägigen Fachkräften wie in allen pädagogischen Berufen um etwa 1/3 höher, als im Durchschnitt (rund 30 Tage/Jahr im Verhältnis zu rund 20).

hrend die Eltern und ihre Arbeitgeber:innen flexible, ausgeweitete Öffnungszeiten und Verlässlichkeit erwarten, haben die vergleichsweise jungen (und überwiegend weiblichen) Fachkräfte in den Kindertageseinrichtungen die gleichen Erwartungen an eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. eine „Work-Life-Balance“, wie alle Familien. In einer Situation des Fachkräftemangels für die Kindertagesbetreuung kollidieren Erwartungen der Familien und Arbeitgeber mit den Wünschen und Lebensplanungen der Beschäftigten in den Kindertageseinrichtungen. Die Ansprüche der Familien und der Gesellschaft/Politik in Richtung Qualitätsverbesserung in der Kindertagesförderung (zugleich Erwartung an die und Wunsch der Fachkräfte) kollidiert mit dem Umstand, dass diese nur mit bis auf weiteres gar nicht verfügbarem Personal zu realisieren wären. Dies führt auf Seiten der Fachkräfte zu einem Missmatch zwischen Erwartungen an die Berufsausübung und der eigenen beruflichen Identität, Motivation bzw. Zielvorstellung. Die Ausrichtung der Ausbildung auf frühkindliche Bildung ist richtig, lässt sich aus Sicht der im Arbeitsfeld neu Einmündenden aber gar nicht realisieren, weil dafür in Zeiten von Fachkräftemangel mit Vakanzen und temporären Notsituationen zu wenig Spielraum vorhanden ist.

Die Familien trifft dies in einer Situation, in der sie nach vollständigem Betreuungsausfall in der Pandemie bereits massiv überlastet wurden, und in der ihre Arbeitgeber infolge des allgemeinen Fachkräftemangels die Anforderungen und Chancen erhöhen.

Gelöst werden kann diese Situation nur durch einen gesamtgesellschaftlichen Konsens zwischen Familien, Arbeitgebenden und politisch Verantwortlichen, in dem Bund, Land und Kommunen nicht einfach fachlich gar nicht zu bestreitende Standards und Ziele ausrufen bzw. gesetzlich fixieren, die von den Kommunen gar nicht umgesetzt werden können und somit zu genau den Konflikten führen, die den Arbeitsplatz Kindertageseirichtung für Fachkräfte jedenfalls nicht attraktiver machen.

Darauf haben die Kommunen bundesweit keinen Einfluss, wie auch die von der AG nach § 78 SGB VIII eingesetzte AG Fachkräfte des JHA der HL nach „Abklappern“ vieler Ideen feststellen musste.

 



Anlagen

keine
 

Stammbaum:
VO/2023/12830   Anfrage von AM Michelle Akyurt (CDU), Mandy Siegenbrink (Grüne), Axel Flassbarth (Grüne), Thorsten Fürter (FDP): Sicherstellung KITA-Betreuung   Geschäftsstelle der CDU-Fraktion   Anfrage
VO/2023/12830-02   Beantwortung der Anfrage von AM Michelle Akyurt (CDU), Mandy Siegenbrink (Grüne), Axel Flassbarth (Grüne), Thorsten Fürter (FDP): Sicherstellung KITA-Betreuung (VO/2023/12830)   4.041.3 Finanzielle Förderung der Kindertagesbetreuung   Antwort auf Anfrage öffentlich