Die „Elbe-Lübeck Leitung“ soll das Umspannwerk Lübeck West auf dem Gemeindegebiet von Stockelsdorf mit einem neuen Netzverbindungspunkt im Herzogtum Lauenburg im Bereich der Elbe verbinden. Das Vorhaben wird entsprechend dem Stand der Technik für 380 kV Drehstromleitungen als Freileitung mit Masthöhen mit rd. 65 Metern Höhe konzipiert. Der Einsatz der Erdkabeltechnik ist nicht möglich, da die entsprechende Rechtsgrundlage auf Bundesebene fehlt. Die Hansestadt Lübeck hat sich bisher verglich für eine entsprechende Regelung auf Landes- und Bundesebene eingesetzt.
Nach der Vorzugsvariante des Vorhabenträgers Tennet TSO GmbH soll die neue Höchstspannungsleitung parallel zu zwei bestehenden 110 kV Leitungen verlaufen. Dies entspricht dem Bündelungsgebot im Sinne der Raumordnung, dass keine neuen unberührten Freiräume zerschnitten werden. Die neue Stromtrasse würde das Lübecker Stadtgebiet in den Bereichen Groß Steinrade, Gewerbegebiet Roggenhorst und Lübeck-Niendorf tangieren. Eine der bestehenden 110 kV Leitungen soll nach den vorläufigen Planungen der Tennet auf dem Mastgestänge der 380 kV Leitung mitgeführt werden. Die Inbetriebnahme der 380 kV Freileitung ist nach dem aktuellen Planungsstand für 2032 anvisiert.
Trassenverlauf auf dem Stadtgebiet der HL
Die Elbe-Lübeck Leitung kommt vom Stadtgebiet Stockelsdorf und trifft westlich der Kreuzung K13 / L332 auf das Lübecker Stadtgebiet, um dann grob dem Korridor der bestehenden 110 kV Leitungen in Richtung Süden zu folgen. Die Trasse verläuft in einem Abstand von rd. 230 m zur Siedlungsfläche von Groß Steinrade. Im weiteren Verlauf überspannen die bestehenden 110 kV Leitungen das Gewerbegebiet Roggenhorst. Die geplante 380 kV Leitung wird das Gewerbegebiet westlich des Landgrabens umgehen und in Richtung Hamberge führen, da ein Überspannungsverbot für Räumlichkeiten besteht, die dauerhaft von Menschen genutzt werden.
Nördlich von Lübeck-Niendorf im Bereich der Traveniederung und des Lehmbecker Waldes trifft die geplante Trasse erneut auf das Lübecker Stadtgebiet. Aufgrund des Überspannungsverbotes soll die 380 kV Leitung westlich um Niendorf herumgeführt werden. Dies führt dazu, dass die Trasse durch den Moorgartener Wald in Richtung Klein Wesenberg an der Siedlung Moorgarten westlich vorbeigeführt wird.
Da die östliche der beiden bestehenden 110 kV Freileitungen auf dem Mastgestänge der geplanten 380 kV Leitung mitgeführt werden soll, werden die Siedlungsbereiche Roggenhorst und Niendorf von einer der beiden bestehenden 110 kV Freileitung entlastet.
Abb.1: Grobübersicht Trassenführung Elbe-Lübeck Leitung
Quelle: eigene Darstellung
Umspannwerk Niendorf
Die auf dem Mastgestänge der Elbe-Lübeck Leitung mitgeführte 110 kV Leitung muss auch zukünftig in das Umspannwerk Niendorf eingeführt werden, da diese für die Stromversorgung der Hansestadt essentiell ist. Daher muss diese Leitung nördlich vom Umspannwerk vom Mastgestänge der Höchstspannungsleitung entkoppelt und in das Umspannwerk sowohl rein- als auch rausgeführt werden (siehe Abb. 2 – blaue Leitung). Die zweite der beiden parallel verlaufenden 110 kV Leitungen ist nicht in das Umspannwerk Niendorf eingebunden, sondern ist ausschließlich mit einer dritten 110 kV Freileitung verknüpft, die in Richtung Neumünster führt (siehe Abb. 2 – lila Leitungen).
Theoretisch sind diese beiden Freileitungen auf dem Stadtgebiet nicht erforderlich bzw. bedeuten eine erhebliche Mehrlänge, da durch die Leitungen zwei Netzverknüpfungspunkte miteinander verbunden werden, die beide westlich der Hansestadt liegen. Der für die 110 kV Leitungen zuständige Netzbetreiber, die Schleswig-Holstein Netz AG hat angekündigt, dass diese Trassen kurz- bis mittelfristig erneuert werden müssen. In diesem Fall wird eine Trassenführung außerhalb des Stadtgebietes geprüft.
Abb. 2: Übersicht Umspannwerk Lübeck-Niendorf
Quelle: Tennet TSO GmbH/ eigene Darstellung
Konflikt UNESCO Welterbe
Der aktuelle Vorzugskorridor der Tennet TSO GmbH könnte aufgrund der Masthöhen von mindestens 65 m erhebliche Auswirkungen auf das UNESCO Welterbe „Lübecker Altstadt“ haben. Die aktuelle Vorzugsvariante der Tennet zerschneidet mehrere essentielle Sichtachsen auf das UNESCO Welterbe (siehe Abb. 3).
Die UNESCO hat die Lübecker Altstadt aufgrund ihrer außergewöhnlichen universellen Bedeutung 1987 als Welterbe anerkannt. Die Silhouette des UNESCO Welterbe ist wesentlicher Bestandteil des sogenannten OUV (outstanding universal value), der maßgeblich zur Anerkennung des Welterbestatus geführt hat. Die Sichtachsen stellen somit ein Hauptattribut des Welterbes dar. Aufgrund der besonderen topographischen Lage auf dem Endmoränenrücken des Lübecker Beckens sind die ggfs. betroffenen Sichtachsen von besonderer Bedeutung. Insbesondere die Blicke aus dem Westen und Südwesten gehören zu den eindrucksvollsten Ansichten auf die Lübecker Altstadt, da alle sieben Türme eine auf dem Altstadthügel ablesbare Silhouette bilden.
Aus Sicht der Welterebekoordination ist hier eine maßgebliche, wesentliche Beeinträchtigung des Denkmalbestandes bzw. des UNESCO-Welterbes gemäß §2 Denkmalschutzgesetz SH (DSchG SH) zu sehen. Eine solch geplante maßgebliche Störung wird eine Auseinandersetzung mit ICOMOS, bzw. der UNESCO nach sich ziehen. Nach Aussage der Tennet TSO GmbH soll keine Korridorvariante vertiefend geprüft werden, bei der es zu keiner erheblichen Beeinträchtigung der Sichtachsen kommt.
Die Tennet TSO GmbH verweist darauf, dass nach §13 Abs.2 Satz 3 Denkmalschutzgesetz SH (DSchG SH) für „Vorhaben, deren energiewirtschaftliche Notwendigkeit und deren vordringlicher Bedarf gesetzlich festgelegt“ wurde, die Genehmigung zu erteilen ist. Durch die Aufnahme des Vorhabens in das Bundesbedarfsplangesetz wurde diese energiewirtschaftliche Notwendigkeit festgelegt. Ein Alternativkorridor, welcher die Sichtachsen umgeht, würde zudem zu einer erheblichen Mehrlänge der Trasse führen, die wiederum zusätzliche Kosten und zusätzliche Eingriffe in private (bspw. Grundeigentum) und öffentliche (bspw. Naturschutz) Belange bedeutet.
Aus Sicht der Verwaltung ist im Hinblick auf eine sachgerechte Abwägung eine Alternative zwingend aufzunehmen und vertiefend zu untersuchen.
Abb. 3: Ausschnitt Sichtachsen auf das UNESCO-Welterbe „Lübecker Altstadt“
Quelle: eigene Darstellung (Grundlage Sichtachsenstudie HL)
Konflikt Waldflächen
Die Hansestadt Lübeck verfolgt im Sinne des Klimaschutzes das Ziel, 100 ha an zusätzlichen Waldflächen aufzuforsten. Die seit langer Zeit geplante Erstaufforstung im Bereich Lübeck-Niendorf ist ein wesentlicher Bestandteil, um dieses Ziel zu erreichen.
Durch die von der Tennet TSO GmbH bevorzugte Variante im Lübecker Raum wird die geplante Neuwaldbildung neben schon vorhandenen Freileitungen der SH-Netz AG noch einmal um etwa 5 ha auf Breiten bis zu 100 Metern durchschnitten. Da die neuen Trassen in West-Ost Richtung verlaufen, die bestehenden in Nord-Süd Richtung, bleibt von der ursprünglich geplanten Neuwaldbildung am Stück auf rd. 50 ha nur noch ein Flickenteppich kleinerer Aufforstungen von etwa 35 ha mit verminderter klimatischer Wirkung übrig.
Daneben sollen bestehende Altwaldbereiche, wie der Moorgartener Wald, und die erst 15 Jahre alte Neuwaldfläche am Wald Lehmbeck komplett mit Schneisenbreiten von bis zu 100 Metern zertrennt werden. Hier würde Wald in der Größe von etwa 15 ha verloren gehen. Die Waldflächen liegen innerhalb des Landschaftsschutzgebietes Trave. Die jüngeren Waldbestände am Lehmbecker Wald und in Moorgarten sind Kompensationsflächen für bereits erfolgte Eingriffe in Wälder auf dem Stadtgebiet.
Forderungen der HL an die Tennet TSO GmbH
Bisher hat die Tennet TSO GmbH die aufgeführten Anregungen und Bedarfe der Hansestadt Lübeck nicht beachtet. Daher wird die vorläufige Vorzugsvariante der Tennet TSO GmbH abgelehnt. Die Verwaltung hat die Tennet TSO GmbH wiederholt aufgefordert, dass zusätzliche Korridorvarianten in Betracht gezogen und vertiefend untersucht werden, um diese wertvollen Bereiche zu schützen und zu bewahren.
Der Einsatz der Erdkabeltechnik könnte zur Konfliktlösung, insbesondere mit dem UNESCO-Welterbe, beitragen. Unter den gegebenen gesetzlichen Rahmenbedingungen ist eine Erdverkabelung für die 380 kV Freileitung jedoch nicht umsetzbar. Daher sollte als eine zusätzliche Alternative ein Korridor geprüft werden, der ausgehend vom Umspannwerk Lübeck parallel zu der bereits in Planfeststellung befindlichen Ostküstenleitung (380 kV-Freileitung) führt und dann weiter in Richtung Süden gelenkt wird. Hierdurch würde die Beeinträchtigung der Sichtachsen zumindest deutlich reduziert. Aufgrund der besonderen Anforderungen an das UNESCO-Welterbe sowie an den Natur- und Landschaftsraum ist die Tennet TSO GmbH dazu aufgefordert Lösungen zu erarbeiten, die den aufgezeigten Belangen gerecht werden.
Falls die Tennet TSO GmbH jedoch an der vorläufigen Vorzugsvariante festhält und seitens der Hansestadt Lübeck keine rechtlichen Möglichkeiten bestehen eine Alternativtrasse einzufordern bzw. durchzusetzen, werden folgende Mindestanforderungen an die Vorzugsvariante der Tennet TSO GmbH gestellt:
Natur und Landschaft
• Mitnahme der 110 kV Leitung auf dem Mastgestänge der 380 kV Leitung und Rückbau der alten Leitung
• Rückbau und Verlagerung der parallel zur 380 kV Leitung verlaufenden zweiten nicht erforderlichen 110 kV Leitung (Zuständigkeit liegt nicht bei der Tennet, sondern bei der SH-Netz AG)
• Eingriffe in Schutzgebiete und gesetzl. Geschützte Biotope vermeiden/ minimieren
• Kompensation der Eingriffe auf dem Stadtgebiet
Wald
• die Zerschneidung von Waldflächen ist auszuschließen
• Einführung eines ökologischen Trassenmanagements durch die Tennet TSO GmbH, wenn eine Zerschneidung von Waldflächen im Einzelfall unvermeidbar ist
• Erstaufforstung von zusammenhängenden Waldflächen im Bereich des Stadtgutes Niendorf ermöglichen durch Optimierung der Leitungsführung
• Freigabe der nicht mehr erforderlichen Stromtrassen für die Erstaufforstung im Bereich Niendorf nach der Verlagerung der nicht erforderlichen 110 kV Leitung (Zuständigkeit liegt bei der SH-Netz AG)
• Kompensation der Eingriffe auf dem Stadtgebiet
Kulturelles Erbe
• Kulturverträglichkeitsprüfung nach den Vorgaben der UNESCO/ ICOMOS (Prüfung des Wider setting) zur Vereinbarkeit des Vorhabens mit dem UNESCO-Welterbe „Lübecker Altstadt“
• Berücksichtigung der bestehenden Denkmäler (Kulturdenkmäler und Schutzzonen)
• Mitsprache der HL bei den Mastformen
• Fachdialog Denkmalpflege (inkl. Fachöffentlichkeit)
Siedlung und Bevölkerung
• Entlastung des Siedlungsgebietes von Niendorf und des Gewerbegebietes Roggenhorst durch die Wegnahme der bestehenden 110 kV Leitungen
• Abstand zur Wohnbebauung erhöhen (Groß Steinrade/ Lübeck-Niendorf/ Siedlung Moorgarten)
• Bürgerbeteiligung: Infoveranstaltung auf dem Lübecker Stadtgebiet
Der Forderungskatalog ist nicht abschließend. Weitergehende Forderungen können sich im weiteren Verfahren und insbesondere im Rahmen der Detailprüfung der Planfeststellungsunterlagen ergeben. Der Forderungskatalog soll im Vorfeld des Planfeststellungsverfahrens an die Tennet TSO GmbH übergeben werden.