Die Begegnungsstätte „Mühle 77“ ist ein Angebot der Diakonie Nord Nord Ost (ehemals Vorwerker Diakonie) aus dem Bereich der niedrigschwelligen Hilfen für Konsumierende legaler Suchtmittel.
Im Rahmen der koordinierten Versorgung suchtkranker Menschen obliegt es in Lübeck der Diakonie Nord Nord Ost den legalen Bereich der niedrigschwelligen Hilfen abzudecken und sie kann in diesem Zusammenhang auf jahrzehntelange Erfahrungen zurückgreifen. Die Anzahl der Betroffenen im Bereich legaler Suchtmittel übersteigt erheblich die Anzahl der Betroffenen mit illegalen Suchtmitteln, auch wenn die gesundheitlichen Folgen oft erst später sichtbar werden.
Sinn und Zweck niedrigschwelliger Hilfen ist es, Menschen mit einer oft langjährigen Suchtproblematik einen Zugang zum Hilfesystem zu ermöglichen, bei dem es keine großen Hürden zu überwinden und kaum Bedingungen zu erfüllen gilt. Der Suchthilfeplan 2021 der Hansestadt Lübeck sagt im Kapitel 5.2 „Niedrigschwellige Hilfen“ dazu: „Dabei geht es nicht unmittelbar um das Erreichen von Suchtmittelfreiheit, sondern zunächst um die Reduzierung der mit dem Substanzkonsum verbundenen Risiken sowie darum, vorhandene Fähigkeiten und Ressourcen (auch bei fortgesetztem Substanzkonsum) zu erhalten und zu stärken.“ *
Die „Mühle 77“ erfüllt diese Voraussetzungen und wird seit Jahren zunehmend von Hilfe suchenden, meist schwerst abhängigen Menschen, aufgesucht.
Die Begegnungsstätte verzeichnete in 2021 monatlich durchschnittlich 200 - 250 Besucher:innen, mittlerweile sind es monatlich knapp 300. Der Frauenanteil liegt bei ungefähr einem Viertel.
Der Zugang zur Begegnungsstätte wird zusätzlich durch die aufsuchende Arbeit der Streetworker:innen der Diakonie Nord Nord Ost erleichtert bzw. überhaupt erst ermöglicht, die die Menschen in der Szene, d. h. an ihren bekannten Treffpunkten, ansprechen und sie in das Angebot z.B. der „Mühle 77“ vermitteln.
Besonders nach der Auflösung des „Krähenteichplatzes“ als Treffpunkt für die Konsumierenden legaler und illegaler Suchtmittel haben die Begegnungsstätten, also auch die „Mühle 77“ an Bedeutung gewonnen, indem die Betroffenen für das Hilfesystem wieder besser erreichbar wurden und dadurch in die vorhandenen sozialen und medizinischen Versorgungsstrukturen vermittelt werden konnten.
Gemäß dem Suchthilfeplan sind grundsätzlich „...niedrigschwellige Hilfen … darauf ausgerichtet, das Leben der Betroffenen zu sichern bzw. eine Verschlechterung ihres Zustands zu verhindern ...“ *
In erster Linie ist hier die Befriedigung der Grundbedürfnisse eines jeden Menschen nach Ernährung, Kleidung, Wohnung und medizinischer Grundversorgung zu nennen, ohne die jeder Versuch, weiterführende Hilfen anzubieten, nahezu aussichtslos wäre.
Die „Mühle 77“ bietet den Betroffenen neben einem warmen und trockenen Aufenthaltsort, in dem, um die Schwelle niedrig zu halten, legale Suchtmittel in begrenztem Umfang konsumiert werden dürfen, auch kleine Mahlzeiten und Getränke an. Sie bietet einen Ausweg aus der Isolation sowie ein Forum zum Austausch sowohl untereinander als auch mit den Mitarbeiter:innen an und trägt wesentlich zur Entwicklung von Vertrauen in das Suchthilfesystem und von Bereitschaft zur Akzeptanz weiterer Angebote bei.
Hier konnten die beteiligten Mitarbeiter:innen in der Vergangenheit schon erhebliche Erfolge erzielen.
Durch die Arbeit in der Mühle 77 konnten an exponierter Stelle eine gute Einbindung in die unmittelbare Nachbarschaft und eine hohe Akzeptanz vor Ort aufgebaut werden.
Langfristiges Ziel ist es, über Motivation und Beratungsangebote die Betroffenen in weiterführende Maßnahmen wie z. B. Eingliederungshilfe, Suchttherapie oder auch zunächst in Selbsthilfegruppen zu vermitteln.
Im Kapitel 5.1. des Suchthilfeplans wird unter der Überschrift „Beratung“ sowohl die Bedeutung einer qualifizierten Beratung als auch die Unterversorgung mit dem entsprechenden Fachpersonal in der Hansestadt Lübeck dargestellt.
Auf die Einwohnerzahl Lübecks berechnet, werden von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) 21,7 Vollzeitstellen für Fachpersonal empfohlen.
Dazu führt der Suchthilfeplan aus: „In den drei klassischen Beratungsstellen arbeiten 5,6 Vollzeitkräfte in der Beratung … Dabei ist ein Teil dieser Personalressourcen über Eigenmittel der Träger finanziert.“
Auch im Bereich der legalen Suchtmittel kommt dieses Defizit an professionellen Beratungsangeboten zum Tragen.
Als eine der nachteiligen Folgen wird im Suchthilfeplan ausgeführt: „Aufsuchende Arbeit ist nicht im notwendigen Maß möglich, was bedeutet, dass das Angebot hochschwellig bleibt und einen Teil der Hilfebedürftigen nicht erreicht.“
Hier spielt die „Mühle 77“ als Anlaufpunkt für die noch nicht im Hilfesystem angekommenen abhängigen Menschen eine große Rolle für ihre Erreichbarkeit und dient damit dem im Suchthilfeplan verankerten Ziel „Bahnung von Wegen in das weiterführende Hilfesystem“.
So finden in der Begegnungsstätte regelmäßig Sprechstunden der verschiedenen Beratungsstellen statt. Dazu gehören die Suchtberatungsstelle, die Beratungsstellen für Männer, für Frauen sowie für Jungerwachsene und die Wohnraumhilfe, die in ihrem jeweiligen Verantwortungsbereich sowohl beraten als auch aktive Hilfestellung leisten. Darüber hinaus erfolgt durch die Mitarbeiter:innen der Mühle 77 und des Streetwork neben der Vermittlung auch die Begleitung zu den oben genannten wie auch weiteren Hilfeangeboten. Ein regelmäßiger Austausch besteht mit dem Sozialpsychiatrischen Dienst, dem Internationalen Bund, der Aids Hilfe Lübeck und anderen Akteur:innen. Die Beteiligung über die Mitwirkung in Gremien und Arbeitskreisen ist gegeben.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Begegnungsstätte „Mühle 77“ eine große Bedeutung im Bereich der niedrigschwelligen Hilfen besonders für die langjährig und schwer abhängigen Konsumierenden legaler Drogen hat.
Im Suchthilfeplan der Hansestadt Lübeck von 2021 ist vor dem Hintergrund unter Priorität A der Handlungsempfehlungen vermerkt:
- „Im Bereich der niedrigschwelligen Angebote steht aktuell die Sicherung der Existenz und der Angebote von Begegnungsstätten für die Abhängigen sowohl im Bereich der legalen als auch der illegalen Suchtmittel im Vordergrund.“
Die bisherige Finanzierung durch Eigenmittel der Diakonie Nord Nord Ost und durch Spenden kann nicht in dieser Weise aufrechterhalten werden, insofern wird aus fachlicher Sicht eine Finanzierung durch die Hansestadt Lübeck unterstützt.
Neben den bereits bezuschussten Kosten einer Streetwork-Stelle, die derzeit als fixer Betrag von 70.000,- € kommunal gefördert wird, sollen weitere Personal- und Sachkosten im Zusammenhang mit dem Betrieb der Begegnungsstätte übernommen werden. Die Gesamtsumme der städtischen Finanzierung würde sich demnach um weitere 180.000,- € auf 250.000,- € erhöhen. Diese Gesamtsumme beinhaltet die Kosten für eine/n Sozialpädagog/in, ein/e Erzieher/in sowie eine Hilfskraft nebst Kostenanteile der Leitung und Verwaltung sowie sämtliche anfallende Sachkosten in der Begegnungsstätte.
* Zitat aus dem Suchthilfeplan 2021