Das Ziel, Bildung generell und von Anfang an kostenfrei zu gestalten ist fachlich unumstritten und politisch vor allem (oder nur) deshalb kontrovers diskutiert worden, weil es mit enormen Kostenfolgen verbunden ist. Beitragsfreiheit in anderen Bundesländern löst Unverständnis bei nach wie vor zahlenden Familien in Schleswig-Holstein aus. Gleichzeitig muss konstatiert werden, dass diese in anderen Bundesländern zu nicht unerheblichen Anteilen aus den „Gute-Kita-Gesetz“ des Bundes finanziert wurden. Aus welchen Gründen dies in Schleswig-Holstein nicht der Fall war, sei anheimgestellt, entzieht sich ohnehin dem Einflussbereich der Kommune und ist mit dem zum 01.01.2023 in Kraft getretenen „KiTa-Qualitätsgesetz“ auch nicht mehr gleichermaßen möglich. In der HL politisch nicht kontrovers diskutiert wurde, dass eine substantielle oder vollständige Entlastung von Familien bei den Zuzahlungen zu den Betreuungsleistungen und der Verpflegung ohne landesrechtliche Regelung inklusive Konnexitätsvereinbarung mit den Kommunen nicht leistbar ist.
Ebenfalls nicht strittig war das Ziel der Gleichbehandlung aller Eltern und Träger/Formen der Kindertagesförderung, bundesrechtlich ist dieses ohnehin geboten. In der Debatte nach dem richtigen Weg mischen sich jedoch fachlich Erstrebenswertes, Konsolidierungsvorgaben des Landes S.H., sozialpolitische Ziele, der Wunsch nach allgemeiner Familienförderung sowie rechtlich durch die HL nicht zu beeinflussende Faktoren wie das Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes (BuT) im SGB II.
Auch und gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklung bei den Lebenshaltungskosten ist diese Debatte nachvollziehbar emotional geprägt. Hinzu kommt – trotz Vorlage zahlreicher Berechnungen und Berichte - Misstrauen gegenüber Vorschlägen der Verwaltung, wofür nicht zuletzt ursächlich sein dürfte, dass die Finanzierung der Kindertagesförderung in Schleswig-Holstein wie anderswo aufgrund des Zusammenwirkens von Bund, Land und Kommune hoch komplex ist und zudem in Wechselwirkung mit bundesrechtlich geregelten, aktuell hoch dynamischen Sozialleistungen steht. Sie kann daher weder von ehrenamtlichen Mandatsträger:innen noch von Familien/Elternvertretungen ohne weiteres nachvollzogen werden – selbst für hauptberuflich damit befasste Expert:innen in der Verwaltung ist dies nur mit enormem Aufwand zu erschließen.
Dem geschuldet ist womöglich auch, dass über ein Jahr Ziele und Positionen formuliert, politische Anträge eingebracht, korrigiert und/oder zurückgezogen sowie teilweise auch sich widersprechende Beschlüsse gefasst wurden (siehe Übersicht in Anlage 2). Die Verwaltung hat den mit breiter Mehrheit gefassten Bürgerschaftsbeschluss vom 30.06.2022 in Handlungsoptionen umgesetzt, die politisch nicht weiter verfolgt worden sind. Fraktionen in der Bürgerschaft stellten im Verlauf ihrer Positionsbildung anders lautende Anträge. Die formulierten Zielsetzungen und am Ende gefassten Beschlüsse sind in sich nicht kohärent und konsistent.
Die angesichts dessen als „Moratorium“ beschlossene Lösung (VO 2/10755-06-01-04)
„Es wird ein Moratorium bis zum 01.01.2024 für die 13. Änderung der Entgeltordnung für die Kindertageseinrichtungen in der Trägerschaft der Hansestadt Lübeck vereinbart.
Parallel zur Laufzeit des Moratoriums wird den Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflegeeinrichtungen mit Budgetvertrag der Hansestadt Lübeck ein monatlicher Zuschuss für die Verpflegung in Höhe von 50 Euro pro Kind gezahlt.“
entlastet Familien, ist jedoch mit Blick auf die Haushaltssituation und politische Gestaltungsfähigkeit der HL nachteilig und wohl daher vorläufig (Befristung bis 01.01.2024), um umgehend eine Gleichbehandlung aller Familien zu erreichen). Für eine langfristig tragfähige Lösung wäre zu entscheiden, welche Summen die HL für eine Entlastung von Familien einsetzen will. Gleichermaßen ist festzulegen, ob diese eher für allgemeine Familienförderung in der Breite eingesetzt wird, oder vorrangig für eine sozialpolitische Entlastung zum Ausgleich von Benachteiligungen. Mit Blick auf die Haushaltslage der HL und die Refinanzierung von sozialen Leistungen durch den Bund (Verpflegungskosten) stellt sich außerdem die Frage, ob auf Dauer die Bundeskasse durch knapp ein Drittel der von der HL einzusetzenden Mittel entlastet werden soll, oder diese Haushaltmittel nicht besser den Familien in der HL zugutekommen. Dem wird politisch die steuerliche Absetzbarkeit von Entgelten für die Betreuungsleistung (nicht jedoch von Verpflegungskosten) gegenübergestellt, von der vorrangig Familien profitieren, die aufgrund vergleichsweise hoher Einkünfte entsprechend höhere Entgelte für die Betreuungsleistung entrichten und deren Steuerlast entsprechend ist.
Dass Familien bei sozial gestaffelten Entlastungen nicht profitieren würden, weil sie nicht über ihre Rechte informiert sind oder eine Antragstellung scheuen, wird ebenfalls angeführt. Die HL hat jedoch mit dem Bildungsfonds lange vor der Bundesgesetzgebung im SGB II (BuT) eine Tradition des offensiven und niedrigschwelligen Zugangs zu diesen Leistungen eröffnet. Die Inanspruchnahme beim BuT liegt über dem vergleichbaren Durchschnitt (siehe Anlage 2), die hier anspruchsberechtigten Personen werden über mögliche Beitragsermäßigungen proaktiv informiert. Um so weit als möglich sicherzustellen, dass der aktuell größer werdende Kreis potentiell anspruchsberechtigter Personen Kenntnis von der Entlastungsmöglichkeit erhält, werden Träger, Einrichtungen, Öffentlichkeit sowie die Sozialleistungen bewilligenden Stellen in der Hansestadt Lübeck erneut sensibilisiert. Die Einrichtung eines Online-Beitragsrechners wird geprüft.
Damit Familien rechtzeitig wissen, welche Belastung sie durch Zuzahlungen für die Betreuungsleistung sowie Verpflegung in der Kindertageseinrichtung ab 01.01.2024 einplanen müssen, wäre eine Beschlusslage spätestens im September 2023 angemessen. Diese ist jedoch unrealistisch und nicht zielführend:
- Aufgrund der Kommunalwahlwahl ist eine kontinuierliche Bearbeitung der hoch komplexen, von divergierenden Zielen geprägten und zudem hoch sensiblen Thematik durch die politischen Gremien erst ab September 2023 wieder möglich.
- Die mit der Gestaltung, Erhebung und Ermäßigung von Entgelten befassten Stellen der Verwaltung sind durch die aktuell hoch dynamische Situation (Erhöhung der Zahl von Antragstellenden durch Ausweitung korrespondierender Sozialleistungen und Anstieg von anrechenbaren Ausgaben z.B. für Wohnen; neue zeitlich befristete Sozialstaffel gemäß KiTaG S.H., Gesetzgebung durch Bund und Land erst Ende 2022) extrem belastet. Vorrang vor der Prüfung und Entwicklung von Zuzahlungsmodellen hat die (Organisation der) Bearbeitung der Anträge von Familien in belasteten Lagen.
Eine Verlängerung des og. Beschlusses („Moratorium“) ist außerdem aufgrund des Vergabeverfahrens für eine externe Begleitung des Prozesses erforderlich. Diese ist aus Sicht der Verwaltung zum einen unerlässlich, weil die mit der Thematik befassten Arbeitseinheiten absehbar in 2023 stark belastet sein werden. Zum anderen ist diese zur Versachlichung der Debatte, zur Herstellung von Transparenz in einem hoch komplexen Bedingungsgefüge sowie zur Durchführung von Recherchen (Benchmark) und Beteiligungsprozessen erforderlich. In der HL wurde die vor Inkrafttreten des KiTaG S.H. im Jahr 2020 ersichtlich gewordene Ungleichbehandlung von Familien bei den Zuzahlungen zur Kindertagesförderung nicht angepasst; in der durch die Verwaltungsvorlagen Anfang des Jahres 2022 ausgelösten Debatte ist auch ein Jahr später nicht erkennbar, wie eine langfristig tragfähige Beschlusslage erreicht werden kann. Dies legt nahe, dem diesbezüglichen Entwicklungs- und Verständigungsprozess mehr Zeit einzuräumen, um einen möglichst breit getragenen Konsens innerhalb der der HL von Land und Bund gesetzten Rahmenbedingungen zu erreichen.