Vorlage - VO/2023/11807  

Betreff: Bericht zum interfraktionellen Antrag: VO/2022/10782 SPD+CDU: Keine Fütterung von wildlebenden Tieren
Status:öffentlich  
Dezernent/in:Senator Ludger Hinsen
Federführend:3.320 - Ordnungsamt Bearbeiter/-in: Wöhlk, Melanie
Beratungsfolge:
Senat zur Senatsberatung
Ausschuss für Umwelt, Sicherheit und Ordnung zur Kenntnisnahme
14.02.2023 
32. Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Sicherheit und Ordnung zur Kenntnis genommen / ohne Votum   
Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zur Kenntnisnahme
23.02.2023 
38. Sitzung der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck geändert beschlossen   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlage/n

Beschlussvorschlag

Der Ausschuss für Umwelt, Sicherheit und Ordnung hat in der Sitzung am 24.02.2022 dem folgenden Antrag zugestimmt:

 

Der Bürgermeister wird gebeten, für die Hansestadt Lübeck eine Satzung zu erlassen, die eine Fütterung von Möwen, Schwänen, Enten, Krähen, Wildtauben, Wildschweinen, Füchsen und Waschbären untersagt. Dieses Verbot soll auch das Auslegen von Futter- und Lebensmitteln, die erfahrungsgemäß von den aufgeführten Tieren aufgenommen werden, umfassen. Dabei kann sich an Regelungen der Landeshauptstadt Kiel orientiert werden. Der Lübecker rgerschaft ist zu ihrer nächsten Sitzung ein entsprechender Satzungsentwurf entgegen zu bringen.
 


Begründung

Die Landeshauptstadt Kiel hat seit dem 26.04.2018 eine Stadtverordnung zum Thema Möwenfütterungsverbot und seit dem 22.03.2021 eine Stadtverordnung zu dem Thema Taubenfütterungsverbot.

Der Antrag von SPD und CDU auf Erlass einer Satzung für die Hansestadt Lübeck geht allerdings deutlich über das in Kiel Geregelte hinaus.

 

Grundsätzlich können die örtlichen Ordnungsbehörden gem. § 175 Abs. 1 LVwG als Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren r die öffentliche Sicherheit Verordnungen erlassen (sogenannte Verordnungen über die öffentliche Sicherheit).

Bei solchen gefahrenabwehrbehördlichen Verordnungen handelt es sich um Rechtsnormen, die auf die Abwehr abstrakter Gefahren gerichtet sind. Anders als bei konkreten Gefahren im Einzelfall sind dies Sachlagen, in denen bei abstrakt-genereller Betrachtung nach allgemeiner Lebenserfahrung oder den Erkenntnissen Fachkundiger bestimmte Verhaltensweisen oder Zustände typischerweise zu einer konkreten Gefahr führen können (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.07.2002, 6 CN 8.01).

 

Folglich bedarf es für den Erlass einer solchen Verordnung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Darüber hinaus müssen Erwägungen zur Verhältnismäßigkeit einer solchen Verordnung (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Angemessenheit) getroffen werden.

Dazu führt des OVG Schleswig in seinem Urteil vom 18.01.2012, 4 KN 1/11 aus:

Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie die Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates oder sonstiger Träger der Hoheitsgewalt.

Es muss also nach den Feststellungen der Ordnungsbehörde eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vorliegen. Ein bloßer Gefahrenverdacht rechtfertigt kein Einschreiten der Sicherheitsbehörden in Form einer Rechtsverordnung auf der Grundlage der polizeilichen Generalermächtigung.

Eine Gefahr ist eine nach allgemeiner Lebenserfahrung oder den Erkenntnissen fachkundiger Stellen mögliche Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit eintreten wird. Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissenstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein „Besorgnispotential“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.12.1985, Az. 7 C 65.82). Das allgemeine Gefahrenabwehrrecht bietet grds. keine Handhabe, Schadensmöglichkeiten im Wege der Vorsorge zu begegnen. Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer Gefahr ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt (OVG Bremen, Beschluss vom 21.10.2011, Az. 1 B 162/11). Danach verlangt mithin auch die Feststellung einer abstrakten Gefahr eine in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Prognose, das heißt es müssen bei abstrakt-genereller Betrachtung hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen. Ist die Behörde mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und /oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu der erforderlichen Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt keine Gefahr, sondern allenfalls eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor (BVerwG, Urteil vom 03.07.2002, a. a. O.). Die Verordnungsermächtigung in § 175 LVwG gilt aber nicht für die mögliche Gefahr oder den Gefahrenverdacht, denn es wäre mit dem Grundsatz der Bestimmtheit gesetzlicher Ermächtigungen zu Rechtsverordnungen der Exekutive und des Vorbehaltes des Gesetzes nicht vereinbar, wenn die Exekutive ohne strikte Bindung an den überlieferten Gefahrenbegriff kraft eigener Bewertung über die Notwendigkeit oder Vertretbarkeit eines Verordnungserlasses entscheiden könnte…“

 

Beispiele für mögliche Gefahren für die öffentliche Sicherheitren:

Beispiel 1:

Jemand füttert Enten mit altem Brot an einem Teich. Eine Ente frisst das Brot. Anschließend trinkt die Ente Wasser. Durch das Wasser quillt das Brot im Hals der Ente auf und führt dazu, dass die Ente erstickt.

Die öffentliche Sicherheit ist durch einen Verstoß das Tierschutzgesetz betroffen. Die Gefahr besteht immer dann, wenn Enten mit zu großen Mengen an Brot gefüttert werden.

 

Beispiel 2:

Jemand füttertglich am Klingenberg Tauben. Die Tauben vermehren sich und es kommen auch andere Tauben hinzu, die sich vorher woanders aufgehalten haben. Durch die Zunahme der Anzahl der Tauben verschmutzen diese mit ihrem Kot immer intensiver und auf größerer Fläche den Bereich des Klingenbergs. Zwischendurch spielen auch Kleinkinder auf dem Klingenberg. Sie fassen auf eine durch Kot verunreinigte Fläche und nehmen ihre Hand in dem Mund. Hierdurch nehmen sie Krankheitserreger und andere Schadstoffe aus dem Kot der Tauben auf und erkranken daran.

Die öffentliche Sicherheit ist durch einen Schaden an dem Individualrechtsgut der Gesundheit betroffen. Die Gefahr wird durch das Füttern von Tauben hervorgerufen oder verstärkt.

 

Dem Ordnungsamt selbst sind in den vergangenen Jahren keine Bürgerbeschwerden zu dem Thema Wildtierfütterung bekannt gemacht worden. Seitens der Polizei sind dem Ordnungsamt ebenfalls keinerlei Meldungen gemacht worden.

 

Der amtstierärztliche Dienst und der Bereich Stadtwald haben auf Anfrage mitgeteilt, dass dort weder Fallzahlen vorliegen, noch Erkenntnisse, inwieweit überhaupt die in dem Antrag genannten Tiere im Stadtgebiet der Hansestadt Lübeck durch Menschen gefüttert werden.

 

Lediglich die untere Naturschutzbehörde berichtet von gelegentlichen Meldungen über das Füttern von Tauben, Möwen, Schwänen und Enten. Statistische Zahlen liegen nicht vor.

 

In der Gesamtbetrachtung muss daher festgestellt werden, dass der Verwaltung keinerlei Zahlen oder Meldungen vorliegen, die zu der Annahme einer Gefahr geeignet wären. Möglicherweise käme man zu dem Ergebnis des Vorliegens eines Besorgnispotentials, da sich nach den allgemeinen Lebenserfahrungen bestimmte Ursachenzusammenhänge nicht ausschließen lassen würden; diese jedoch begründen keine Gefahr und sind daher nicht geeignet, den Bedarf des Erlasses einer entsprechenden Verordnung zum Verbot der Wildtierfütterung zu bejahen.

Der Antrag von SPD und CDU enthält in der Begründung die Aussage „Immer wieder kommt es durch die unsachgemäße Fütterung von den o.a. Tierarten zu einem Gefährdungspotential von Mensch und Tier.“ 

Diese, ohne Zahlen oder Erkenntnisse nicht belegbare, Aussage eines möglichen Gefährdungspotentials reicht, wie oben bereits dargestellt, nicht für die Annahme einer Gefahr aus, sondern bewegt sich im seitens des BVerwG erlassenen Urteils vom 19.12.1985, 7 C 65.82, angesprochenen „Besorgnispotentials“.

 

Die Möglichkeiten des Erlasses der beantragten Verordnung wurden umfangreich geprüft und die Ergebnisse mit dem Bereich Recht abgestimmt, der sich der Auffassung des Ordnungsamtes anschließt und das Vorliegen einer Gefahr verneint.

 

Zur Auswirkung von Normenkonkurrenz und Normenkollisionen:

 

Grundsätzlich gibt es kein Verbot, dass mehrere Rechtsnormen denselben Sachverhalt regeln dürfen. Unproblematisch ist dies, wenn alle Rechtsnormen zur identischen Rechtsfolge führen, weil dann kein Unterschied in Bezug auf das Ergebnis besteht.

Probleme treten erst dann auf, wenn die verschiedenen Rechtsnormen auch verschiedene Rechtsfolgen für denselben Sachverhalt anordnen.

 

Stehen die Rechtsfolgen nicht in Widerspruch zueinander, können sie parallel bestehen. Widersprechen sie sich, gibt es verschiedene Regeln, mit denen bestimmt werden kann, welche Rechtsnorm dann Anwendung findet und welche zurücktritt. Beispiele hierfür wären das Zurücktreten einer rangniederen Norm gegenüber einer ranghöheren (Normenhierachie) oder die Konkurrenzregeln bei widersprüchlichen Normen mit gleichem Rang wie Spezialität und Zeitpunkt des Erlasses.

 

Es sollte dennoch vermieden werden, einen bereits geregelten Sachverhalt mit einer weiteren Rechtsnorm zu regeln, die die Rechtsfolge nur wiederholt und zum gleichen Ergebnis führt. Dies führt zu einer für Bürger:innen und auch Rechtsanwender:innen unübersichtlichen Lage, weil dann für denselben Sachverhalt verschiedene Gesetze angewandt und beachtet werden müssen und auch Unsicherheit hervorgerufen wird, ob der Sachverhalt nicht in noch mehr Gesetzen geregelt ist. Es sollte daher angestrebt werden, Sachverhalte möglichst abschließend in nur einem Gesetz oder Gesetzbuch zu regeln.
 


Anlagen

Keine