Ausgangslage
Das Stadtgut Niendorf ist neben dem Stadtgut Krummesse (ca. 186 ha) und dem Stadtgut Ringstedtenhof (ca. 86 ha), eines der drei letzten verbliebenen Stadtgüter der Hansestadt Lübeck. Diverse Stadtgüter wurden im Laufe der Jahre „aufgesiedelt“ (z.B. Roggenhorst, Moisling, Karlshof) oder veräußert (z.B. Niemark, Falkenhusen). Der Pachtvertrag des Stadtgutes Niendorf wurde im Oktober 2005 geschlossen und läuft am 30.06.2023 aus.
Der laufende Pachtvertrag für das Stadtgut umfasst Flächen von insgesamt fast 92 ha. Davon sind ca. 80 ha Ackerland und ca. 4 ha Wald. Ca. 2,4 ha der Gesamtfläche entfallen auf die große Hofstelle (Pächterwohnhaus und 5 Arbeiterwohnhäuser, Schuppen, Scheunen, eine denkmalgeschützte Kapelle).
Der jetzige Pächter betreibt auf dem Stadtgut eine Biogasanlage und baut daher hauptsächlich Mais an. Er ist nicht auf dem Stadtgut ansässig. Viele der Gebäude des Stadtgutes werden vom Pächter nicht selbst genutzt, sondern sind untervermietet. An vielen Gebäuden ist ein Renovierungs- und Unterhaltungsstau festzustellen.
Der jetzige Pachtvertrag sieht vor, dass die Vertragspartner spätestens ein Jahr vor Ablauf der Pachtzeit Verhandlungen über einen möglichen Neuabschluss aufnehmen. Ein Anspruch auf Abschluss eines neuen Vertrages besteht nicht. Der Pächter hat auf Befragen bereits erklärt, dass eine Umstellung auf ökologische Landwirtschaft für ihn nicht in Frage kommt. Allerdings möchte er die von ihm erstellte Biogasanlage gern bis zum Ende des Genehmigungszeitraums am 31.12.2027 weiter nutzen.
Die aktuelle jährliche Pacht beläuft sich auf 60.467,69 €.
- Auflösung des Stadtgutes
Das Stadtgut Niendorf verfügt derzeit über rund 92 ha Gesamtfläche. Davon sind ca. 80 ha Ackerland und ca. 5 ha Grünland. Bemerkenswert ist die ausgesprochen große Hoflage mit diversen großen Ställen, Scheunen und Wohngebäuden auf ca. 2,4 ha Grundfläche. Die notwendige Unterhaltung des gesamten Gebäudebestandes muss im Wesentlichen aus dem landwirtschaftlichen Betrieb erwirtschaftet werden.
Nach Aufforstung von rd. 50 ha Ackerfläche verbleiben lediglich rd. 35 ha tatsächlich landwirtschaftlich nutzbare Fläche. Bereits diese Minimierung rechtfertigt kaum noch die Bezeichnung „Stadtgut“. Der Ertrag aus der landwirtschaftlichen Nutzung wird darüber hinaus trotz Vermietung des Pächterwohnhauses und der ehemaligen Arbeiterhäuser nicht ausreichen, um neben einer Pachtzahlung an die Hansestadt Lübeck den gesamten Gebäudebestand in Dach und Fach zu unterhalten, zumal nur noch ein kleiner Teil der Gebäude für die Landwirtschaft selbst benötigt werden würde. Bei einer Vermietung der Scheunen und Ställe z.B. als Unterstellmöglichkeit für Wohnwagen oder Boote im Winterhalbjahr, wäre eine dauerhafte Unterhaltung aus den Erträgen immer noch nicht möglich. Will man die einzelnen Gebäude erhalten und in Nutzung bringen, bleibt – mit Ausnahme der/ des eventuell von einem neuen Pächter benötigten und gepachteten Gebäude/s - nur noch der Verkauf und damit die Auflösung des Stadtgutes Niendorf.
- Aufforstung von 50 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche
Die Bürgerschaft hat im Mai 2019 den Klimanotstand festgestellt und den Bürgermeister aufgefordert, sich an den weltweiten Maßnahmen zum Klimaschutz aktiv zu beteiligen. Neben der Vermeidung von klimaschädlichen Emissionen ist es ebenso wichtig, CO2 aus der Atmosphäre zu binden.
Mit dem Haushaltsbegleitbeschluss 2020 vom 26.09.2019 wurde der Auftrag an die Verwaltung erteilt, der Lübecker Bürgerschaft ein Konzept entgegenzubringen mit dem Ziel, dass die Hansestadt Lübeck einen wirksamen Beitrag zum Schutz der Bäume in Lübeck leistet, zur Erweiterung der Lübecker Forsten und zur Ansiedlung von mehr Grün im städtischen Raum. Der komplette Haushaltsbegleitbeschluss 2020 vom 26.09.2019 (VO/2019/08082-27-01) ist als Anlage beigefügt.
Die Verwaltung hat auf Grund des genannten Bürgerschaftsbeschlusses bereits 2019 für eine Aufforstung in Betracht kommende Flächen begutachtet. Im Ergebnis kam kurzfristig lediglich eine vom Bereich Wirtschaft und Liegenschaften landwirtschaftlich verpachtete Fläche von ca. 8 ha in Vorrade für eine Aufforstung in Betracht. Der zum 30.09.2020 ausgelaufene Pachtvertrag wurde nicht verlängert und die Fläche befindet sich in der Aufforstung.
Das Auslaufen des Stadtgutpachtvertrages zum 30.06.2023 bietet nun eine weitere Möglichkeit, Bäume anzupflanzen und somit den Wunsch, einen Beitrag zum Klimaschutz zu bewirken, zu erfüllen. Der zukünftige Wald soll den Lückenschluss zwischen bereits vorhandenen Wäldern aus landschaftsökologischen und klimatischen Gründen gewährleisten. Die aufzuforstenden Flächen wurden zwischen den Bereichen Stadtwald, Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutz und Wirtschaft und Liegenschaften einvernehmlich abgestimmt. Die genauen Grenzen der Aufforstung werden zwischen den Bereichen Stadtwald und Umwelt-, Natur- und Verbraucherschutz vor Ort abgestimmt.
Der Wert der aufzuforstenden 50 ha Ackerfläche beläuft sich auf rd. 2,31 Mio. EUR (Kaufpreisspiegel 2020 und 2021 in Schleswig-Holstein, S. 7, Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig-Holstein).
Da im Bereich des seit dem Mittelalter bestehenden Stadtgutes Niendorf mit dem Vorhandensein archäologischer Kulturdenkmale zu rechnen ist, die durch die Anpflanzung der Bäume längerfristig (wegen Durchwurzelung, Windbruch, forstwirtschaftliche Maßnahmen) potentiell gefährdet sind und auch vor- und frühgeschichtliche Funde nicht ausgeschlossen werden können, ist vor der Aufforstung eine Begehung und Sondierung der oberflächlich gelagerten beweglichen Kulturdenkmale durch den Bereich Archäologie und Denkmalpflege erforderlich.
- Ausschreibung der Flächen und ggf. erforderlicher Gebäude für ökologische Bewirtschaftung mit Agroforstelementen
Im Jahr 1986 hat die Bürgerschaft in ihren Sitzungen am 30.01., 06.02. und 19.06.1986 zwei grundlegende Beschlüsse zur Entwicklung eines Bodenschutzkonzepts für städtische Flächen und zur Umstellung der Stadtgüter auf ökologischen Landbau getroffen (Anlage 2). Die Verpachtung des Stadtgutes Niendorf im Jahr 2005 wich davon ab, da der Betrieb von Biogasanlagen zu dem Zeitpunkt pauschal als ökologisch vorteilhaft galt. Die erhebliche Schädigung der Böden, wie hier dann geschehen durch den bevorzugten Maisanbau, wurde noch nicht in dem Ausmaß erkannt. Darüber hinaus waren die Pachten, die in Verbindung mit Biogasanlagen gezahlt wurden, relativ hoch. Inzwischen verbieten viele Gemeinden auf eigenen Pachtflächen insbesondere den Maisanbau. Der ökologische Landbau schont die Flächen und nimmt Rücksicht auf Klima, Boden, Wasserhaushalt, Pflanzen und Tiere, so dass dies zwischenzeitlich die bevorzugte landwirtschaftliche Nutzung auf städtischen Flächen ist.
Agroforstsysteme waren in Deutschland bereits im Mittelalter verbreitet. Beispielhaft seien Streuobstwiesen, Schneitelbaumwirtschaft (Rückschnitt von Futterbäumen zur Gewinnung von Viehfutter) oder Hutewälder (Eichelmast mit Schweinen) genannt. Ende des 19. Jahrhunderts verschwanden allerdings die Gehölze aus der Agrarlandschaft, da man sie als störend empfand. Übrig blieben lediglich Streuobstwiesen, Windschutzhecken und Knicks sowie Gewässerrandstreifen.
Die modernen Agroforstsysteme unterscheiden sich von den mittelalterlichen dadurch, dass sie an die aktuelle landwirtschaftliche Produktionstechnik angepasst sind. So soll die landwirtschaftliche Nutzung dabei möglichst wenig durch Bäume und andere Gehölze beeinträchtigt werden, um eine ökonomisch konkurrenzfähige Produktion von tierischen, ackerbaulichen und forstwirtschaftlichen Produkten möglich zu machen. (Quelle: Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, Bundesinformationszentrum Landwirtschaft, „Agroforstwirtschaft – ökonomisch und ökologisch vielversprechend“).
Agroforstsysteme werden grundsätzlich in zwei Arten unterschieden:
a) In silvoarablen Systemen werden die Gehölze in Verbindung mit Ackerkulturen angepflanzt.
b) In silvopastoralen Systemen werden Bäume mit Grünland kombiniert (Mahd oder Beweidung).
Die Bäume können in beiden Systemen planmäßig oder willkürlich angeordnet werden. Die heutige maschinelle Bewirtschaftung der Felder mit großen Arbeitsbreiten hat dazu geführt, dass Bäume in der Regel systematisch angelegt werden, um die Bewirtschaftung nicht zu behindern. Gehölze werden an Wegen oder Gewässern oder zur Begradigung von Schlägen angepflanzt. Beispiele für Agroforstliche Nutzung in ganz Deutschland finden sich in der Agroforstkarte unter https://agroforstkarte.agroforst-info.de. Dort ist auch das Agroforstsystem am Gut Groß Zecher bei Ratzeburg am Schaalsee aus dem Jahr 2003 als Beispiel zu finden. Es besteht aus 7 Baumreihen mit Ackernutzung und 3 Referenzbaumreihen ohne landwirtschaftliche Nutzung. Die Abstände zwischen den Baumreihen betragen 28 m, zwischen den Gehölzen 3 m, wobei eine Ausdünnung auf 6 bis 9 m beabsichtigt ist. Als Baumarten sind Ahorn, Eberesche, Elsbeere, Robinie, Speierling, Wildbirne u.a. verwendet worden.
Flächen, die agroforstlich genutzt werden, sind gemäß § 2 Abs. 2 Nr.2 BWaldG vom Waldbegriff ausgenommen. Agroforstsysteme enthalten somit keine Elemente, die als Forst oder Wald angesehen werden, und auch bei den Werthölzern handelt es sich um Agrarholz. Diese Abgrenzung ist von Bedeutung, da die Implementierung von Agrarforstsystemen auf landwirtschaftlicher Nutzfläche nicht zu einer Änderung des Flächenstatus zu Wald führt, was aufgrund der §§ 8 ff. BWaldG die Handlungsoptionen auf der Fläche deutlich einschränken würde. (Quelle: Josef Langenberg, Ludwig Theuvsen, Agroforstwirtschaft in Deutschland. Alley-Cropping-Systeme aus ökonomischer Perspektive, Georg-August-Universität Göttingen, Journal für Kulturpflanzen, 70, S. 113 – 123, Verlag Eugen Ulmer 2018 sowie das Bundeswaldgesetz).
Im Rahmen der beabsichtigten Ausschreibung wird von den Interessierten neben der Beschreibung der beabsichtigten ökologischen Nutzung und der Nennung des Bedarfs an landwirtschaftlichen Gebäuden die Vorlage von Vorschlägen für die Einbringung von agroforstlichen Elementen in die vorhandenen landwirtschaftlichen Flächen verlangt werden.
Wie sich Agroforstnutzung auf die Höhe der erzielbaren Pacht auswirken wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht prognostiziert werden. Aufgrund der hohen Einstiegskosten für Aufforstung und Bepflanzung der Agroforstflächen und der erheblichen Reduzierung der nutzbaren landwirtschaftlichen Flächen muss jedoch davon ausgegangen werden, dass eine wesentlich geringere Pacht als bisher zu erzielen sein wird.
- Verkauf von Gebäuden
Wie bereits ausgeführt, wird aus der landwirtschaftlichen Nutzung der ca. 35 ha großen Restflächen des Stadtgutes kaum Bedarf an der Nutzung aller vorhandenen Gebäude resultieren. Eine angemessene Unterhaltung der Gebäude lässt sich aus dem Ertrag der Restflächen nicht mehr finanzieren. Eine Veräußerung der nicht mehr für den landwirtschaftlichen Betrieb erforderlichen Gebäude, z.B. als Lagergebäude oder für ein Wohnprojekt, ist für deren dauerhaften Erhalt sinnvoll, wobei die bereits jetzt für Wohnnutzung vermieteten Gebäude vorrangig den Mietern zum Kauf angeboten werden. Die Veräußerung erfolgt in enger Abstimmung mit den Bereichen Stadtplanung und Bauordnung sowie Archäologie und Denkmalpflege.
- Weiterbetrieb der Biogasanlage
Der jetzige Pächter hat auf dem Stadtgut eine Biogasanlage errichtet. Diese Errichtung war auch Inhalt des Im Jahr 2005 geschlossenen Pachtvertrages. Die befristete Genehmigung der Anlage endet am 31.12.2027. Der Pächter bat darum, die Anlage bis zum Ende des Genehmigungszeitraumes weiter betreiben zu dürfen. In der derzeitigen Gasmangellage ist es sinnvoll, genehmigte Anlagen weiter zu betreiben. Die Biogasanlage wird nach Beendigung des jetzigen Pachtvertrages durch Anlieferung pflanzlichen Materials aus der Umgebung betrieben. Spätestens nach Ablauf der erteilten Genehmigung wird die Anlage wieder entfernt, falls sich nicht schon vorher oder zu diesem Zeitpunkt Weiternutzungsmöglichkeiten durch die Hansestadt Lübeck selbst ergeben.
- Verlängerung der Pachtzeit um 2 Monate
Der Bereich Stadtwald will zum 01.09.2023 mit dem Aufforstungsvorhaben beginnen und benötigt auch erst dann die dafür erforderlichen Ackerflächen. Dem Pächter soll die Möglichkeit eröffnet werden, die von ihm bewirtschafteten Flächen auch zum Betrieb seiner Biogasanlage bis zum 31.08.2023 zu nutzen und abzuernten. Eine entsprechende Vereinbarung mit dem Pächter soll geschlossen werden.
- Naherholung und Wanderwegerstellung
Die Anlage von Wegen in ansonsten landwirtschaftlich genutzten Bereichen dient der naturverträglichen Erholung. Eine Verbesserung der Naherholungsmöglichkeiten ist landschaftsplanerisches Ziel. Eine abschließende Planung liegt noch nicht vor. Vor einer Umsetzung müssen die notwendigen finanziellen Mittel eingeworben werden.