Herleitung und Status Quo:
Der Kriminalpräventive Rat Lübeck (KPR) wurde 1992 gegründet. Anlass waren unter anderem die Synagogenbrände und der Brand in der Hafenstrasse in Lübeck, aber auch die Ergebnisse einer kriminologischen Regionalanalyse, die Gründe für die hohe Kriminalitätsbelastung der Hansestadt feststellen sollte. Das Ziel war eine bessere Vernetzung von kriminalpräventiven und -interventiven Maßnahmen verschiedener Akteure.
Der KPR veränderte in den 29 Jahren seit seiner Gründung mehrfach seine organisatorische Struktur. In den Anfangsjahren wurde er als reines Austauschgremium mit vielen Teilnehmer:innen geführt, dessen Hauptzweck die gegenseitige Information über Vorhaben und Gefährdungslagen war. Dann, mit zusätzlicher personeller Ausstattung, wurde die Arbeit straffer organisiert und das Netzwerk stärker ausgebaut, sowohl in die Stadtteile hinein (über die Runden Tische) als auch überregional und durch Teilnahme an europäischen Präventionsprojekten.
In dieser Zeit wurde der erste Deutsche Präventionstag in Lübeck durchgeführt, inzwischen bundesweit eine Institution mit bis zu 5.000 Teilnehmer:innen. Auch das Deutsche Städtenetzwerk Kriminalprävention, inzwischen von etwa 30 Mitgliedsstädten getragen, wurde in dieser Zeit in Lübeck gegründet. Es ist bis heute eine Plattform für kollegiale Beratung und den Austausch von Präventionskonzepten.
Diese Grundlagenarbeit des KPR in Lübeck, von der die Präventionsarbeit in vielen Städten bis heute profitieren kann, kam 2007 durch Wegfall der Personalstunden, die bis dahin vorgesehen waren (1,5 Vollzeit-Stellen), zum Erliegen bzw. reduzierte der KPR seine Aktivitäten auf die Bearbeitung von Anträgen zur finanziellen Unterstützung von präventiven Maßnahmen (Budget anfänglich 100.000,- DM, heute 36.100,- €).
2010 wurde erneut eine Geschäftsführung eingesetzt, um den KPR wiederaufzubauen, allerdings mit geringer personeller Ausstattung und der Maßgabe, lediglich eine Steuerungsgruppe zum gegenseitigen Informationsaustausch einzusetzen, aber keine gemeinsamen Aktivitäten zu entwickeln.
In diesem Status befindet sich der KPR noch heute, die Arbeit in einem breit aufgestellten Netzwerk ist zum Erliegen gekommen.
Wichtigste beabsichtigte Veränderungen:
Ein Blick auf die Praxis aktiver Kriminalpräventiver Räte in anderen deutschen Städten sowie auf die Evaluationsergebnisse einer prominenten Studie zu Arbeitsweise und Wirkung kommunaler Kriminalprävention („Kommunale Kriminalprävention in Deutschland 2018“ - Fortschreibung einer Bestandsaufnahme von 2007), legt folgende Veränderungen nahe:
1. Vernetztes Handeln zum Schwerpunkt machen
a) Es gilt, Aktivitäten unterschiedlicher Akteur:innen zu verbinden. Der konkreteste Zugewinn von Vernetzung liegt in der Abstimmung von Arbeitsprozessen, die ohnehin gesetz- oder auftragsgemäß ausgeführt werden (z.B. Aufklärungsmaßnahmen der Polizei, Kinder- und Jugendschutzmaßnahmen in Schulen und Kindertagesstätten, städtebauliche Maßnahmen im öffentlichen Raum, Schutzmaßnahmen bei häuslicher Gewalt). Diese Maßnahmen kosten Geld und Zeit und finden ohne eine regelmäßige Abstimmung häufig unverbunden statt. Ausdrücklich ausgeschlossen wird dabei aber die Verlagerung von Aufgaben oder auch die Koordinierung von Abfragen von zuständigen Bereichen und Institutionen in den Rat.
Das gemeinsame Betrachten der Aktionsfelder, die Verknüpfung unterschiedlicher Perspektiven und das abgestimmte Handeln
• vermeidet Doppel- und Mehrfachstrukturen
• ermöglicht die Bündelung von personellen, fachlichen und finanziellen Ressourcen
• verbindet Institutionen und die Zivilgesellschaft
• erleichtert interdisziplinäres Arbeiten
• schafft Synergieeffekte.
Auf diese Weise werden Kriminalität, Opferzahlen sowie durch Fehlentwicklungen verursachte persönliche und allgemeine Belastungen reduziert.
b) Um vom inhaltlichen Austausch auf die Handlungsebene zu gelangen, hat es sich bewährt, Projekte nach den Regeln des Projektmanagements aufzulegen und durchzuführen.
2. Eine geeignete Organisationsstruktur festlegen
Bundesweit bewährt hat sich eine Struktur des KPR, die
a) eine Steuerungsgruppe einsetzt, die aus den obersten Entscheider:innen oder mit entsprechenden Kompetenzen ausgestatteten Vertreter:innen besteht, die über die Schwerpunktthemen der Arbeitsgruppen, die Zuteilung der Mittel und die Öffentlichkeitsarbeit entscheiden.
b) Arbeitsgruppen zu den dauerhaften Präventionsthemen vorsieht.
c) die Leitung der Arbeitsgruppen sachkundigen Leiter:innen überträgt. Eine Tandemleitung aus kommunaler Verwaltung und externer Institution stärkt den gemeinsamen Ansatz zwischen Verwaltung und Zivilgesellschaft.
Die konkrete Besetzung der Steuerungsgruppe sowie die Anzahl und Besetzung der Arbeitsgruppen soll auf der Grundlage des vorliegenden Entwurfs (Anhang) in der neukonstituierenden Sitzung diskutiert und entschieden werden. Es hat sich allerdings andernorts bewährt, die Steuerungsgruppe klein zu halten und ggf. themenorientiert oder zeitweise durch weitere Teilnehmer:innen zu ergänzen.
Auch die Häufigkeit der Arbeitstreffen kann sowohl in der Steuerungsgruppe als auch in den Arbeitsgruppen der Menge und der Dringlichkeit von Themen angepasst werden.
Es wird auf eine geschlechterparitätische Zusammensetzung geachtet.
3. Die Öffentlichkeitsarbeit verstärken, um ein höheres Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu erreichen
Nachweislich hat die Arbeit von KPRäten Einfluss auf das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung. Dieser Effekt ist hoch einzuschätzen, weil kommunales und polizeiliches Handeln erleichtert wird, wenn Bürger:innen sich durch behördliche Aktivitäten sicherer fühlen. Das Gefühl mangelnder Sicherheit führt zu Vertrauensverlust in öffentliche Organe, Forderungen nach vermehrten Überwachungs- und Kontrollaktivitäten, Rückzug - insbesondere von Senior:innen - aus dem öffentlichen Leben (Einschränkung von Teilhabemöglichkeiten) und ggf. auch zu Anfeindungen und Diskriminierung gegenüber allem Fremden. Öffentlichkeitsarbeit ist deshalb eine wichtige Aufgabe in der Präventionsarbeit, um die Arbeit, die Vorhaben und die Strategien des Rates darzustellen. Die Bevölkerung kann auf diese Weise aufgeklärt, informiert, einbezogen und das allgemeine Sicherheitsempfinden positiv beeinflusst werden.
4. Den Titel ändern
Anders als in den bundesweiten Gründungsjahren von KPRäten deutschlandweit in den 90er Jahren angenommen ist heute bekannt, dass die Prävention von Kriminalität nur ein Aspekt präventiven Handelns von Kommunen ist. Es empfiehlt sich deshalb, das Versprechen der Kriminalitätsverhütung aus dem Titel des Rates zu entfernen und einen allgemeineren Titel zu wählen, der wichtige Themen für präventives Arbeiten in den Mittelpunkt rückt.
Der Titel Kommunaler Rat für Prävention oder Kommunaler Präventionsrat (KPR) trifft den Kern der Arbeit daher besser.
5. Auskömmliche Personal- und Finanzmittel bereitstellen
Ein breites Bündel an präventiven Maßnahmen in unterschiedlichen Handlungsfeldern der Kommune benötigt Betreuung und Finanzmittel. Die Ausstattung mit Personal- und Finanzmitteln ist in den vergangenen Jahrzehnten in Lübeck sehr unterschiedlich gewesen.
Die hier vorgeschlagene Struktur erfordert weniger zusätzliches Personal in der Fläche, da die hauptsächliche Arbeitslast in den Arbeitsgruppen liegt, die dort Themen gemeinsam mit Kooperationspartner:innen bearbeiten, die ohnehin in ihrer Zuständigkeit liegen. Notwendig ist eine geschäftsführende und koordinierende Stelle, die die Arbeit der Arbeitsgruppen begleitet, die Steuerungsgruppe informiert, verbindende und übergeordnete Themen identifiziert und in die Bearbeitung bringt, Kontakt zu einschlägigen Institutionen in Land und Bund hält, Projekt- und Fördermittel akquiriert, etc. Im Haushalt 2022 sind dafür Stellenanteile (0,64 VZÄ) hinterlegt.
Seit 2008 betragen die Finanzmittel 36.100,- €. Diese Summe steht für Projekte und Aktivitäten - auf Antrag auch für externe Institutionen - zur Verfügung. Ebenfalls seit 2008 wird aus dieser Summe jährlich der städtische Eigenanteil am Fanprojekt beim VFB Lübeck bestritten, so dass lediglich 10.600€ für die weitere präventive Arbeit zur Verfügung stehen. Hier ist eine dauerhafte Verschiebung der benötigten Mittel für das Fanprojekt (25.500 €) in das Trägerbudget bereits für den Haushalt 2022 geplant. Durch die Verschiebung der Fanprojektmittel und einer Aufstockung der Mittel für den KPR stehen ab 2022 jährlich 19.000 € für verschiedene präventive Maßnahmen zur Verfügung. Über die Vergabe entscheidet die Steuerungsgruppe bzw. die Geschäftsführung, ggf. nach Beratung in der entsprechenden Arbeitsgruppe.
Abgrenzung KPR und Sicherheitspartnerschaft
Der KPR arbeitet langfristig am Erhalt von „Sicherheit und Ordnung“ durch Prävention und sieht in der neuen Organisationsstruktur eine feste Arbeitsgruppe zum Thema „Sicherheit im öffentlichen Raum“ vor. Die Arbeit des KPR ist somit kontinuierlich ohne konkreten Einzelfallanlass.
Die Sicherheitspartnerschaft, im September 2019 zwischen Hansestadt und Polizeidirektion gegründet, zielt auf eine konkrete Einzelfallthematik ab, der nicht mehr nur präventiv entgegengewirkt werden kann. In diesem Fall: Die nachhaltige Auflösung der „offenen Drogenszene“ bis April 2020 und die Verhinderung der Etablierung an anderer Stelle. Eine Sicherheitspartnerschaft ist somit anlassbezogen, zeitlich begrenzt und operativ tätig. In der Zukunft können anlassbezogene, neue Herausforderungen zu einer erneuten Sicherheitspartnerschaft zwischen Polizeidirektion und Hansestadt Lübeck führen, wenn der präventive Ansatz allein nicht die gewünschte Wirkung erzielt oder Straftaten das öffentliche Leben punktuell stark beeinträchtigen.
Unmittelbar erkennbar ist der Unterschied zwischen beiden Institutionen durch den Zeithorizont und die Handlungsform (präventiv versus operativ). In Zeiten, in denen eine Sicherheitspartnerschaft operativ tätig werden muss, ist eine enge Abstimmung der beiden Institutionen sicherzustellen.
Die nachfolgende Tabelle zeigt die Zielsetzungen und Schwerpunktsetzungen der beiden Institutionen auf:
Kriminalpräventiver Rat | Sicherheitspartnerschaft |
bestehend seit 1992 | erstmalig in 2019 |
Vorwiegende Handlungsform: präventiv (Analysen, Maßnahmen zur Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention, Verhaltensprävention, universelle Prävention, selektive Prävention, indizierte Prävention betreffend, Abstimmung von Verhältnisprävention) | Vorwiegende Handlungsform: operativ (Überwachung, Ermittlung und Repression, Abstimmung von Verhältnisprävention, Maßnahmenumsetzung) |
Treffen: regelmäßig & anlassbezogen | Treffen: anlassbezogen, zeitlich befristet |
Funktion: Fürsorgepflicht Verhindern und Mildern bezogen auf alle und die einzelne Person. Minimierung von Risiko, Kinder- und Jugendschutz, Schulung von Bezugspersonen | Funktion: Gewaltmonopol Intervention im öffentlichen Raum situativ, ortsgebunden auf der Akteursebene zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung, Schutz von Dritten (Person und Eigentum) |
Ziel: nachhaltige und umfassende Problembefassung zum Thema Prävention und Sicherheit und Implementierung präventiver Maßnahmen zur Verhinderung von Intervention und Repression | Ziel: Bearbeitung von anlassbezogenen und akuten Situationen wie zum Beispiel die Auflösung der offenen Drogenszene und die Verhinderung einer Neuetablierung. Andere Anlässe denkbar. |
Beispiele aus dem Themenspektrum: - Gesundheitsfördernde Maßnahmen
- Gewaltprävention
- Kompetente und verantwortliche Mediennutzung
- Suchtprävention Kinder und Jugendliche
- Extremismusprävention
- Kriminalprävention und Sicherheit im öffentlichen Raum
- Verringerung von Delinquenz
| Beispiele aus dem Themenspektrum: - schnelles und effektives Beseitigen einer Problemlage unter Berücksichtigung sozialer Belange
- z.B. Drogenszene, Rockerszene, Prostitution, organisierte Kriminalität usw.
- Wiederherstellen der Sicherheit im öffentlichen Raum
- Präsenz (präventiv) zum Erhalt der Sicherheit im öffentlichen Raum
|