Vorlage - VO/2017/05550  

Betreff: grün+alternativ+links [GAL]: AT zu VO/2017/05277 »Lübecker Gedenktag für die von den Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten Homosexuellen«
Status:öffentlich  
Federführend:Geschäftsstelle der Fraktion grün+alternativ+links (GAL) Bearbeiter/-in: Schulz, Jens-Uwe
Beratungsfolge:
Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zur Entscheidung
30.11.2017 
33. Sitzung der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck Teil 1 - 30.11.2017 - 12.00 Uhr bis 22.50 Uhr Teil 2 - 12.12.2017 - 16.00 Uhr bis 19.45 Uhr an Verwaltung / Ausschuss zurück verwiesen   

Sachverhalt
Anlage/n

Begründung

Bericht „Lübecker Gedenktag für die von den Nationalsozialisten verfolgten und ermordeten Homosexuellen“ TOP 4.5 Vorlage - VO/2017/05322  Sitzung  des Ausschusses für Kultur und Denkmalpflege am 09.10.2017

Hierzu liegt zunächst die Einschätzung des Bereichs Recht vor.

„Es bestehen gegen die Einführung eines solchen Gedenktages keine rechtlichen Bedenken. Der erforderliche Bezug zur örtlichen Gemeinschaft ist aufgrund der in der Begründung [des Antrags] geschilderten Verfolgung auch Lübecker Homosexueller während der Herrschaft der Nationalsozialisten gegeben. Ein - rechtlicher - Anspruch anderer Opfergruppen der Nationalsozialisten auf Gleichbehandlung ist nicht zu erkennen.

Bei der Einführung eines solchen Gedenktages handelt es sich um eine wichtige Angelegenheit, für die die Entscheidungszuständigkeit bei der Bürgerschaft liegt.“

Bisherige Erinnerungskultur

1986 ließ die Hansestadt Lübeck auf Beschluss der Bürgerschaft neben dem nördlichen Eingang des Zeughauses das „Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus“ errichten, welches die folgende Inschrift trägt: „Dem Gedenken der Lübecker Bürger, die in den Jahren 1933 bis 1945 aus politischen, religiösen und rassischen Gründen Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden. Ihr Leidensweg begann in vielen Fällen hier, in den Haftzellen der Geheimen Staatspolizei im Keller des ehemaligen Zeughauses.“

Auf Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wurde 2015 eine Erweiterung des Mahnmals und dadurch explizite Hervorhebung der homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus durch den Ausschuss für Kultur und Denkmalpflege beschlossen. Die ergänzende Gedenktafel wurde direkt an der Wand des Zeughauses angebracht und am 23. Januar 2016 durch Stadtpräsidentin Gabriele Schopenhauer eingeweiht. An der Finanzierung der Gedenktafel sowie der Ausrichtung der Einweihungsfeier war der Lübecker CSD e.V. beteiligt.

Vor dem Mahnmal beim Zeughaus findet alljährlich am 27. Januar die zentrale Veranstaltung der Hansestadt mit einer Kranzniederlegung durch den Bürgermeister oder die Stadtpräsidentin statt. Seit 1996 ist der 27. Januar in Deutschland als „Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“ ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag. Er ist als Jahrestag bezogen auf den 27. Januar 1945, den Tag der Befreiung der Vernichtungslager von Auschwitz und Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee im letzten Jahr des Zweiten Weltkriegs. Im Jahr 2005 wurde der 27. Januar zudem von den Vereinten Nationen zum „Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“ im Jahr 2005 erklärt. Der Gedenktag erinnert an alle Opfer des beispiellosen totalitären Regimes während der Zeit des Nationalsozialismus: „Juden, Christen, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, politisch Andersdenkende sowie Männer und Frauen des Widerstandes, Wissenschaftler, Künstler, Journalisten, Kriegsgefangene und Deserteure, Greise und Kinder an der Front, Zwangsarbeiter und an die Millionen Menschen, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden,“ so Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert bei der Gedenkstunde des Deutschen Bundestages 2008.

Seit 1991 veranstaltet die Hansestadt Lübeck im November die Reihe „Zeit des Erinnerns – für die Zukunft“, den 9. November 1942 und 10. November 1943 (Reichspogromnacht und Hinrichtung der vier Lübecker Märtyrer) zum Anlass nehmend. Mit Zeitzeugengesprächen, Führungen, Vorträgen, Ausstellungen, Gottesdiensten und Gedenkveranstaltungen wird alljährlich an die Geschehnisse während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und ihre Auswirkungen erinnert und zugleich der Rahmen für Dialog und Austausch geschaffen. Die Veranstaltungsreihe wird in Lübeck von mehreren Institutionen, Initiativen, Vereinen und Kirchen getragen. Zukünftig wird angestrebt, für die „Zeit des Erinnerns – für die Zukunft“ verstärkt Formate für ein jüngeres Publikum zu konzipieren, etwa in Zusammenarbeit mit Lübecker Schulen oder der Landeszentrale für politische Bildung. Dies würde die Erinnerungskultur in Lübeck zusätzlich zu den offiziellen Gedenktagen wie dem Volkstrauertag oder dem 27. Januar sowie der mittlerweile sehr gut etabliertem Reihe „KlopfKlopf“ bereichern.

 Seit April 2017 gibt es unter Federführung des Archivs der Hansestadt einen Arbeitskreis „Lübeck im 20. Jahrhundert“ am „Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung“ (http://www.zkfl.de/), der speziell auch die Ereignisse in der NS-Zeit weiter erhellen will, wozu unbedingt auch die Geschichte der Verfolgung aller Opfergruppen gehört.

Antrag auf Einrichtung eines Gedenktages für die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus

Hinsichtlich des Antrages für einen weiteren Gedenktag – hier für die homosexuellen Opfer der Nationalsozialismus – ist aus Sicht der Verwaltung abzuwägen, ob Gedenktage eine zeitgemäße und nachhaltige Form des Erinnerns darstellen. Da neben dem gemeinsamen Gedenktag für alle Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar wie oben beschrieben bereits viele Aktivitäten und Veranstaltungen des Gedenkens und der Erinnerungskultur für alle Opfergruppen existieren, ist zu beraten, ob ein zusätzlicher, gesonderter Gedenktag nicht zur Zersplitterung des Gedenkens führen könnte. Es ist zudem zu überlegen, ob die gesonderte Hervorhebung einer Opfergruppe durch Einrichten eines zusätzlichen Gedenktages unter Umständen eine „erinnerungskulturelle Konkurrenz“ hervorrufen und von anderen Verfolgungsgruppen als Herabstufung ihres ähnlichen Verfolgungsschicksal von Diskriminierung, Haft, Folterung und Mord empfunden werden könnte?

Das nationalsozialistische Gewaltsystem verfolgte in Lübeck aus rassischen, religiösen politischen und grundsätzlich menschenverachtenden Gründen eine Vielzahl an Personen. Das Schicksal dieser Menschen bzw. das Schicksal der Opfergruppen ist historisch unterschiedlich gut aufgearbeitet. Während die Verfolgung zum Beispiel der Lübecker Märtyrer, der politischen Widerstandskämpfer oder der Insassen der Heilanstalt Strecknitz als einigermaßen gut erforscht gelten kann, gilt dies für die homosexuellen Opfer nach 1933 und die Geschichte der sogenannten „Wiedergutmachung“ für sie nach 1945 nur sehr eingeschränkt.

Während die Verfolgung der Homosexuellen im Allgemeinen gut erforscht wurde,[1] fehlt in Lübeck eine umfassendere fundierte Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem Schicksal schwuler Frauen und Männer in Lübeck in der NS-Zeit.[2]

Die Verwaltung schlägt vor, im ersten Schritt die historischen Quellen zum Thema Verfolgung der Homosexuellen in Lübeck zwischen 1933 und 1945 drittmittelfinanziert auswerten und eine Publikation darüber als Dokumentation und Würdigung ihres Leidens erstellen zu lassen. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse sollte dann hierzu erneut in den Gremien beraten und abschließend entschieden werden.

 Der Vorschlag, zunächst historische Quelle zum Thema Verfolgung der Homosexuellen in Lübeck auszuwerten, findet auch das Interesse des Lübecker CSD e.V. Der Verein bietet an, hier zu kooperieren und das Vorhaben zu unterstützen.

 

Anmerkungen:

[1] Unter anderen: Burkhard Jellonnek: Homosexuelle unter dem Hakenkreuz. Die Verfolgung von Homosexuellen im Dritten Reich, Paderborn 1990. Claudia Schoppmann: „Liebe wurde mit Prügelstrafe geahndet”. Zur Situation lesbischer Frauen in den Konzentrationslagern, S. 14-22, in: Jellonnek: Verfolgung von Homosexuellen im Nationalsozialismus. Beiträge zur Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung in Norddeutschland, Heft 5, Bremen 1999, S.14. Kerstin Meier: „Es war verpönt, aber es gab´s”. Die Darstellung weiblicher Homosexualität in Autobiographien von weiblichen Überlebenden in Ravensbrück und Auschwitz, S. 22-34, in: ebd., S. 28. Lexikon zur Homosexuellenverfolgung 1933 - 1945 / Institutionen - Kompetenzen - Betätigungsfelder, mit einem Beitrag von Rüdiger Laupmann, in der Reihe: Geschichte, Forschung und Wissenschaft, Bd. 21, Berlin; Münster 2011.

[2] Soweit bekannt: Ohne Autornamen, Die Verfolgung von Homosexuellen in der NS-Zeit, in: HAJO. Das kostenlose Veranstaltungsmagazin für Lesben, Schwule und Transgender in Schleswig-Holstein, Dezember 2012 – Februar 2013, S. 6-7.

 


Anlagen