Vorlage - VO/2013/00882  

Betreff: Möglichkeiten zur Durchführung eines Bürgerentscheides im Zusammenhang mit der Entwicklung der nördlichen Wallhalbinsel
Status:öffentlich  
Dezernent/in:Bürgermeister Bernd Saxe
Federführend:1.300 - Recht Bearbeiter/-in: Rojahn, Wolfgang
Beratungsfolge:
Senat zur Senatsberatung
Hauptausschuss zur Vorberatung
24.09.2013 
4. Sitzung des Hauptausschusses zur Kenntnis genommen / ohne Votum   
Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck zur Kenntnisnahme
26.09.2013 
Sitzung der Bürgerschaft der Hansestadt Lübeck Nr. 3 / 2013 - 2018 zur Kenntnis genommen / ohne Votum   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Anlage/n
Anlagen:
Anlage 1. zum Bericht vom 13.09.2013

Beschluss der Bürgerschaft in ihrer Sitzung am 29

Beschlussvorschlag

Beschluss der Bürgerschaft in ihrer Sitzung am 29.08.2013 unter TOP 5.35

 

 

Die Bürgerschaft hat in ihrer Sitzung am 29

Begründung

 

 

Die Bürgerschaft hat in ihrer Sitzung am 29.08.2013 unter TOP 5.35 folgenden Beschluss gefasst:

 

„Der Bürgermeister ist aufgefordert, zu prüfen und der Bürgerschaft in ihrer September-Sitzung zu berichten, wie die Bevölkerung in Form eines Bürgerentscheids an der Entscheidung zur weiteren Entwicklung der nördlichen Wallhalbinsel beteiligt werden kann. Auch ist zu prüfen, ob konkrete Verkaufsentscheidungen im Rahmen des Kailine-Projekts oder eines anderen Projektes in Form eines solchen Entscheids gefällt werden können.“

 

Zusammenfassend ist dazu festzustellen:

 

  • Solange die künftige planungsrechtliche Situation der nördlichen Wallhalbinsel offen ist, kann die Bevölkerung durch einen Bürgerentscheid an der Entscheidung über ihre weitere Entwicklung beteiligt werden.
  • Unter derselben Voraussetzung können auch konkrete Verkaufsentscheidungen im Rahmen des Kailine-Projektes oder eines anderen Projektes in Form eines Bürgerentscheides gefällt werden.
  • Als Alternative zur Durchführung eines Bürgerentscheids kommt eine konsultative Einwohnerbefragung gemäß § 16 c Abs.3 Gemeindeordnung (GO) in Betracht.

Sie wäre rechtlich nicht bindend, könnte aber schneller und  mit weniger Aufwand als ein Bürgerentscheid zu einem Ergebnis führen.

 

 

 

Im Einzelnen:

 

1. Möglichkeit eines Bürgerentscheides über die weitere Entwicklung der Nördlichen Wallhalbinsel

 

Nach § 16 g Abs. 1 GO kann die Bürgerschaft mit einer Mehrheit der gesetzlichen Zahl ihrer Mitglieder beschließen, dass Bürgerinnen und Bürger über Selbstverwaltungsaufgaben selbst entscheiden (Bürgerentscheid).

Da es sich bei der Entscheidung über die weitere Entwicklung der nördlichen Wallhalbinsel und bei Entscheidungen über den Verkauf von Grundstücken um Selbstverwaltungsangelegenheiten handelt, sind diese grundsätzlich bürgerentscheidsfähig.

 

Der § 16 g Abs. 2 GO enthält aber eine Reihe von Gründen, aus denen ein Bürgerentscheid nicht zulässig ist. Diese Ausschlussgründe gelten sowohl für einen Bürgerentscheid, der durch Beschluss der Bürgerschaft zustande kommt, als auch für einen solchen, der durch die Bürgerinnen und Bürger selbst beantragt wird (Bürgerbegehren).

 

Im Fall der Nördlichen Wallhalbinsel kommt in Betracht, dass ein Bürgerentscheid nach § 16 g Abs.2 Nr.6 GO ausgeschlossen ist. Nach dieser Bestimmung findet er nicht über Entscheidungen im Rahmen der Bauleitplanung mit Ausnahme des Aufstellungsbeschlusses sowie dessen Änderung, Ergänzung oder Aufhebung statt.

Dem Kailine-Projekt liegt der Bebauungsplan 01.75.00 – Nördliche Wallhalbinsel – zugrunde, der seit dem 21.03.2012 in Kraft ist. Er bietet den planungsrechtlichen Rahmen für die dort beabsichtigte bauliche Nutzung.

Ein Bürgerentscheid über die weitere Entwicklung würde daher möglicherweise die bauliche Entwicklung auf der Grundlage dieses Bebauungsplanes ausschließen. Bebauungspläne wie der hier Geltende machen zwar grundsätzlich nur ein Angebot für eine Bebauung und die mögliche städtebauliche Entwicklung. Eine Verpflichtung, die Festsetzungen solcher Pläne zu verwirklichen besteht grundsätzlich nicht. Sie dokumentieren aber die städtebaulichen Zielvorstellungen des Plangebers und sind damit Ausdruck seiner Planungskompetenz.

Bürgerentscheide die diesen planerischen Entscheidungen auch nur faktisch entgegenstehen entwerten solche Bebauungspläne und wirken wie eine anderweitige Planung, ohne dass sie in dem vom Baugesetzbuch (BauGB) vorgegebenen Verfahren und ohne die nach § 1 Abs.7 BauGB erforderliche Abwägung aller Belange zustande kommt.

Die gesetzliche Formulierung „Entscheidungen im Rahmen der Bauleitplanung“ wird aus diesem Grund allgemein weit ausgelegt. Sie schließt auch Bürgerentscheide aus, die offensichtlich auf eine Änderung der Bauleitplanung zielen ohne dass sich dabei die Fragestellung ausdrücklich gegen einen Bebauungsplan oder auf Entscheidungen in dem Bauleitplanverfahren richtet.

 

Ein als Satzung beschlossener und in Kraft getretener Bebauungsplan darf durch einen Bürgerentscheid deshalb grundsätzlich auch nicht faktisch außer Kraft gesetzt werden. Das gilt jedenfalls dann, wenn die zugrundeliegenden, tatsächlichen oder rechtlichen Gegebenheiten unverändert sind. Ansonsten würde die vom Gesetzgeber ausdrücklich hervorgehobene Planungskompetenz der Gemeindevertretung, hier der Bürgerschaft, praktisch gegenstandlos.

Deshalb war jedenfalls bis zum Zeitpunkt der Bürgerschaftssitzung am 29.08.2013 ein Bürgerentscheid darüber, ob das Kailine-Projekt in der vorgesehen oder einer anderen Form durchgeführt werden soll, unzulässig.

 

Nach der Beschlussfassung der Bürgerschaft in ihrer Sitzung am 29.08.2013 hat sich diese Sach- und Rechtslage aber geändert. Dort wurde unter TOP 5.33 mehrheitlich der Antrag VO/2013/00829 hinsichtlich der Beschlusspunkte 1 a) bis c), 2 a) und c) sowie 3 angenommen.

Unter Beschlusspunkt 1 c) wird dort der Bürgermeister beauftragt, dem Bauausschuss eine Vorlage für einen Aufstellungsbeschluss eines neuen Bebauungs- und Flächennutzungsplanes vorzulegen, der den Erhalt der historischen Bebauung berücksichtigt. Damit hat die Bürgerschaft zu erkennen gegeben, dass sie die bisherige Planung in Frage stellen und eine neue abweichende Bauleitplanung in dem dafür vom BauGB vorgeschriebenen Verfahren beginnen will. Auch wenn bis zum Abschluss dieses Bauleitplanverfahrens die bisherige planungsrechtliche Situation unverändert bleibt und das Kailine-Projekt nach wie vor in der bisher geplanten Form umsetzbar wäre, hat die Bürgerschaft als die alleinige Trägerin der Planungskompetenz (vgl. § 28 Nr. 2 und 4 GO) zu erkennen gegeben, dass sie selbst die planungsrechtliche Situation in Bewegung bringen will. Sie hat darüber hinaus durch die Annahme des Beschlusspunktes 1 a), mit dem der Bürgermeister beauftragt wird, das Kailine-Projekt und die Weiterverfolgung der Vermarktung unverzüglich zu stoppen, deutlich gemacht, dass sie – vorbehaltlich der Durchführung des Bauleitplanverfahrens – auf eine andere Planung abzielt.

In einer solchen Situation greift ein Bürgerentscheid über die Frage, ob die bauliche Entwicklung auf der Grundlage der bisherigen Bauleitplanung erfolgen soll, nicht mehr unzulässig in die Planungskompetenz der Bürgerschaft ein. Der Sache nach ist er lediglich darauf gerichtet, ob der im Bürgerschaftsbeschluss vom 29.08.2013 initiierte Aufstellungsbeschluss für einen neuen Bebauungsplan gefasst werden soll oder nicht.

Ein Bürgerentscheid, der nach dem Willen des Trägers der Planungskompetenz eine Richtungsentscheidung darüber herbeiführt, wie die Entwicklung der nördlichen Wallhalbinsel weiter gehen soll, ist daher in dieser Situation zulässig.

 

Die Kommunalaufsicht im Innenministerium teilt diese Auffassung.

 

Über die weitere Entwicklung der nördlichen Wallhalbinsel könnte daher ein Bürgerentscheid durchgeführt werden. Die mit ihm zur Entscheidung zu stellende Frage muss nach § 10 Abs.4 der Landesverordnung zur Durchführung der Gemeinde-, der Kreis- und der Amtsordnung (GKAVO) mit ja oder nein zu beantworten sein.

Die mit einem Bürgerentscheid gestellte Frage könnte deshalb beispielsweise wie folgt lauten:

 

„Soll die Entwicklung der nördlichen Wallhalbinsel wie bisher geplant auf der Grundlage des geltenden Bebauungsplanes 01.75.00 – Nördliche Wallhalbinsel („Kailine-Projekt“) fortgesetzt werden?“

 

 

 

2. Möglichkeit eines Bürgerentscheides über konkrete Verkaufsentscheidungen im Rahmen des Kailine-Projekts oder eines anderen Projekts

 

Für Entscheidungen über Grundstücksverkäufe gilt sinngemäß das unter 1. Ausgeführte. Ein Bürgerentscheid, der zwar äußerlich nur Verkaufsentscheidungen zur Abstimmung stellt, in Wirklichkeit aber auf die Verhinderung der Umsetzung der Bauleitplanung gerichtet ist, wäre ebenfalls unzulässig. Dies hat auch die Kommunalaufsicht im Rahmen der Beratung zu einem Bürgerbegehren klar zum Ausdruck gebracht.

Solange die planungsrechtliche Situation der nördlichen Wallhalbinsel wie unter 1. dargestellt „in Bewegung“ und das Aufstellungsverfahren für einen neuen Bebauungsplan noch nicht abgeschlossen ist, wäre es aber auch möglich, Verkaufsentscheidungen über Grundstücke der nördlichen Wallhalbinsel durch einen Bürgerentscheid zu fällen.

Auch diese Entscheidungen richteten sich in dieser Situation faktisch nicht gegen eine beschlossene Planung, an deren Durchführung der Plangeber keinen Zweifel lassen will.

Auch diese Auffassung wird von der Kommunalaufsicht geteilt.

 

 

3. Alternative zu einem Bürgerentscheid

 

Im Rahmen der Beratung zu der Frage, ob ein Bürgerentscheid im vorliegenden Fall zulässig wäre, hat die Kommunalaufsicht darauf hingewiesen, dass daneben die Möglichkeit einer konsultativen (beratenden) Einwohnerbefragung nach § 16 c Abs. 3 GO besteht.

Nach dieser Bestimmung kann in Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft eine konsultative Befragung der Einwohnerinnen und Einwohner durchgeführt werden. Die Entscheidung hierüber erfolgt durch Beschluss der Bürgerschaft mit der Mehrheit der gesetzlichen Zahl ihrer Mitglieder. Soweit anwendbar gelten gemäß § 16 c Abs.3 Satz 3 GO für die Durchführung einer solchen Einwohnerbefragung zwar ebenfalls die Bestimmungen des § 16 g Abs. 1 bis 7 GO und damit auch § 16 g Abs. 2 Nr. 6 GO. Aus den unter 1. und 2. dargestellten Erwägungen wäre eine konsultative Einwohnerbefragung zu der Entwicklung der nördlichen Wallhalbinsel oder zu Grundstücksverkäufen aber ebenfalls zulässig.

 

Ihr Vorteil läge darin, dass sie schneller durchgeführt und weniger aufwändig als ein Bürgerentscheid gestaltet werden könnte.

Es liegt im Ermessen der Bürgerschaft wie eine solche Einwohnerbefragung durchgeführt werden soll. Es sind deshalb Verfahren denkbar, die schneller und mit weniger Aufwand als ein Bürgerentscheid ein Meinungsbild der EinwohnerInnen herbeiführen. So würde das Ergebnis einer Befragung nach dem in der Anlage 1 gemachten Verfahrensvorschlag voraussichtlich etwa 7 Wochen nach einer Beschlussfassung der Bürgerschaft hierüber vorliegen.

 

Für die Durchführung eines Bürgerentscheids gelten demgegenüber nach § 10 Abs. 3 GKAVO die Bestimmungen des Gemeinde- und Kreiswahlgesetzes und der Gemeinde- und Kreiswahlordnung über die Gemeindewahl entsprechend. Der Aufwand eines Bürgerentscheids ist daher mit der Durchführung einer Kommunalwahl vergleichbar. Es müssen Abstimmungsvorstände gefunden und bestellt, Abstimmungslokale eingerichtet und Abstimmungsbenachrichtigungen verschickt werden.

Der notwendige organisatorische Vorlauf führt dazu, dass ein Bürgerentscheid frühestens ca. zwei, eher aber etwa drei Monate nach einer Entscheidung der Bürgerschaft über seine Einleitung stattfinden könnte. Realistischerweise würde im Fall der nördlichen Wallhalbinsel ein solcher Entscheid daher erst zu Beginn des Jahres 2014 durchgeführt werden können.

Durch ihn würden zudem etwas höhere Kosten verursacht.

 

Allerdings wäre die Bürgerschaft bei ihren Entscheidungen an das Ergebnis  einer konsultativen Bürgerbefragung nicht gebunden. Sie hätte es aus rechtlicher Sicht lediglich angemessen zu berücksichtigen (§ 16 c Abs.3 Satz 4 GO).

Die Bürgerbefragung kann daher keine rechtliche sondern nur politische Bindungswirkung entfalten.

Ein Bürgerentscheid hat demgegenüber die Wirkung eines Beschlusses der Bürgerschaft und kann innerhalb von zwei Jahren nur durch einen erneuten Bürgerentscheid abgeändert werden (§ 16 g Abs. 8 GO).

 

Nach § 16 c Abs. 4 GO wäre das Nähere zur Durchführung der Einwohnerbefragung in der Geschäftsordnung der Bürgerschaft zu regeln.

Die derzeit geltende Geschäftsordnung enthält solche Bestimmungen nicht. Will man sie nicht ohnehin ergänzen wäre es aufgrund des bestehenden Organisationsermessens der Stadt aber auch zulässig, die Einzelheiten einer solchen Befragung durch Einzelbeschlüsse der Bürgerschaft zu regeln.

 

Einen Vorschlag hierzu enthält die Anlage 1 zu diesem Bericht.

Er sieht, abweichend vom Wortlaut des § 16 c Abs.3 GO, keine Befragung der Einwohnerinnen und Einwohner sondern lediglich der Bürgerinnen und Bürger vor. Einwohner ist nach § 6 Abs.1 GO wer in der Gemeinde wohnt. Bürgerinnen und Bürger sind demgegenüber nur die zur Gemeindevertretung wahlberechtigten Einwohnerinnen und Einwohner und damit alle diejenigen, die auch an einem Bürgerentscheid teilnehmen könnten. Dadurch reduziert sich der Kreis der Teilnahmeberechtigten von ca. 215.000 auf ca. 176.000.

Diese Abweichung vom Wortlaut des § 16 c Abs.3 GO ist ebenfalls vom gemeindlichen Organisationsermessen gedeckt.

In entsprechender Anwendung von § 16 g Abs.6 GO muss die Gemeinde die Standpunkte und Begründungen der Bürgerschaft darlegen. Diese Begründung ist von der Bürgerschaft zu beschließen, die diese Aufgabe u.a. auf den Hauptausschuss übertragen könnte.

 

 

Anlage 1 – Beschlussvorschläge für die Durchführung einer Einwohnerbefragung

Anlagen

Anlage 1 – Beschlussvorschläge für die Durchführung einer Einwohnerbefragung

 

 

Anlagen:  
  Nr. Status Name    
Anlage 1 1 öffentlich Anlage 1. zum Bericht vom 13.09.2013 (43 KB)