Veröffentlicht am 18.10.2008

„Lübeck sieht Thomas Mann heute mit Stolz und Respekt“

Rede von Bürgermeister Bernd Saxe anlässlich der Preisverleihung an Daniel Kehlmann

„Heute sehen die Lübecker ‚ihren’ Thomas Mann mit Stolz und Respekt, mit Bewunderung und Liebe.“, sagte Lübecks Bürgermeister Bernd Saxe bei der Verleihung des „Thomas-Mann-Preises 2008“ an den Romanautor Daniel Kehlmann. Die feierliche Preisverleihung fand am Sonnabend, 18. Oktober 2008, im Scharbausaal der Stadtbibliothek zu Lübeck statt. Nachfolgend dokumentieren wir die Rede im Wortlaut.

Sehr geehrter Herr Kehlmann, sehr geehrte Mitglieder der Jury, verehrte Mitglieder der Bürgerschaft und des SH-Landtages, Frau Senatorin Borns, Herr Bürgermeister a. D. Dr. Knüppel, sehr geehrte Damen und Herren,

das Verhältnis Lübecks und der Lübecker zu Thomas Mann war über die Jahrzehnte durchaus wechselvoll. Das Erscheinen der Buddenbrooks löste heftige Kritik und Anfeindungen gegen den Autor aus; die Stadt und ihre tatsächlichen und vornehmsten Bürger sahen sich verunglimpft, lächerlich gemacht, in den Schmutz gezogen. Das daraus resultierende Verhältnis der Anspannung überdauerte sogar die Nobelpreisverleihung und sollte alles in allem immerhin gut fünf Jahrzehnte währen. Am Ende eines mühsamen Prozesses der Wieder-Annäherung und der Aussöhnung, die von beiden Seiten Zugeständnisse erforderte, stand im Jahre 1955 die Verleihung der Ehrenbürgerwürde, die aber trotz aller Aussöhnung noch immer von erheblichen politischen und gesellschaftlichen Kontroversen begleitet war.

Seitdem aber ist deutlich Entspannung eingetreten, und heute sehen die Lübecker „ihren“ Thomas Mann mit Stolz und Respekt, mit Bewunderung und Liebe.

Im Jahre 1975 – vor 33 Jahren – feierte die Stadt ihren großen und berühmten Sohn zu seinem 100. Geburtstag mit einer großen Festwoche. Aus diesem Anlass wurde auch der Thomas-Mann-Preis der Hansestadt Lübeck gestiftet, der damit heute zum 12. Mal vergeben wird.

Die Liste der bisher ausgezeichneten Autorinnen und Autoren liest sich wie ein Who is Who der großen deutschen Nachkriegsliteratur: Uwe Johnson und Siegfried Lenz, Günter de Bruyn und Günter Grass, Ruth Klüger, Hanns-Joseph Ortheil und als letzter Walter Kempowski. Sie alle sind in den vergangen Jahrzehnten ausgezeichnet worden. Und heute nun Daniel Kehlmann.

Wer aufmerksam mitgezählt hat wird gemerkt haben: Das waren keine zwölf. Denn der Thomas-Mann-Preis ist mehr als nur ein rein literarischer Preis. In der Satzung heißt es: „Der Preis wird an Persönlichkeiten verliehen, die sich durch ihr literarisches oder literaturwissenschaftliches Wirken ausgezeichnet haben im Geiste der Humanität, die das Werk von Thomas Mann prägte.“

Das heißt: Auch die essayistische und die theoretische Auseinandersetzung mit seinem Werk gehörte immer mit dazu. Peter de Mendelssohn und Hans Joachim Fest, Marcel Reich Ranicki (der die seinerzeitige Veranstaltung übrigens ganz gelungen fand) und Hans Wysling stehen als Preisträger für diesen Bereich. Und dann haben wir unsere zwölf auch beisammen.

Dieser Preis hat also eine Tradition. Nun entstehen Traditionen nicht aus dem Nichts, sondern Sie beruhen auf mühevoller und vor allem stetiger Arbeit, auf vorausschauendem Gespür, auf Kenntnis und Wissen. Und dies alles hat, das bestätigt die Rückschau eindrücklich, die Jury in der Vergangenheit bewiesen und sie hat den Preis damit zu dem gemacht, was er heute ist.

Dass dies durchaus keine Selbstverständlichkeit ist, sondern das das Vergeben von Preisen auch Risiken und Gefahren in sich birgt, das haben Stifter, Jurys und Autoren in den vergangen Jahren immer mal wieder erfahren müssen. Auch noch in den jüngsten Tagen.

Dabei denke ich gar nicht an den deutschen Fernsehpreis – Der Kritiker hatte ja Recht! – sondern z. B. an die Verleihung des Großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der schönen Künste, wo der Preisträger die Auszeichnung gleich nach Verleihung mit ungewöhnlich drastischen Worten in den Dreck gezogen hat.

Die Vokabeln will ich hier nicht wiederholen. Aber auch mit Blick darauf sage ich der Jury unseres Thomas-Mann-Preises meinen herzlichen Dank dafür, dass sie mit weisen Entscheidungen dazu beigetragen hat, dass uns Derartiges über die Jahre erspart geblieben ist. Also: Vielen Dank für ihre Arbeit in den vergangenen Jahren.

Sehr geehrte Damen und Herren,

die meisten von Ihnen werden in den vergangen Tagen Zeitung gelesen haben. Und sie mögen von daher über das informiert sein, was in großen Lettern ein „Städtekrieg“ genannt wird. Ich halte das für zu zugespitzt und auch der Sache gegenüber für unangemessen. Lübeck hat über die Jahrhunderte viele Kriege geführt – und zumeist auch gewonnen. Heute beginnen wir aber keinen Krieg um einen Literaturpreis. Dennoch will ich ein paar Bemerkungen zu den Fakten machen.

Gerade weil der Thomas-Mann-Preis in Lübeck eine Tradition hat, halte ich es für völlig stillos, wenn die Bayern hier nun durch einfache Umbenennung einen zweiten Literaturpreis gleichen Namens ins Leben rufen wollen. Und dies, ohne vorher auch nur den Versuch einer Kontaktaufnahme zu machen. Dass der Leiter der dortigen Einrichtung auf eine entsprechende Frage sagt, das sei ja nicht nötig gewesen, denn man habe schon geahnt, was die Lübecker sagen, das macht es weiß Gott nicht besser.

Und wie sollen die Preisträger, wie das Publikum mit der Existenz zweier Preise gleichen Namens umgehen? Ist der eine dann Träger des „wahren“, der andere Inhaber des „echten“ Thomas-Mann-Preises? Was schreiben die Verlage in den Klappentext – der Autor ist Inhaber des Thomas-Mann-Preises, und es folgt in Klammern „Lübeck“, oder „München“?

Man sieht, das alles ist lächerlich und sollte schnellstens aus der Welt geschafft werden. Es gibt seit Jahrzehnten einen renommierten Thomas-Mann-Preis. Einen zweiten braucht es nicht.

In der nun in den deutschen Zeitungen sich abspielenden Debatte bekommt man den Eindruck, dass in Wahrheit ein anderes, ein grundsätzlicheres Thema dahinter steht. Es lässt sich in der Frage zusammenfassen: Wer steht in Deutschland für Thomas Mann: Lübeck oder München? Ich lege Wert auf die Feststellung: Nicht wir haben diese Frage gestellt. Denn wir haben hier eine klare und selbstbewusste Position.

Seit 1975 hat sich, gerade was das literarische Leben angeht, in Lübeck viel getan. Damals, 1975, war man auf Hilfe von außen angewiesen, als es galt einen Preis zu etablieren und eine Festwoche zu veranstalten. Und diese Festwoche – so großartig sie war – war doch weitgehend ein lokales, maximal ein regionales Ereignis.

Wie anders stellte sich das im Jahre 2005 dar. Die Festwoche zum 50. Todestag Thomas Manns wurde von der Stadt und der Kulturstiftung veranstaltet und der Bundespräsident hielt die Festansprache in der Marienkirche, gemeinsam mit Marcel Reich Ranicki. Die Medienpräsenz und das Echo waren riesig; für ein paar Stunden ruhte die Aufmerksamkeit Deutschlands und Europas auf Lübeck, der Stadt der Manns.

Ich erzähle das nicht, um als Bürgermeister dieser Stadt uns selbst zu loben, obwohl ich nicht verhehlen will, dass wir alle auf diese Entwicklung stolz sein können. Nicht jede Stadt hat ein so lebendiges und weltweit bekanntes Literaturmuseum wie wir mit dem Buddenbrookhaus, das der ganzen Familie Mann gewidmet ist. (Und dazu noch ein Günter-Grass-Haus, auf das wir nicht minder stolz sind.)

Nein ich sage das, weil es den veränderten Kontext aufzeigt, in dem sich die Preisverleihung in den vergangenen Jahren zunehmend vollzog.

In den Jahren um 1975 stand es um Thomas Mann bei weitem noch nicht so wie heute. Vielen galt er als abgelebt und ohne Nachfolge in der Literatur der Gegenwart, ein Autor der Vergangenheit, dem langsamen Vergessen anheim gestellt. Heute muss man daran noch gelegentlich erinnern, weil man es sich kaum noch recht vorstellen kann.

Der Preis war daher in seinen ersten Jahren auch ein Signal nach außen, um die Beschäftigung mit diesem Autor anzuregen und auch ein Medium um zu zeigen, wer von der aktuellen Schriftsteller-Generation im „Geiste“ unseres Lübecker Nobelpreisträgers schrieb und arbeitete. Der Preis war, mit einem Wort, in erster Linie für seinen Autor da.

Inzwischen haben sich die Vorzeichen gewandelt. Thomas Mann ist weltweit einer der Autoren, die für die deutsche Literatur des 20. Jahrhunderts stehen. Er ist ein Wahrzeichen, das dieser Stadt weltweit ein Image verschafft – als Kulturstadt, als Literaturstadt. Wer in der Welt an Thomas Mann denkt, denkt an Lübeck. Und die neue Verfilmung der Buddenbrooks, die in wenigen Wochen in die Kinos kommt, wird das Ihrige dazu beitragen.

Das alles ist nicht nur positiv. Denn Ruhm kann auch dazu führen, dass man sich auf einer großen Vergangenheit ausruht und sich in aller Bequemlichkeit einrichtet, dass man sich Literaturstadt nennt, ohne sich diesen Titel in der Gegenwart immer wieder neu zu verdienen.

Hier spielt der Thomas-Mann-Preis eine neue Rolle. Wir zeigen mit der Verleihung immer wieder aufs Neue, wie ein gegenwärtiges Verhältnis zu Thomas Mann aussehen kann.

So auch mit der Verleihung des Preise an Daniel Kehlmann. Wir ehren mit ihm einen der bedeutendsten Autoren der literarischen Gegenwart. Und wir ehren mit ihm einen außerordentlich jungen Autor, den jüngsten Träger, den der Preis je gesehen hat. Wir werden gleich von Heinrich Detering und vom Preisträger selbst sicher auch hören, was ihn mit Thomas Mann verbindet. Ich will mich auf dem Feld der literarischen Bewertung und Vergleiche gar nicht versuchen. Aber so viel sei doch gesagt: Thomas Mann war in etwa gleichaltrig, als sein bekanntestes Werk, die Buddenbrooks, erschienen.

Meine Damen und Herren, sehr geehrter Herr Kehlmann,

was man als ein Leser ihrer Bücher spürt ist etwas, das einem bei andern Werken unserer Gegenwartsliteratur manchmal zu verschwinden scheint. Speziell bei Ihrem letzten erschienenen Buch, Die Vermessung der Welt, gelingt es Ihnen immer wieder, die doch sicher nicht leichten Themen der Astronomie eines Herrn Gauß, oder der Botanik bei Humboldt auf eine Art und Weise zu erzählen, die das Schwere leicht macht. So kam es mir beim Lesen vor, und erst später habe ich bemerkt, dass dieser Satz: - „Mir geht es darum, das Schwere leicht zu machen“ – von Thomas Mann einmal genauso gesagt worden ist. Ich halte das nicht für Zufall.

Aber ich greife dem Lob aus berufenerem Munde vor. Lassen Sie mich abschließend sagen, dass es der Hansestadt Lübeck eine große Freude und Ehre ist, dass Sie diesen Preis heute entgegennehmen und dafür nach Lübeck gekommen sind. Ich gratuliere Ihnen von Herzen. +++