Industriemuseum Geschichtswerkstatt Herrenwyk
Copyright HL
Seit 15. September wird die vierzig Jahre alte Dauerausstellung im Industriemuseum Herrenwyk grundlegend überarbeitet und neu gestaltet; das Areal war seither für Besucher:innen nicht zugänglich. Nun ist es so weit: Ab Freitag, 28. November, ist im Industriemuseum Herrenwyk der erste Teil der neuen Dauerausstellung mit dem Titel „Von Kaufleuten zu Fabrikbesitzern“ zu sehen. 2026 und 2027 sollen weitere Umgestaltungsabschnitte folgen. Überarbeitet wurde bislang etwa die Hälfte des Museums, hauptsächlich der thematische Bereich „Arbeit am Hochofenwerk“. Dieser wurde um neue Aspekte ergänzt, wie beispielsweise die Darstellung des Museumsgebäudes in seiner ursprünglichen Funktion als altes Werkskaufhaus. Neu dazu kam das umfangreiche Modul zum Thema „Industrialisierung in Lübeck“. Die Realisierung der neuen Dauerausstellung erfolgte mit der Hamburger Gestaltungsfirma „Raumproduktion“. Der Zeitpunkt der Eröffnung könnte nicht besser sein; steht doch ein Großteil der ehemaligen Arbeitersiedlung Herrenwyk wie auch das Museumsgebäude selbst seit dem Sommer 2025 unter Denkmalschutz. Die Werkssiedlung, die im norddeutschen Raum einmalig ist, ist ebenfalls einen Besuch wert.
Das Thema der Industrialisierung in Lübeck wird im Museum von Tourist:innen und Einheimischen viel beachtet und nachgefragt; auf den Lehrplänen der lokalen und regionalen Schulen ist es ebenfalls zu finden. Lübeck kann eine vielseitige und ungemein spannende Industriegeschichte aufweisen: Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts wandelte sich die alte Hansestadt – deutlich später als im restlichen Deutschland - in eine moderne Großstadt und es begann auch hier das eiserne Zeitalter der rauchenden Schlote und hämmernden Maschinen. Auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung wurde das ehemalige Hochofenwerk 1906 errichtet. Nach dessen Konkurs im Jahre 1981 wurden wichtige Zeugnisse der Lübecker Industrie- und Arbeiterkultur von der Geschichtswerkstatt des damaligen Museums für Kunst- und Kulturgeschichte gesammelt und ab 1985 im alten Werkskaufhaus in Herrenwyk ausgestellt.
„In Lübeck setzt die Industrialisierung spät ein, viel später als in anderen Regionen Deutschlands, weil man sich lange noch als Handelsstadt verstand“, erklärt Dr. Bettina Braunmüller, Museumsdirektorin und Kuratorin der Ausstellung. „Aber sobald die Industrialisierung in Lübeck einsetzt, tut sie dies schnell und mit einer enormen Bandbreite an Branchen. Die Anfänge bilden die Lebensmittel- und Konservenindustrie sowie die Emailleproduktion wie zum Beispiel Erasmi und Carstens oder Carl Thiel & Söhne und Tremser Eisenwerke. Schnell kommen Maschinenbaubetriebe wie LMG und Schiffswerften wie Henry Koch hinzu bis hin zu unseren heutigen großen Playern in Lübecks Industrie wie Baader, Brüggen oder Dräger.“
Die gesamte Bandbreite der Lübecker Industrialisierung bis in die heutige Zeit wird in der Ausstellung vorgestellt und anhand von 23 Lübecker Industriebetrieben, die an einer Medienstation erforschbar sind, können sich Besucher:innen auf eine spannende Entdeckungsreise vom 19. bis ins 21 Jahrhundert begeben. Auch erleichtert ein Zeitstrahl die Orientierung in Lübecks Industriegeschichte, bringt Errungenschaften der Arbeiterbewegung in deren Kontext und macht den Strukturwandel Ende des 20. Jahrhunderts in Lübeck deutlich. Dadurch soll ein umfassendes Verständnis über historische Zusammenhänge entstehen.
Neben diesen neuen Themen sind auch bekannte Exponate wiederzuentdecken, die jedoch neu inszeniert wurden, zum Beispiel das Masselbett des Hochofenwerks oder der Rehderplan von 1905. Ganz neu in der Ausstellung zu sehen sind unter anderem eine Fliese von 1906 von Villeroy & Boch aus Dänischburg oder ein Katalog der Firma Friedrich Ewers & Co von 1901. Auch eine Vielzahl von einmaligen Fotografien aus dem Bildarchiv des Industriemuseums können fortan in Augenschein genommen werden.
Zudem verdeutlicht ein Film von 1986 das Ende des Hochofenwerks und lässt Zeitzeugen sprechen sowie die Werkssiedlung und Produktionsabläufe im Werk auf die Besucher:innen wirken. Eine Station mit Rohstoffen, Haupt- und Nebenprodukten der Eisenverhüttung macht die Produktionsprozesse anschaulich und erklärt die Eisenproduktion in einfachen Worten.
Mit zeitgemäßen Medien und Vermittlungsformarten sollen neue Besuchergruppen, vor allem auch Kinder und Jugendliche, besser erreicht werden. Durch eine eindeutigere grafische Raumgestaltung wird eine klare Wegeführung erzielt, die Inhalte orientieren sich stärker an den Leitexponaten und die Menschen am Hochofenwerk rücken durch Zitate und Großfotos stärker in den Fokus.
Die Gestaltung erfolgt mit modularen Wandsystemen, sodass - im Falle einer zukünftigen Generalsanierung - die neue Dauerausstellung schnell abgebaut und später wieder aufgebaut werden kann. Somit spielt Nachhaltigkeit eine große Rolle, auch, wenn es um die Auswahl von Bau- und Arbeitsmaterialien für die Gestaltungsfirma geht.
Die Realisierung der neuen Dauerausstellung erfolgte mit der Hamburger Gestaltungsfirma „Raumproduktion“. Im zweiten Bauabschnitt werden 2026 die Inhalte und 2027 die praktische Umsetzung des zweiten Teils des Museums erfolgen, bei dem besonders die Themen „Das Leben der Arbeiter“ in der Werkssiedlung Herrenwyk, Zwangsarbeit, Rüstungsindustrie und Umweltfaktoren sowie gesellschaftliche und politische Teilhabe aufgegriffen werden.
Die neue Dauerausstellung wurde gefördert von der Possehl-Stiftung, der Friedrich Bluhme und Else Jebsen Stiftung, der Dräger-Stiftung, dem Deutschen Verband Frau und Kultur, der von Keller-Stiftung, dem Verein für Lübecker Industrie- und Arbeiterkultur e.V. sowie der Lehmann GmbH.
Vernissage
„Von Kaufleuten zu Fabrikbesitzern“ wird am Freitag, 28. November, um 17 Uhr eröffnet. Nach einer Begrüßung durch Lübecks Kultursenatorin Monika Frank, dem Leitenden Direktor der LÜBECKER MUSEEN Dr. Tilmann von Stockhausen sowie der Vorsitzenden des Vereins für Lübecker Industrie- und Arbeiterkultur, Waltraud Ricke, gibt Museumsdirektorin Dr. Bettina Braunmüller eine Einführung in das Thema. Es folgt ein Rundgang durch die Ausstellung. Der Eintritt ist frei.
Begleitprogramm
Führungen für Gruppen und Schulklassen können jederzeit gebucht werden. Die Ausstellung beinhaltet außerdem einen eGuide, der die Museumsgäste bei ihrem individuellen Museumsbesuch mit zusätzlichen, wissenswerten Hintergrundinformationen versorgt.
Sonderausstellung
Im Museumseintritt inbegriffen ist auch der Besuch der aktuellen Sonderausstellung „Zukunft ohne Wachstum? – Wirtschaft zwischen Klimakatastrophe und sozialer Spaltung“ rund um das polarisierende Thema der Postwachstumsökonomie, die noch bis 29. März 2026 zu sehen ist.
+++
Quelle: Die Lübecker Museen
