Unter dem Titel »Guter Stoff. Textile Welten von der Hansezeit bis heute« spannt eine neue Sonderausstellung den Bogen von einer ersten Konsumrevolution des Mittelalters bis hin zur heutigen Textilindustrie. Im Fokus steht eines der wichtigsten Alltagsprodukte überhaupt – Stoffe. Wie haben Textilien vergangene und heutige Gesellschaften miteinander vernetzt? Wie fair und nachhaltig waren Produktion, Handel und Umgang mit Kleidung im Mittelalter – und wie ist es heute? Die Schau ist vom 7. Oktober 2022 bis 23. April 2023 im Europäischen Hansemuseum in Lübeck zu sehen. Sie steht unter der Schirmherrschaft von Dr. Robert Habeck, Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz.
Von der Hansezeit bis heute
Schon beim Betreten der Sonderausstellung wird deutlich: Textilien sind überall. Große, bunte Stoffbahnen an Wänden und Decken umgeben die Besucher:innen und lassen sie in textile Welten eintauchen. Stoffe spielen in unser aller Leben eine entscheidende Rolle und unsere Gesellschaft war und ist durch Textilien weltweit vernetzt. Die neue Ausstellung »Guter Stoff. Textile Welten von der Hansezeit bis heute« im Europäischen Hansemuseum in Lübeck beleuchtet die faszinierende Geschichte der Produktion, des Handels und des Konsums von Stoffen sowie die Bedeutung der Kleidung für die Gesellschaft. Ein historischer Teil widmet sich der Hansezeit, als die Hansekaufleute Stoffe in ganz Nordeuropa handelten. Die hochwertigen Produkte brachten Wohlstand für ganze Regionen und prägten als bedeutendes Handelsgut das nordeuropäische Handelssystem. Gleichzeitig stellt die Ausstellung einen Zusammenhang zur heutigen Zeit her und setzt sich mit der Frage auseinander, wie sich eine faire, gesunde Welt und unser Bedarf an Textilien in Einklang bringen lassen. »Bei unseren Ausstellungen ist es uns wichtig, immer auch die Gegenwart in den Blick zu nehmen und die Relevanz und aktuelle Brisanz des Themas zu fokussieren«, so Direktorin Dr. Felicia Sternfeld, »Bei ›Guter Stoff‹ lag das natürlich besonders nahe, denn das Thema hat – insbesondere der Teil rund um die heutige Textilwirtschaft – das Potential, ein Umdenken anzustoßen.«.
Historische Objekte und innovative Vermittlung
Besonderes Highlight der Ausstellung ist eine ca. 600 Jahre alte Kindertunika aus dem Archäologischen Museum in Danzig, die in ihrem guten Zustand eine absolute Seltenheit ist. Funde wie diese ermöglichen einen faszinierenden Blick in die damalige Mode. So erzählt uns das Material, dass das Kleidungsstück aus einer wohlhabenden Familie stammen muss. Die Tunika in modischem Grün aus Wolle ist an den Rändern mit Seidenband verziert. Eine Kindermode, wie wir sie heute kennen, gab es noch nicht. Kinder trugen die gleichen Kleider wie Erwachsene – nur in klein. Anhand von belgischen und niederländischen Tuchsiegeln, die in Tallin gefunden wurden, lässt sich der Stoffhandel von West nach Ost nachvollziehen, weitere Leihgaben wie Tuchscheren oder Spindeln zeugen von mühsamer Produktion. »Der lange Blick zurück in die Hansezeit lohnt sich, wenn wir begreifen wollen, wie und warum Textilien unsere Gesellschaft prägen. Dabei zeigt sich, dass der Textilhandel der Hansezeit und unsere Welt heute mehr gemeinsam haben, als man vielleicht denkt«, sagt Dr. Angela Huang, Ko-Projektleiterin und Ko-Kuratorin der Ausstellung, »schon immer hatte Stoff Symbolwirkung, schon immer wurde mit Stoff getauscht und gehandelt. Die Hansegeschichte und unsere Ausstellung zeigen die Zeitlosigkeit von Textilien als Gesellschaftsthema.«
Das Lebende Buch
Bei den Multimedia-Stationen setzt das EHM mit »Guter Stoff« neue Akzente. Das interaktive »Lebende Buch«, erklärt besonders anschaulich den mittelalterlichen Handel mit Stoff. Ein hochwertig gebundenes Buch im Großformat bildet die Grundlage der Installation, durch Berührung und Blättern wird die Anwendung gestartet: Vor den Augen der Betrachtenden wird die Geschichte des Stoffhandels mit Hilfe von Animationen, Musik und Stimmen zum Leben erweckt. Aus dem Nichts erscheinen Handelsrouten, Schiffe ziehen über die See. Wer verkauft hier an wen und handelt es sich dabei wirklich um »guten Stoff«? Ein Streit entbrennt – lösen die Hansekaufleute den Konflikt? »Wir haben eine hohe Zahl an Unterstützer:innen für die Ausstellung und die Vermittlungsangebote begeistern können«, freut sich Dr. Felicia Sternfeld, »Unser Dank gilt daher allen fördernden Institutionen. Das ›Lebende Buch‹ konnte unter anderem durch die Unterstützung der gemeinnützigen Sparkassen Stiftung zu Lübeck und dem Förderverein Europäisches Hansemuseum und Burgkloster zu Lübeck e.V. realisiert werden. Die Medienstation wird im Anschluss in unsere Dauerausstellung integriert und wird somit darüber hinaus viele große und kleine Besucher:innen begeistern..«
Nachhaltigkeit
Ein besonderer Fokus der Schau liegt auf dem drängenden Thema der Nachhaltigkeit. Wie fair und nachhaltig war der Umgang mit Textilien im Mittelalter – und wie erleben wir die augenblickliche Situation? Welche Konsequenzen des Konsums ergeben sich im Mittelalter für Gesellschaft und Umwelt und wie sehen sie heute aus? Die Diskussion über Kleidung und Verschwendung, über faire Arbeitsbedingungen und Produktqualität hat eine lange Geschichte. Ein Ort der Inspiration ist das Zukunftslabor. In diesem Raum laden verschiedene Stationen zum aktiven Mitgestalten, Lernen und Forschen ein. Hier können Besucher:innen einen Blick auf die textilen Welten von morgen werfen und alternative Konsummöglichkeiten sowie zukunftsweisende Textilprojekte entdecken. Die patentierte Spuncover-Technologie zum Beispiel erzeugt ein besonderes Kombinationsgewebe, das strapazierfähig und zudem ein guter Nährstoffspeicher für Pflanzenwachstum ist. Das macht es besonders geeignet für die Begrünung urbaner Strukturen und könnte zum Beispiel bei Dachgärten zum Einsatz kommen.
Rahmenprogramm
Das umfangreiche Begleitprogramm für Kinder, Jugendliche und Erwachsene bietet die Gelegenheit sich auf vielfältige Art mit den Themen Hanse und Textilien sowie Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Von Führungen und Workshops in Upcycling oder Handspinnen, über eine Kleidertauschparty bis hin zu Schulprogrammen und Vorträgen ist für jeden etwas dabei. Über das vielseitige und leicht zugängliche Begleitmagazin und die eigens entwickelte Website www.guterstoff.hansemuseum.eu haben die Gäste zudem die Möglichkeit, die Inhalte vor und während des Ausstellungsbesuchs zu vertiefen.+++
Quelle: Europäisches Hansemuseum