Veröffentlicht am 07.10.2020

Die Lübecker Museen Fotografien von Orhan Pamuk – »Balkon« und »Orange

Sonderausstellung im Günter Grass-Haus bis 31. Januar 2021

Das Günter Grass-Haus ist dafür bekannt, Künstler:innen zu präsentieren, die ähnlich wie Grass in mehr als einer Disziplin schöpferisch tätig sind. Vom 6. Oktober 2020 bis 31. Januar 2021 widmet sich das Museum mit einer Sonderausstellung dem türkischen Schriftsteller Orhan Pamuk. Er gilt als einer der international bekanntesten Autoren seines Landes und wurde als erster türkischer Schriftsteller mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet.

Doch Pamuk ist auch ein leidenschaftlicher Fotograf. Er fertigte zahlreiche eindrucksvolle Fotografien seiner Heimatstadt Istanbul an, die im Bildband „Balkon“ (2018) und ganz aktuell im 2020 veröffentlichten Bildband „Orange“ zu finden sind. Zwischen Melancholie, Schwermut und Hoffnung spiegeln die Bilder den Seelenzustand des Autors wider. 835 dieser Fotografien sind nun im Günter Grass-Haus zu sehen, ergänzt um vier Videos. Die Schau ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Steidl Verlag.

Im Dezember 2012 plagten den Literaturnobelpreisträger Schreibblockaden, weswegen er zur Kamera griff. Vom Balkon seiner Wohnung im Istanbuler Stadtteil Cihangir aus versuchte er mit seinem Fotoapparat Impressionen der pulsierenden Metropole am Bosporus einzufangen. Entstanden sind etwa 8.500 Fotos von vorbeifahrenden Schiffen, von der von unzähligen Minaretten geprägten Silhouette der Stadt, von spektakulären Wolkenformationen und Moscheen im Morgennebel. Im sehnsuchtsvollen Blick in die Ferne spiegelt sich das melancholische Lebensgefühl der Istanbuler:innen wieder, das sogenannte „Hüzün“. 2018 erschien der Bildband „Balkon“.

Im 2020 veröffentlichten Bildband „Orange“ hat Pamuk dagegen einen anderen Fokus: Er bemerkte, dass das ihm seit seiner Kindheit vertraute orangefarbene Licht der Straßenlaternen, das die nächtlichen Viertel Istanbuls erhellt, zunehmend in ein grelles Neonlicht billiger Glühbirnen übergeht. Für Pamuk ist dies zugleich eine Metapher für den sozialen und politischen Wandel in der Türkei der letzten Jahre. Die Fotografien aus „Orange“ sind das Resultat seiner Streifzüge durch das nächtliche Istanbul auf der Suche nach entlegenen Orten, die noch in das Licht seiner Kindheit getaucht sind. Dabei interessiert sich Pamuk für die alltäglichen Szenen wie auf der Straße spielende Kinder, das Kabelgewirr an den Häusern, streunende Katzen oder Hunde, Betreiber von Geschäften, die vor ihrem Laden auf Kundschaft warten sowie Menschen, die von der Arbeit kommen.

Prof. Dr. Hans Wißkirchen, Leitender Direktor der LÜBECKER MUSEEN: „Durch die Inszenierung eines Teil der Fotografien in einem eigens im Günter Grass-Haus geschaffenen Lesesaal entsteht eine ganz spezielle, intime Atmosphäre, die dazu ermutigt, sich die Bilder intensiv anzusehen. So kann der Besuch der Ausstellung zur Entschleunigung des Alltags und zu einer mentalen Reise anregen.“

Kuratiert wurde die Ausstellung von Gerhard Steidl, dem Verleger von Günter Grass, in dessen Verlag auch die beiden Bildbände von Orhan Pamuk erschienen sind: „Jede Fotografie von Pamuk ist für sich wie ein Gemälde. Betrachtet man sie im Zusammenhang lassen sie sich lesen wie ein Roman über seine Stadt Istanbul.“, so Steidl. Dr. Jörg-Philipp Thomsa, Leiter des Günter Grass-Hauses, dazu: „Ich freue mich, dass wir die inzwischen fünfte Fotografie-Ausstellung im Günter Grass-Haus zeigen können. Dank der engen Zusammenarbeit mit Gerhard Steidl ist diese hier ein Meisterwerk und zugleich eine Schule des Sehens.“

Ergänzt werden die Fotografien der Sonderausstellung durch vier Videos. In Zweien lesen die Schauspielerinnen Nina Hoss und Liv Lisa Fries aus Orhan Pamuks Buch „Istanbul. Erinnerungen an eine Stadt“. Außerdem sind Interviews mit Gerhard Steidl und dem Leiter des Günter Grass-Hauses Dr. Jörg-Philipp Thomsa sowie mit Günter Grass und Osman Okkan über seinen Aufenthalt in Istanbul im Jahre 2010 zu sehen. Damals sind sich Grass und Pamuk persönlich begegnet. Beide verband die Faszination für Bilder und das geschriebene Wort. In seinem Nachruf schrieb Pamuk über Grass 2015: „Er lehrte uns, dass die Grundlage jeder Geschichte die Erfindung des Schriftstellers ist, unabhängig davon, wie grausam, schwer erträglich oder politisch die Geschichte ist.“

Vernissage

Die Ausstellung wird am Dienstag, 6. Oktober, um 18 Uhr in der Reformierten Kirche Lübeck, Königstr. 18, eröffnet. Es sprechen Dr. Jörg-Philipp Thomsa, Leiter des Günter Grass-Hauses, sowie Gerhard Steidl, Verleger und Kurator der Ausstellung. Die Schauspieler:innen Marina Galic und Jens Harzer lesen aus dem Werk von Orhan Pamuk.

Im Anschluss kann die Ausstellung im Günter Grass-Haus besichtigt werden. Akustisch untermalt wird die Vernissage von Selim Gökduman mit „Istanbul Vibes & Sounds“ im Museumsgarten.

Weitere Informationen unter www.grass-haus.de +++

Quelle: Die Lübecker Museen