Veröffentlicht am 01.10.2020

Aktuelle Restitutionen des St. Annen-Museums

Zwei Seidenkissen aus dem 17. Jahrhundert sowie ein Bernstein-Amor aus dem 18. Jahrhundert

„Der Herkunft auf der Spur“ lautete der Titel der viel beachteten Ausstellung im St. Annen-Museum und im Museum Behnhaus Drägerhaus im Jahr 2019, die die Ergebnisse der Forschungen, die durch das „Deutsche Zentrum Kulturgutverluste“ finanziert worden waren, präsentierte. Aktuell sind zwei Restitutionen durch das St. Annen-Museum erfolgt: Bereits Ende August hat das Museum zwei gewirkte Seidenkissen aus dem 17. Jahrhundert ihren rechtmäßigen Eigentümern übergeben. Bis zum 14. Februar 1937 waren die beiden Textilien im Besitz der Hamburgerin Emma Ranette Budge (1852-1937). Sie waren um 1635 entstanden und zeigen die Wappen der Lübecker Familien Brömbse und Brockes sowie ein Paar in Tracht. Anfangs hatte Emma Budge testamentarisch verfügt, dass die Kunstsammlung von ihren Testamentsvollstreckern unter Museen in Deutschland und dem Ausland aufgeteilt werden solle. Unter dem Eindruck der stetig zunehmenden Verfolgungsmaßnahme gegenüber jüdischen Bürgern änderte sie später ihr Testament jedoch dahingehend, dass die Sammlung im Ausland verkauft und der Erlös an ihre Erben ausgezahlt werden sollte. Auch die Grundstücke sollten veräußert werden.

Die Testamentsvollstrecker wurden jedoch von den nationalsozialistischen Behörden genötigt, die Kunstsammlung in Berlin beim Auktionshaus Graupe/Lange zu versteigern und der Auktionserlös wurde beschlagnahmt. Auch das Villengrundstück mussten sie zu nicht marktgerechten Preisen verkaufen. Es war die größte Privatsammlung, die im Dritten Reich veräußert wurde. Das Budge-Palais wurde der Sitz des Reichsstatthalters Karl Kaufmann. Der Lübecker Museumsdirektor Hans Schröder hatte die Auflage von der Stadtverwaltung, keine Einkäufe bei jüdischen Händlern wie Paul Graupe zu tätigen. Dennoch fand er Wege, an begehrte Objekte zu gelangen: So beauftragte er den Hamburger Kunsthändler Oskar Brozukat, die beiden Kissen bei Paul Graupe in Berlin zu ersteigern. Da die Kissen unrechtmäßig veräußert wurden und die Erben der Emma Budge den Erlös nie erhalten haben, handelt es sich eindeutig um NS-Raubgut.

Die zweite Restitution hat eine nicht minder spannende Geschichte: Nach 75 Jahren kehrt eine aus Bernstein geschnitzte 11,5 cm hohe Amor-Figur nach Gotha zurück. Der Putto, der seit 1945 vermisst war, gehört zu einer Vierer-Serie und ist nun wieder vereint mit den drei anderen „Kindergen von Birnstein“, wie sie im Kunstkammerinventar von 1764 bezeichnet werden. „Wir arbeiten derzeit auf verschiedenen Ebenen an der Aufarbeitung des Sammlungsbestandes von ca. 500.000 Objekten im St. Annen-Museum. Im Zuge dieser Arbeiten hat mich ,eine Fotoanfrage aus Schloss Gotha auf diesen speziellen Fall aufmerksam gemacht. Es war in Abstimmung mit der Stiftungsleitung schnell klar, dass wir das Stück gerne in die Hände der ursprünglichen Besitzer zurückgeben wollten und freuen uns, dass wir einen kleinen Beitrag leisten können, die Sammlungen des Schloss Gotha wieder zu vervollständigen“, so Dr. Dagmar Täube, Leiterin des St. Annen-Museums.

Die Stiftung Schloss Friedenstein Gotha ist außerordentlich dankbar, dass sich die Direktion des St. Annen-Museums entschieden hat, die Bernsteinfigur zurückzugeben. Stiftungsdirektor Tobias Pfeifer-Helke sagt: „Im Laufe der Nachkriegsjahrzehnte ist die Erinnerung an den tatsächlichen Reichtum der Friedensteinschen Sammlung verblasst. Mit jedem Stück aber, das nach Gotha zurückkehrt, erhält die Sammlung ein Stück ihrer Strahlkraft zurück. Wir danken dem St. Annen-Museum daher sehr, dass sie die „Kindergen“ nun wieder komplettiert haben.“

Die Figuren wurden im Inventar der Kunstkammer des Schloss Friedenstein erstmals 1764 erwähnt. Der kleine Bogenschütze war vor 1946 aus einer der eingelagerten Kisten in der Fürstengruft entwendet worden, wurde 1950 vom Hamburger Kunsthändler Kurt Nass angeboten und vom St. Annen-Museum in Lübeck für 400 DM erworben. Wie kaum eine andere Museumslandschaft in Mitteldeutschland haben die Gothaer Sammlungen für Kunst und Wissenschaft nach Ende des Zweiten Weltkrieges einen schmerzhaften Aderlass erfahren. So umfassen beispielsweise die Kunsthandwerklichen Sammlungen der heutigen Stiftung Schloss Friedenstein Gotha nur noch etwa 41 Prozent des bis Ende des Zweiten Weltkrieges nachweisbaren Bestandes. Heute findet man in Museen und Privatsammlungen in Westeuropa, in den USA und vor allem in den westlichen Bundesländern Deutschlands zahlreiche Kunstschätze, die 1945 in Gotha „abhandengekommen“ sind. Die Amor-Figur wurde am heutigen 1. Oktober um 11 Uhr durch Dr. Dagmar Täube vor Ort ,dem Direktor der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha übergeben. +++

Quelle: Die Lübecker Museen