In Lübecks jüngster Partnerstadt wird schwedisch gesprochen: Mit der offiziellen Vertragsunterschrift am 17. September rücken die beiden Hansestädte Visby und Lübeck enger zusammen. Für Lübeck ist dies die fünfte Städtepartnerschaft nach Kotka/Finnland (seit 1969), Wismar (1987), La Rochelle/Frankreich (1988) und Klaipeda/Litauen (1990). Die Partnerschaft erstreckt sich auf die gesamte Insel Gotland, dessen größte Stadt Visby ist.
Mit der jüngsten Partnerstadt unterhält Lübeck die ältesten Beziehungen. Bereits unmittelbar nach der Neugründung Lübecks im Jahre 1159 segelten Kaufleute von der Trave regelmäßig nach Gotland, um von Visby ("Wisby") aus Handel zu treiben. Viele Lübecker siedelten sich auf der ehemaligen Wikingerinsel an und prägten das Leben und das Bauen entscheidend mit.
Gotland ist Schwedens größte Insel. Sie liegt in der Ostsee - 90 Kilometer vom Festland, 130 vom Baltikum, 560 von St. Petersburg und 480 von Lübeck entfernt. Innerhalb einer Stunde erreicht man mit dem Flugzeug neun Länder mit 60 Millionen Einwohnern.
Nach Westen und Osten orientiert
Die Insulaner haben sich im Laufe ihrer Geschichte gleichermaßen nach Westen wie nach Osten orientiert. Auf Gotland wohnen 58 000 Menschen. Gotland wurde erst 1679 dauerhaft an Schweden angegliedert. Dies hat die Kultur und Tradition entscheidend geprägt. Das Klima ist mild, die Jahreszeiten sind deutlich spürbar.
Auf Gotland genießt man den blühenden Frühling und lange, warme Herbsttage. Die Insel hat die meisten Sonnenstunden in Schweden. Die Natur ist abwechslungsreich - mit kargen Heideflächen und grünen Wiesen, steilen Felsküsten und badefreundlichen Sandstränden. Der Stadtkern von Visby ist mit mittelalterlichen Stadtmauern umgeben und so gut erhalten und voller Kulturschätze, daß er 1995 auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wurde - wie Lübeck acht Jahre zuvor.
Auf Gotland wird seit Urzeiten attraktiv und funktionell gebaut. Über eintausend Höfe, die auf die Wikingerzeit und das Mittelalter zurückgehen, sind heute noch bewohnt. Die Bebauung ist gleichmäßig über die gesamte Insel verteilt. Visby ist nur eine von insgesamt 92 Ortschaften - allerdings die bedeutendste. Dort gibt es ein Gymnasium, sowie mehrere Kunst- und Komponistenschulen. Gotlands Hochschule arbeitet eng mit Universitäten und Hochschulen in und außerhalb von Schweden zusammen. Hier werden Ausbildungen innerhalb der drei Hauptbereiche Wirtschaftswissenschaften, Technik und Kultur sowie ein breites Programm von freien Kursen angeboten.
Visby wird seit fünftausend Jahren bewohnt. Im 12. Jahrhundert entwickelte sich die Stadt vom Handelsplatz der Wikingerzeit zum Zentrum des Handels um die gesamte Ostsee herum. Hundert Jahre später erlebte Visby seine Blütezeit als eine der wichtigsten Städte der mächtigen Hanse. Imponierende Steinhäuser und Kirchen wurden gebaut, die Stadtmauer hochgezogen, die mit einer Länge von 3,5 Kilometern heute zu den besterhaltenen in Europa gehört.
Trotz der Tatsache, daß es 200 mittelalterliche Gebäude, 13 Kirchenruinen, einen Dom sowie zwei Kloster gibt, ist Visby eine sehr lebendige Stadt. Rund 2000 Personen wohnen im eigentlichen Stadtzentrum, weitere 20 000 außerhalb der Stadtmauer. Innerhalb der Stadtmauer liegen viele Geschäfte, Restaurants, Gasthäuser und Klubs. Die kommunalen und staatlichen Behörden sowie Unternehmer verschiedener Branchen sind ebenfalls hier vertreten. Direkt vor der Stadtmauer, in den neueren Stadtteilen, liegen moderne Einkaufszentren.
Blühendes Kultur- und Geschichtsinteresse
An wenigen Orten ist die Vergangenheit so präsent wie auf Gotland. Auf der Insel liegen 92 mittelalterliche Kirchen sowie eine große Zahl von vorgeschichtlichen Stätten. Nirgendwo anders in Schweden hat man so viele Funde aus der Wikingerzeit und aus dem Mittelalter gemacht. Das Geschichtsinteresse blüht auf Gotland, nicht zuletzt in den Heimatverbänden und Studiengruppen. In jedem August wird die Geschichte in der "Mittelalter-Woche" wieder lebendig. Dann füllen sich die Gassen von Visby mit mittelalterlichen Kaufleuten, Gauklern, Feuerschluckern und Reitern.
Gotland hat eine reiche Kultur und eigene Traditionen. Praktisch jeder Ort hat seinen eigenen Chor, seine eigene Tanzgruppe und seinen eigenen Musikzug. Im Sommer lösen sich zahlreiche Kulturveranstaltungen ab. Das Kammermusikfestival, das Gotländer Ringreiten, Bildkunst- und Skulpturausstellungen sind jedes Jahr Höhepunkte, die ein großes Publikum anziehen. Ein wichtiges Element sind auch viele Kulturpersönlichkeiten, die nach Gotland gezogen sind - Filmemacher, Künstler, Schriftsteller, Musiker und Kunsthandwerker.
Gotland veranstaltet sehr viele internationale Treffen, so als Gastgeber der Inselspiele ,,Island Games". Das Theater ,, Bryggeriteater" ist das Landestheater der Insel. Das Theater hat eine Kirche in der Innenstadt von Visby übernommen, wo Vorstellungen für Kinder und Erwachsene gespielt werden. Theater findet aber auch an anderen Stellen auf der Insel statt, gespielt sowohl von professionellen Schauspielern als auch von enthusiastischen Amateurdarstellern. In vielen Orten führt man Revuen auf und inszeniert bejubelte Vorstellungen. Das 1989 eröffnete Kunstmuseum bedeutet sehr viel für das Kunstleben und hat internationale Spitzenausstellungen auf die Insel gelockt.
Gotland verfügt über große Natur- und Kunstschätze. In keiner anderen Region Schwedens wird so intensiv biologischer Anbau betrieben wie auf Gotland. Zwischen dem schwedischen Festland und Gotland sind zwei Gleichstromkabel verlegt, die Haushalte und Unternehmen mit elektrischem Strom versorgen. Gotland nimmt zudem eine Spitzenposition bei Energiefragen und der Entwicklung neuer Energiesysteme ein. Fernwärme, Wärmerückgewinnung, geothermische Wärme und Biogas sind einige alternative Energiequellen. Die größte erneuerbare Energiequelle ist die Windkraft. Heute gibt es auf Gotland rund 100 Windkraftwerke. Der niedrige Wald auf Gotland wächst langsam und erbringt sehr hartes Holz. Holzindustrieprodukte sind wichtige Exportgüter.
Auf Gotland wurde bereits im 12. Jahrhundert Kalk gebrannt. Heute ist die Zementindustrie an die Stelle der Kalkindustrie getreten. Die Anlagen von Cementa auf Gotland sind Nordeuropas größte ihrer Art. Auch von dem Unternehmen Nordkalk wird Kalk in viele Länder exportiert. Zu den Ressourcen von Gotland gehören auch Wolle und Pelze von den Schafen der Insel. Mehrere Unternehmen und Handwerkskooperative veredeln diese Rohstoffe zu attraktiven Kleidungsstücken, u. a. Pelze und Strickwaren mit traditionellen Mustern in neuem Design.
Breit gefächertes Wirtschaftsspektrum
Gotland hat die größte Unternehmensdichte Schwedens. Hier gibt es eine große Anzahl kleiner, flexibler Unternehmen in den unterschiedlichsten Branchen. Die Wirtschaftsstruktur auf Gotland unterscheidet sich vom übrigen Schweden: Es sind mehr Personen in der Landwirtschaft beschäftigt, weniger in der Industrie.
Ericsson Radio Systems ist das größte Elektronikunternehmen. Die staatliche schwedische Lotterie ist auf Gotland etabliert, genau wie die Forschungsabteilung des Baustoffherstellers Scancem AB. Auf Gotland gibt es alle Dienstleistungen - EDV- Kompetenz, juristische und wirtschaftliche Beratung, Marketing, Werbung, Druckereien und Transportunternehmen. In den letzten Jahren haben sich auch IT-Unternehmen auf der Insel niedergelassen. Die fruchtbare Erde sowie die günstigen klimatischen Verhältnisse gewährleisten eine hohe Rendite und exzellente Agrarprodukte. Die Landwirtschaft ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige, die Lebensmittelindustrie entsprechend ausgebaut. Molkereien und Schlachthöfe, Gemüsegroßhandel und Konservenindustrie liefern ihre Produkte nach ganz Schweden. Produkte aus dem alternativen Anbau werden immer stärker nachgefragt und haben ein Qualitätsprofil, das weit über die Grenzen der Insel hinaus bekannt ist.
Gut funktionierende Kommunikationen sind für eine Insel lebenswichtig. Tägliche Flugverbindungen, Fährschiffe mit hoher Kapazität und moderne Telekommunikationen ermöglichen es, auf Gotland zu arbeiten und zu wohnen und gleichzeitig den Markt auf dem schwedischen Festland oder im Ausland zu bedienen.
Gotland ist außerdem eines der am meisten besuchten Urlaubsziele Schwedens. Die Fremdenverkehrsbranche ist bis heute der am schnellsten wachsende Wirtschaftszweig, sowohl international als auch in Schweden. Auch diese Branche basiert auf den eigenen Ressourcen der Insel - dem Meer und der Natur, der Kultur und der gastfreundlichen Bevölkerung. Heute besuchen die Insel jährlich rund 600 000 Touristen. ++++