Energisch zurückgewiesen hat die Lübecker Ordnungsbehörde die in den Medien verbreitete Kritik, die Hansestadt habe im Zusammenhang mit den Demonstrationen am Wochenende zu zögerlich gehandelt und mit ihren Entscheidungen die Polizeiarbeit erschwert. Der Sinn solcher "Falschmeldungen" sei ihm völlig unverständlich, sagte Bürgermeister Michael Bouteiller am 5. Februar. Seine Ordnungsbehörde habe professionell, entschieden und schnell gehandelt, doch seien ihr bis zum Vortag der Demonstration die Hände gebunden gewesen, weil Polizei und Innenministerium entscheidende Informationen nicht rechtzeitig nach Lübeck weitergereicht hätten.
Denn erst am Freitag, 30. Januar, 15.02 Uhr, war die Lageeinschätzung, daß die angemeldete Demonstration des "Bündnis Rechts für Lübeck" in Wirklichkeit ein bundesweiter Aufmarsch von Neonazis werden würde, per Fax vom Innenministerium nach Lübeck übermittelt worden. "Hätten wir diese Informationen rechtzeitig bekommen, hätten wir die Demonstration auch eher verbieten können", sagte Bouteiller. "Die Tatsachen sind so, wie wir sie dargestellt haben. Jede andere Behauptung ist falsch."
Angesichts der friedlich verlaufenen Demonstrations und der ausgezeichneten Polizeiarbeit sei ihm die harsche Schelte von Polizeichef Heiko Hüttmann indes rätselhaft. Sie stelle eine ausgesprochen "ungewöhnliche Kritik eines Polizeioffiziers" dar, über die intern noch geredet werden müsse, sagte Bouteiller. Er sei aber dagegen, Abstimmungsprobleme von Behörden, die im Dienste der Bürgerinnen und Bürger ihrer Arbeit nachgehen, in einem öffentlichen Gezeter in den Medien auszutragen.
Die Lübecker Ordnungsbehörde legte zur Entkräftung der Vorwürfe, denen sich am Wochenanfang überraschenderweise auch der Staatssekretär des Innenministers, Hartmut Wegener (SPD), angeschlossen hatte, eine Zusammenfassung der Ereignisse vor. Wir dokumentieren sie nachstehend im Wortlaut:
Fakten und Daten zu den Demonstrationen in Moisling, 31. Januar 1998
18. Dez. 97 "Bündnis Rechts für Lübeck" meldet für den 31. Januar, 14 bis 17 Uhr, eine Kundgebung mit Aufzug in Moisling an. Motto: "Kommunalwahlkampf in Lübeck" 6. Januar 98 Erste Stellungnahme der Polizeiinspektion Lübeck: Keine verbotsrelevanten Erkenntnisse 14. Januar Innenminister fragt beim Ordnungsamt Sachstand ab. 16. Januar Bürgermeisterbüro leitet Hinweise und Internet-Aufrufe des "Nationalen Widerstands" und deren Internet-Magazin "Perspektive" an die Polizeiinspektion weiter. Polizeiinspektion teilt mit, die Unterlagen dem LKA zugeleitet zu haben. Eine Bewertung liege derzeit nicht vor. 19. Januar "Lübecker Bündnis gegen Rassismus" und SPD-Moisling melden Kundgebung für den 31. Januar, 10 bis 12 Uhr, "auf dem Dorfteich" an. Motto: "Kein Fußbreit den Faschisten" 21. Januar Innenminister teilt dem Ordnungsamt Erkenntnisse über die anmeldenden und unterstützenden Personen der Kundgebung "Bündnis Rechts" mit. Genannt werden Dieter Kern, Reinhard Kessow, Andreas Rothmann und Thomas Wulff. Erneute Nachfrage nach dem Sachstand. Eindringlicher Hinweis, in die Bewertung der Hansestadt einfließen zu lassen, daß es sich um eine Wählergemeinschaft handele, die als "Wahlvorschlagsträger" unter besonderem gesetzlichen Schutz stehe. 23. Januar Ordnungsamt teilt Innenministerium per Fax mit, daß eine abschließende Bewertung der Demonstrationsvorhaben noch nicht vorgenommen worden sei. Man werde die Anmelder zu Gesprächen bitten Montag 26. Ordnungsamt führt zusammen mit der Polizeiinspektion (PDir. Heiko Januar Hüttmann und Stv. Meinke) in getrennten Sitzungen "Kooperationsgespräche" mit beiden Anmeldern, um festzustellen, ob trotz räumlicher und zeitlicher Nähe ein friedlicher Ablauf der Veranstaltungen gewährleistet werden könne. Den Zweitanmeldern wird empfohlen, den Veranstaltungsort zu wechseln. Dies wird zurückgewiesen. Montag 26. Bürgermeister und Polizeiinspektion beraten Ergebnisse der Januar Kooperationsgespräche. Das in Dresden ausgesprochene Verbot einer linken Gegendemonstration am vorausgegangenen Wochenende wird diskutiert. Hüttmann drängt auf eine Verlegung der Gegendemonstration in einen anderen Stadtteil. Hansestadt lehnt ab, weil dies einem Verbot gleichkomme. Ergebnis: Keine Verbote von Veranstaltungen Dienstag Ordnungsamt erhält gleichzeitig mit dem Innenministerium eine 27. Januar ergänzende Lagebeurteilung von der Polizeiinspektion. Ergebnis: Gefahr geht von der linken Demonstration aus, nicht von der rechten. Da Ausschreitungen von Links zu erwarten seien, wird empfohlen, die Gegenkundgebung in Moisling zu verbieten und sie in die Innenstadt zu verlegen. Dienstag Innenministerium schließt sich der polizeilichen Einschätzung an und 27. Januar erteilt die "dringende Empfehlung, die Versammlung des Lübecker Bündnisses von Auflagen abhängig zu machen, die zum Inhalt haben, daß · 1. die Kundgebung in einem anderen Stadtteil durchgeführt wird, der nicht an Lübeck-Moisling grenzt und · 2. die Kundgebung in dem Zeitraum von 9 bis 11 Uhr durchzuführen." Die Bestätigung wird bis 28. Januar, 12 Uhr, erwartet. Dienstag Bei einem Ortstermin in Moisling legen Ordnungsamt, 27. Januar Polizeiinspektion und der Anmelder Dieter Kern von Bündnis Rechts für Lübeck eine veränderte "Aufzugroute" fest. Sammelpunkt ist jetzt "Am Pennmoor". Die Hauptkundgebung soll auf einer Grünfläche zwischen Schneewittchenweg und Rumpelstilzchenweg stattfinden. Anmelder erhält entsprechenden Auflagenbescheid. Mittwoch Bürgermeister versucht sich im Gespräch mit den Anmeldern der 28. Januar Gegenkundgebung eine Gefahreneinschätzung zu verschaffen. Mittwoch Bürgermeister und Rechtsamt telefonieren mit Staatssekretär Wegener 28. Januar im Innenministerium in Kiel und teilen mit, daß von einer Verlegung der Demonstration des SPD-Bündnisses zunächst abgesehen werde. 18.07 Uhr Beim Ordnungsamt geht ein Fax aus Kiel ein. Inhalt: Für die Anmelder sei ein Auflagenbescheid zu erlassen, der der ursprünglichen Anmeldung entspricht. "Etwaige weitere Maßnahmen" seien von der " "polizeilichen Erkenntnislage" abhängig zu machen. Die Versammlungsbehörde (Ordnungsamt) wird angewiesen, sich am Freitag, 30. Januar, bis mindestens 18 Uhr verfügbar zu halten. Donnerstag Ordnungsamt erteilt den Anmeldern der Links-Demonstration den 29. Januar vorgenannten Auflagenbescheid. Freitag 30. Innenministerium sagt erstmals Unterstützung für ein Verbot der Januar "Bündnis Rechts"--Demonstration zu und kündigt dazu ergänzende Informationen an. Diese gehen um 15.02 Uhr per Fax beim Ordnungsamt ein. Darin enthalten sind für das Ordnungsamt zwei neue Informationen: · 1. Nach Aussage eines Mitglieds der Lübecker Rechtsradikalenszene werde die Demonstration von Hamburg aus organisiert und lasse Gewalthandlungen erwarten. Diese Information sei bei der Polizeiinspektion Lübeck am 23. Januar fernmündlich eingegangen. · 2. Es handele sich nach Einschätzung des LKA vom 20. Januar keineswegs um eine Lübecker Wahlveranstaltung, sondern um einen bundesweiten Aufmarsch von Rechtsextremisten. Beide Informationen, 1. und 2., wurden der Hansestadt Lübeck bis zu diesem Zeitpunkt vorenthalten. 17.12 Uhr Ordnungsamt übermittelt per Fax Verbotsverfügung an das "Bündnis Rechts für Lübeck". Sie geht zeitgleich an den Innenminister, die Polizeiinspektion und das Verwaltungsgericht in Schleswig. 18 Uhr versendet das Presse- und Informationsamt eine entsprechende Pressemitteilung unter der Überschrift Versammlung von "Bündnis Rechts" in Lübeck verboten. Rechtsamt teilt dem zuständigen Richter in Schleswig mit, daß das Ordnungsamt am Demonstrationstag, 31. Januar, ab 8 Uhr bei der Polizeiinspektion zu erreichen sei. Zwei Telefon- und zwei Faxnummern der Polizeiinspektion werden dem Verwaltungsgericht vom Rechtsamt aufgegeben. Eine Kontaktaufnahme über die Zentrale der Polizei oder das Faxgerät ist jederzeit möglich. Von der Faxmöglichkeit wird am Sonnabend, 31. Januar gegen 13 Uhr Gebrauch gemacht. Sonnabend 8.00 Uhr Bürgermeister übernimmt die Befugnisse als 31. Januar Versammlungsbehörde, um eine unmittelbare Kooperation mit der Polizei auf höchster Ebene sicherzustellen 12.00 Uhr Die Demonstration des SPD-Bündnisses endet ohne Zwischenfälle. 13.00 Uhr Das Verwaltungsgericht hebt das Verbot der Kundgebung "Bündnis Rechts" auf 15.43 Uhr Rund 150 Teilnehmer der Kundgebung "Bündnis Rechts" treffen verspätet mit drei Bussen von Hamburg-Stapelfeld kommend unter Polizeigeleit "Am Pennmoor" ein. Bürgermeister begrenzt nach Beratung mit dem Einsatzleiter die Dauer der Kundgebung auf 16.45 Uhr. 16.45 Uhr Bürgermeister verbietet nach Abstimmung mit dem Einsatzleiter aus Gründen der Gefahrenabwehr den geplanten Aufzug des "Bündnis Rechts" durch Moisling. Die Kundgebung wird für beendet erklärt. 17.12 Uhr Die Demonstranten besteigen die Busse und entfernen sich unter Polizeischutz. 18.00 Uhr Pressekonferenz der Polizeidirektion mit Heiko Hüttmann im Polizeipräsidium. +++